Berlin. AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel spricht im Interview über Hürden für die AfD und ihre Position zu einem möglichen neuen Lockdown.

In sechs Wochen wird der neue Bundestag gewählt. Im vierten Teil unserer Interview-Serie mit den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien spricht Alice Weidel über Corona-Politik und die Frage, warum ihre Partei zuletzt wenig punkten konnte.

Frau Weidel, wird es in der nächsten Legislaturperiode eine AfD im Bundestag geben, die in Gänze vom Verfassungsschutz beobachtet wird?

Alice Weidel: Wir rechnen nicht damit. Wenn dem so wäre, werden wir uns mit allen rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen. Wir sehen den Verfassungsschutz als politisch instrumentalisiert. Hier wird eine Behörde aufgefahren, geführt von einem CDUler – Herrn Haldenwang – der sein Mandat ganz klar übertritt und politische Konkurrenz ausschalten möchte.

Es gibt durchaus Anlass zur Beobachtung der AfD. Jüngstes Beispiel: Auf Platz 7 der NRW-Landesliste steht Matthias Helferich, der sich selbst als „das freundliche Gesicht des ns“ bezeichnet.

Er selbst hat dazu erklärt, dass ihm das von der Antifa in den Mund gelegt worden ist. Er hat diese Aussage dann ironisch wiedergegeben. Das sollte für ihn ein warnendes Beispiel sein, dass man mit Ironie nicht spielen sollte.

Wir haben mehr Beispiele: Auf Listenplatz drei in Sachsen findet sich ein Kandidat, der mit der Hand auf dem Herz am ehemaligen Führerhauptquartier Wolfsschanze posiert. Da kann man doch nicht von einer Politisierung des Verfassungsschutzes sprechen...

Der Verfassungsschutz ist dennoch politisch instrumentalisiert, denn er ist auf dem linken Auge blind. Die Bedrohungslage für AfD-Politiker und -Funktionäre ist unvergleichbar hoch. Deswegen würden wir uns sehr viel mehr Neutralität auf dem Feld nicht nur des Links- und Rechtsextremismus, sondern auch des religiösen Extremismus wünschen.

AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel auf einem Balkon des Jakob-Kaiser-Hauses. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services
AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel auf einem Balkon des Jakob-Kaiser-Hauses. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services © Reto Klar | Reto Klar

In vier Jahren AfD im Bundestag haben Sie acht Fraktionsmitglieder verloren, Ihre Führung wird kritisiert und in der Partei herrscht Dauerstreit. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Bilanz?

Wir haben unser Ziel erreicht, diese Fraktion erfolgreich durch die erste Legislatur zu führen. Es ist eine Herausforderung, wenn man parallel einen kompletten Verwaltungsapparat aufbauen muss. Dementsprechend blicken wir zuversichtlich in die zweite Legislaturperiode. Dass vereinzelte Leute etwas zu meckern haben, gibt es auch bei anderen Fraktionen.

Warum sollten Bürgerinnen und Bürger im Herbst ausgerechnet die AfD wählen?

Weil wir die echte Oppositionspartei im Bundestag sind. Ich sehe keine echte Oppositionsarbeit bei den anderen.

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Ihre Wählerinnen und Wähler scheinen aber unzufrieden mit dieser Oppositionsarbeit zu sein: Bei den letzten drei Landtagswahlen hat die AfD überall Stimmen eingebüßt …

Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Vor allen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg waren das klare Personenwahlen. Da gibt es einen starken Ministerpräsidenten bzw. eine Ministerpräsidentin, die auch medial gepusht wurden und davon sehr profitiert haben. Das zweite: Wir konnten nicht von unserer Kritik an Corona-Maßnahmen profitieren. Da haben wir viel an die FDP verloren. Wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen, uns nach außen weiter professionalisieren und daran arbeiten, dass wir in der Mitte der Bevölkerung als seriös wahrgenommen werden.

Trotzdem wird mit Ihnen niemand koalieren wollen. Mit wem könnten Sie sich denn eine Koalition vorstellen?

Sie haben Recht, es ist problematisch, dass niemand mit uns koalieren möchte. Obwohl wir in den ostdeutschen Ländern mit der CDU eine deutliche Mehrheit für eine rechts-konservative Koalition hätten. Das ist für uns vorstellbar, wir streben eine Regierungsbeteiligung an. Es ist für die anderen aber ein No-Go. Wir müssen zu einer Regierungsbeteiligung kommen, damit wir zeigen können, wie eine Regierung unter AfD-Beteiligung aussieht.

Zwei Themen bewegen die Menschen derzeit besonders: Corona und das Klima. Zu beidem haben Sie keine Antworten, die funktionieren – beim Corona Nichtstun, beim Klimawandel weiterleben wie bisher…

Ich kann das in beiden Punkten nicht bestätigen. In der Corona-Krise haben wir sehr früh gefordert, dass das Vorsichtsprinzip walten muss, solange die Lage noch nicht eindeutig ist. Die Entwicklung hat uns da recht gegeben. Wir sind dem Vorsichtsprinzip gefolgt, aber mit der Auflage, klare Kriterien gegenüber der Bevölkerung zu definieren. Das ist bis heute ausgeblieben. Wir sind für eine Aufhebung der pandemischen Lage, die Gesetze aushebelt. Wir sind für die Freiheit für alle Bürger, egal ob geimpft oder ungeimpft. Der Staat ist nicht in der Position, Gnadenrechte zu verteilen.

Sie sagen, die Lage habe Ihnen recht gegeben. Was meinen Sie damit?

Dass Vorsichtsprinzip walten zu lassen, Abstands- und Hygieneregeln einzuführen. Das habe ich in meiner ersten Rede zum Thema Corona gefordert, im März letzten Jahres. Dafür wurde ich damals noch ausgelacht. Und ich habe auch sehr früh gefordert, das medizinische Personal mit Schutzkleidung auszustatten.

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Sie sprechen vom Vorsichtsprinzip. Aber die Partei dringt seit Monaten auf Lockerung, im Wahlprogramm steht eine „Corona-Resolution“, in der alle Vorsichtsmaßnahmen, sogar die Maskenpflicht, abgelehnt werden. Wie passt das zusammen?

Das Vorsichtsprinzip bedeutet nicht einen flächendeckenden Lockdown, der die ganze Wirtschaft kaputt macht und Freiheitsrechte einschränkt. Wir sagen ganz klar: Die Maßnahmen sind völlig überzogen. Sie können nicht die Menschen wegschließen und inkonsistente, rechtswidrige Maßnahmen durchsetzen. Ich hätte mir gewünscht, dass man schon kurz nach dem Ausbruch in China den Bürgern gesagt hätte, ‚seid vorsichtig, da kommt was‘. Wie man das bei jeder Grippewelle tun sollte. Das ist ausgeblieben, da hieß es noch, alles kein Problem, Masken braucht man nicht – weil man keine hatte, das wissen wir heute – und Hände waschen reicht. Und dann völlige Schubumkehr – das macht eine Regierung der Bevölkerung gegenüber unglaubwürdig, und dann schwindet auch die Akzeptanz.

Sie sagen, Sie haben für Vorsicht geworben. Wir haben wahrgenommen, dass sogar AfD-Abgeordnete im Bundestag zum Beispiel immer wieder für Verstöße gegen die Maskenpflicht gerügt wurden. Teile der Partei nehmen geradezu symbolisch die Maske ab.

Am Platz gibt es im Bundestag keine Maskenpflicht, genauso wie am Tisch im Restaurant. Wenn wir gehen, setzen wir die Maske auf, am Platz nehmen wir sie ab, weil wir es dürfen.

Ihre Fraktionsmitglieder wurden auch auf den Gängen zur Ordnung gerufen…

Da gibt es auch welche, die von der Maskenpflicht befreit sind und trotzdem angebrüllt wurden.

Wir laufen aktuell in einen neuen Pandemie-Herbst, die Zahlen steigen – und die AfD lehnt alle Maßnahmen ab. Wie stellen Sie sich eine verantwortliche Pandemiebekämpfung vor?

So, wie ich das geschildert habe – mit Hygiene- und Abstandsregeln, damit kann man schon sehr viel abfangen. Auf keinen Fall mehr ein Lockdown, denn der ist wirtschaftsschädigend und auch gesellschaftlich hoch bedenklich. Wir sollten in Richtung Herdenimmunität gehen, wie das auch andere Länder machen, Dänemark zum Beispiel. Und die Bundesregierung sollte transparenter sein, was die Impfungen angeht: Das Ziel, dass 85 Prozent der Menschen geimpft sein sollen, ist nicht mehr sinnvoll, weil ja auch Geimpfte infektiös sein können. Da sollten wir mit weniger Hysterie argumentieren, die Menschen frei entscheiden lassen und weiter in Forschung und Entwicklung investieren.

Alice Weidel: „Man sollte diese Probleme ernst nehmen. Gibt es einen Klimawandel, falls ja, was induziert ihn und was können wir im Konkreten tun?“
Alice Weidel: „Man sollte diese Probleme ernst nehmen. Gibt es einen Klimawandel, falls ja, was induziert ihn und was können wir im Konkreten tun?“ © Reto Klar | Reto Klar

Reden wir über das Klima: Viele Menschen sorgen sich, dass ihre Kinder und Enkel einen Planeten vorfinden, auf dem man nicht mehr lebenswert leben kann. Was ist die Antwort der AfD auf diese riesige Herausforderung?

Man sollte diese Probleme ernst nehmen. Gibt es einen Klimawandel, falls ja, was induziert ihn und was können wir im Konkreten tun? Wovon wir Abstand nehmen sollten, ist, dass Deutschland allein einen Sonderweg geht, um das Klima zu beeinflussen. Deutschland hat am weltweiten CO2-Ausstoß einen Anteil von etwa zwei Prozent. Die Frage ist: Was ist innerhalb unserer Kontrolle? Was müssen wir international verhandeln? Und gehen wir hier nicht einen absoluten, wirtschaftsschädlichen Sonderweg? Wir machen uns abhängig vom Ausland. Welcher Industriestaat kommt darauf, gleichzeitig aus Atomkraft und den fossilen Energien auszusteigen?

Es gibt einen breiten wissenschaftlichen Konsens, dass der Klimawandel existiert und menschengemacht ist. Warum glaubt die AfD, es besser zu wissen als Forscherinnen und Forscher weltweit?

Die Wissenschaftler, auf die Sie sich beziehen, sind unter dem Dach des IPCC, das ist eine reine Lobbyveranstaltung, hauptsächlich gestützt von Al Gore.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die den jüngsten Sachstandsbericht geschrieben haben, arbeiten ehrenamtlich, sind nicht beim IPCC angestellt. Für den Bericht wurden 14.000 Studien ausgewertet.

Und diejenigen, die eine abweichende Meinung haben, werden gar nicht mehr gehört. Warum werden diese Leute mundtot gemacht?

Es wird auch über Minderheitsmeinungen zum Klimawandel berichtet. Sie sagen, wir haben nur zwei Prozent Anteil am CO2-Ausstoß. Wenn jeder so argumentiert, ändert sich gar nichts. Ist das verantwortlich?

Was ich damit sagen möchte: Wir müssen unterscheiden, was in unserer Kon­­trolle liegt und was nicht. Dieser deutsche Sonderweg ist völliger Irrsinn, weil das Weltklima außerhalb unserer nationalen Kontrolle liegt. Das heißt nicht, dass man gar nichts tun sollte. Im Gegenteil, wir sollten in Forschung und Entwicklung investieren und nicht alles vollpflastern mit Windkraftwerken.

Wer wird in der nächsten AfD-Fraktion den Ton angeben – der Flügel oder die Flügel-Gegner?

Wir haben alle Strömungen aus allen Bundesländern in der nächsten Fraktion, wie in der jetzigen auch. Auf der Arbeitsebene müssen wir alle miteinander arbeiten, und so werden wir es auch halten, unabhängig davon, wer den Fraktionsvorsitz übernimmt.

Nach der Bundestagswahl wählt die AfD ihren nächsten Parteivorstand. Wen wollen Sie als Parteichef sehen?

Bis dahin fließt noch so viel Wasser den Rhein hinunter… Ganz ehrlich, das kann ich noch nicht sagen.

Wollen Sie, dass Jörg Meuthen noch einmal als Parteichef antritt?

Dazu kann ich nichts sagen. Das muss Herr Meuthen selbst entscheiden.

Haben Sie mal überlegt, selbst anzutreten?

Das ist für mich bisher kein Thema.