Berlin. In den Diskussionen der Kanzlerkandidaten spielt die Außenpolitik kaum eine Rolle. Unser Autor findet: Das darf so nicht weitergehen.

Geht es uns zu gut? Bei der letzten TV-Diskussion mit der Kanzlerkandidatin und den beiden Kanzlerkandidaten spielte die Außenpolitik praktisch keine Rolle. Diese provinzielle Behaglichkeit in der deutschen Politik ist beunruhigend.

Denn die Welt ist aus den Fugen geraten. Amerika konzentriert sich zunehmend auf sich selbst. Autokratische Regime wie Russland, China oder die Türkei entwickeln einen wachsenden Machtanspruch. Und Europa steht mehr oder weniger im Abseits.

Deutschland muss außenpolitisch gestalten, weniger verwalten

Egal wer den nächsten Kanzler stellt und egal wie sich die nächste Koalition zusammensetzt: Die neue Bundesregierung muss nach der Wahl stärker Position beziehen und eine scharfkantigere Agenda erstellen. Angela Merkel hat Deutschland durch eine Vielzahl internationaler Krisen gesteuert. Sie tastete sich mit Vorsicht, Maß und Mitte an politische Lösungen heran.

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© Reto Klar | Reto Klar

Doch diese Linie wird künftig nicht mehr reichen. Die deutsche Außenpolitik muss mehr gestalten, weniger verwalten. Das beginnt zunächst mit der Erkenntnis, dass Amerika auch unter US-Präsident Joe Biden den Blick nach innen richtet. Biden hat eine Herkulesaufgabe vor sich: Er muss sein tief gespaltenes Land heilen, die Corona-Krise überwinden und die Wirtschaft ankurbeln.

Neue Bundesregierung muss Initiative ergreifen

Dies erhöht den Druck auf die EU, mehr geopolitische Muskelkraft aufzubauen. Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat von Europa „Weltpolitikfähigkeit“ gefordert, seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen die „Sprache der Macht“. Beide Ansprüche wurden bisher nicht eingelöst.

In der Wirtschaft bringt die EU zwar erhebliches Gewicht auf die Waage. Aber in der Weltpolitik ist Brüssel ein Papiertiger. Die neue Bundesregierung muss die Initiative ergreifen, um Europa zu stärken. Der Kontinent muss als Ganzes wettbewerbsfähiger werden.

Deutschland muss sich für Menschenrechte einsetzen

Peking hat das Leitbild „Made in China 2025“ entworfen – in wenigen Jahres will die Volksrepublik in zehn Schlüsselbranchen wie E-Mobilität, Robotik oder Pharmazie Weltmarktführer sein. Warum hat die EU nicht ähnlich ambitionierte Ziele? Deutschland könnte hier Schrittmacher sein. Klar ist: Aus wirtschaftlicher Kraft erwächst politischer Einfluss.

Auch mit Blick auf die autoritären Tendenzen in Polen oder Ungarn sollte die Bundesregierung Klartext reden. Appelle für mehr Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit dürfen nicht vom Hochsitz der moralischen Überlegenheit erschallen. Sie müssen eingebettet sein in ein Gesamtkonzept Europas als politische, wirtschaftliche und demokratische Macht.

Deutschland muss einen Zielkatalog für Auslandseinsätze erarbeiten

Das schließt die transatlantische Partnerschaft mit Amerika nicht aus, aber sie muss neu definiert werden. Die Vereinigten Staaten bleiben für Deutschland und Europa wichtig.

Militärische Auslandseinsätze wie das Debakel in Afghanistan dürfen sich nicht wiederholen. Die nächste Bundesregierung sollte einen Zielkatalog für künftige Missionen entwickeln: Was soll mit welchen Mitteln erreicht werden und bis wann? Und: Was heißt das für Bundeswehroperationen wie in Mali?

Berlin und Brüssel sollten an einem Strang ziehen

Mehr Mut und mehr klare Sprache wären auch mit Blick auf die autoritären Großmächte Russland und China wünschenswert. Je mehr Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen, desto durchschlagskräftiger die Botschaft. Der Schutz von geistigem Eigentum und die Rechtssicherheit von Unternehmen müssen von Peking lautstark eingefordert werden. Leisetreterei hilft nicht weiter.

Das hat nichts mit einem Konfrontationskurs zu tun – Kooperationen wie beim Kampf gegen den Klimawandel verstehen sich von selbst. Die Welt wartet nicht auf Deutschland. Die neue Bundesregierung muss raus aus dem Schlafwagenmodus.