Berlin. In Baden-Württemberg können Steuersünder online gemeldet werden. Grüne-Kanzlerkandidatin Baerbock sieht darin ein Vorbild für den Bund.

Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock befürwortet eine bundesweite anonyme Meldeplattform zur Ermittlung von Steuerbetrügern. „Die nächste Bundesregierung sollte das auch einführen“, sagte sie dem Fernsehsender ProSieben. Und fügte hinzu, das wäre eigentlich „auch Aufgabe eines Bundesfinanzministers gewesen“ – ein Seitenhieb gegen ihren SPD-Konkurrenten, Bundesfinanzminister Olaf Scholz.

Vorbild ist das grün regierte Baden-Württemberg. Dort kann man „diskret, sicher und anonym“ Steuerstraftaten oder „sonstige Verfehlungen“ gegen Steuergesetze melden, wie die Finanzverwaltung wirbt. Ein Parteifreund Annalena Baerbocks, Finanzminister Danyal Bayaz, hatte das Projekt forciert. Anfang der Woche wurde das Portal freigeschaltet.

Lindner: Portal gegen Steuerbetrug wäre Aufforderung zu Denunziantentum

Mit der FDP könnte Baerbock so ein Portal nicht durchsetzen. Parteichef Christian Lindner, der in der nächsten Bundesregierung Finanzminister werden will, sagte unserer Redaktion, die Digitalisierung der Finanzverwaltungen sei zwar überfällig. Aber: „Was wir nicht brauchen, ist eine staatliche Aufforderung zu Denunziantentum unter Nachbarn. Die Forderung, die jetzt die Grünen erheben, offenbart Misstrauen in die Bürger, nicht Vertrauen“, so Lindner.

Olaf Scholz will die Debatte nicht befeuern und äußerte sich betont zurückhaltend. Er gehe davon aus, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger fair Steuern zahlten, sagte er „Bild“. Zum einen seien es „die Finanzbeamten, die ihre Arbeit leisten müssen“. Zudem gebe es seit Langem „sehr ordentliche Praktiken“.

Eine davon ist die Selbstanzeige. Davon unabhängig kann sich jeder Bürger auch anonym per Brief oder Telefon an die Steuerbehörden wenden. „Im Jahr 2021 sollte das aber auch online gehen“, erläuterte Bayaz im Sender SWR. „Wir sind davon überzeugt, dass es ein richtiger Schritt ist. Und deswegen halten wir selbstverständlich auch daran fest.“

Anzeigen müssen nach seinen Angaben selbstverständlich gut begründet sein, „sonst werden sie von der Steuerfahndung erst gar nicht bearbeitet. Ein einfacher Hinweis genügt ausdrücklich nicht.“ Der Grüne versicherte: „Niemand muss befürchten, dass künftig die Steuerfahndung vor der Tür seht, nur weil der Nachbar ihn angeschwärzt hat. Es geht außerdem um relevante Fälle von Steuerbetrug“, so Bayaz weiter. Lesen Sie hier: Das steht im Wahlprogramm der Grünen

Deutsche Steuergewerkschaft lobt das neue Meldeportal

Für den Bundesvorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, ist das Portal in Baden-Württemberg eher eine Verbesserung. Denn: Die Steuerverwaltung könne durch gezielte Rückfragen den „Anzeigenschrott“ von „werthaltigen Hinweisen“ trennen, erklärte er dem „Handelsblatt“. Sie kann – anders als bei einem anonymen Brief – über das Portal mit dem Tippgeber kommunizieren.

In der Vergangenheit haben die Behörden nicht davor zurückgescheut, selbst Insider in Steueroasen abzuschöpfen: Sie haben für Informationen bezahlt. Erst im Februar hat das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) eine Steuerdaten-CD aus dem Emirat Dubai gekauft.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans machte als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen Schlagzeilen, weil er mehrere solcher CDs von anonymen Informanten in der Schweiz kaufen ließ. In der Folge kam es zu Tausenden Selbstanzeigen. Die öffentlichen Kassen konnten Milliarden einnehmen, die andernfalls dem Fiskus vermutlich durch die Lappen gegangen wären.

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    Steuerbetrug: Die Grünen wollen „Whistleblower“ schützen

    Steuereintreibung ist in Deutschland Ländersache. Insofern liegt es weniger am Bund und eher an den Ländern, dem Beispiel Baden-Württembergs zu folgen. Baerbock denkt weniger in Kategorien von Zuständigkeiten. Ihr geht es vielmehr ums Prinzip. „Wir müssen Orte schaffen, wo auch gemeldet werden kann, wenn man weiß, dass es zu heftigem Steuerbetrug kommt“, erklärte sie.

    Deutschland habe ein „dickes Pro­blem“, sagte die Grünen-Kandidatin und erinnerte an das EU-weite Anliegen, gegen Steuerbetrug und Geldwäsche konsequent vorzugehen. Auch ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck hatte das Portal verteidigt. Um Wirtschafts- und Finanzkriminalität zu bekämpfen, müsse man „auch Whistleblower schützen“.

    Vergleiche mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR hält Baerbock für abwegig. „Das verhöhnt aus meiner Sicht all diejenigen, die in einer Diktatur gelebt haben.“ Parteifreund Bayaz ist nicht weniger irritiert. Die scharfe Wortwahl erklärt er sich mit dem Wahlkampf.

    Auch Eigenthaler beklagte, Begriffe wie „Stasi-Methoden“ und „DDR-Mentalität“ für die Steuerverwaltung seien „ehrabschneidend“. Transparency Deutschland stellte klar, es gehe beim Whistleblowing um Hinweise auf Verstöße, die der Allgemeinheit schaden und deren Aufdeckung im Interesse der Gesellschaft liege, wie Louisa Schloussen, Whistleblowing-Expertin von Transparency, erklärte.

    Union: Kritik an Meldeplattform – und damit auch sich selbst

    CSU-Generalsekretär Markus Blume twitterte, statt sich um die Großen zu kümmern, wollten die Grünen „Denunziantentum fördern und Misstrauen unter Nachbarn säen. Auf was muss man sich noch einstellen, wenn die Grünen an die Regierung kommen?“

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    Der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, kritisierte: „Egal ob links oder rechts – Denunziantentum hat keinen Platz in Deutschland.“ Schon jetzt zeige sich, „wo die Reise mit rot-grün-roter Regierungsverantwortung hingehen würde“, erklärte Frei. Indes hat das Meldeportal noch einen anderen Urheber, der Frei vertraut ist. Schließlich regieren die Grünen in Baden-Württemberg mit der CDU.