Berlin. Homosexuelle haben in Polen mit Diskriminierung zu kämpfen. Warschau wollte dagegen halten – doch könnte mit einem Gesetz scheitern.
„Stoppt Pädophilie“ steht auf einem der Transporter, die in dieser Woche durch polnische Städte fuhren, auch durch Warschau. Doch die Fassade täuscht: Bei dem Autoprotest ging es nicht um den Schutz von Kindern, sondern vor allem um die Ablehnung von Homosexualität.
„Manche Kinder werden von Schwulen allein zum Zweck der Vergewaltigung adoptiert“, schallt es aus den Lautsprechern, auf den Transparenten, die auf die Vans gespannt sind, stehen ähnliche Aussagen. Ein Pinselstrich in Regenbogenfarben prangt hinter einem Verbotsschild.
„Pro Life“-Bewegung propagiert in Polen gegen vermeintlichen „LGBTQ-Terror“
Die Transporter gehören zur polnischen „Stiftung für das Recht auf Leben“, dem dortigen Ableger der „Pro Life“-Bewegung. Die sogenannte Lebensrechtsbewegung ist eine soziale Strömung, die sich primär gegen Schwangerschaftsabbrüche einsetzt. In Polen ist für die Anhänger der Bewegung aber auch die Ausmerzung von Homosexualität ein wichtiges Thema.
Viele Polen lehnen Homosexualität ab, immer wieder gibt es in dem EU-Land politische Debatten wegen homophober Gesetzgebung. Bei der Wahl 2019 bekamen die rechtskonservativen Parteien eine absolute Mehrheit im Parlament. Seither hat sich die Situation für nicht-heterosexuelle Menschen in Polen deutlich verschlechtert.
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Polen steht schon länger wegen „LGBTQ-freien Zonen“ in der Kritik
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden weiterhin nicht anerkannt. Seit 2019 erklären sich immer mehr Gebietskörperschaften Polens zu sogenannten „LGBTQ-freien“ Zonen. LGBTQ steht dabei für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer. Kommunen, die auf diese Weise ausgrenzen, erhalten sogar Geld aus dem Staatshaushalt. Eine Kompensation für gestrichene EU-Gelder, sagt die PiS-geführte Regierung. Menschenrechtsaktivisten sehen darin lediglich eine Belohnung homophober Politik.
Wegen dieser Zonen leitete die EU zuletzt sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein. Das Land habe bisher nicht vollständig und angemessen auf die Befragung über die Ausrufung sogenannter "LGBT-freier Zonen" in einigen Regionen und Kommunen geantwortet, teilte die EU-Kommission mit. Die polnische Regierung hat nun zwei Monate Zeit, auf ein entsprechendes Schreiben zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission das Verfahren bis vor den Europäischen Gerichtshof bringen.
Warschau hatte Anfang Juli Resolution gegen „Pro Life“-Transporter erlassen
Warschau gilt in Polen noch als vergleichsweise LGBTQ-freundliche Stadt. Hier hatte der Stadtrat zuletzt sogar beschlossen, dass die Transporter der „Pro Life“-Bewegung nicht mehr durch die Stadt fahren dürfen. Nichtregierungsorganisationen feierten die Verabschiedung der Resolution Anfang Juli als „großartigen Tag“.
41 Stadträte stimmten damals für das neue Verbot, 18 dagegen. Es besagt, dass in der Hauptstadt Warschau keine Fahrzeuge fahren dürfen, die mit Bannern oder per Durchsage Botschaften verbreiten, die Personen, Bevölkerungsgruppen oder Institutionen „in einer falschen und gleichzeitig in den Augen der Öffentlichkeit beleidigenden, lächerlichen oder erniedrigenden Darstellung“ zeigen oder andeuten, „dass diese Personen Handlungen begehen, die nach den allgemein geltenden Rechtsvorschriften als Straftaten anerkannt sind.“
Werbung auf Transportern: homophob, wissenschaftsfeindlich und unangemessen
Die neue Regelung zielt direkt auf die Anti-Abtreibungs- und Homophobie-Vans von „Pro Life“ ab, die monatelang durch die Straßen Warschaus fuhren und homophobe und wissenschaftsfeindliche Inhalte per Poster und Megaphon verbreiteten.
Auf den Vans befanden sich aber auch drastische Fotos von sezierten Föten. Das wurde ebenfalls mit der Resolution untersagt: Fahrzeuge, die mit derartigen Bildern ausgestattet sind, insbesondere solche von menschlichen Leichen oder Überresten und Teilen eines menschlichen Fötus, dürfen fortan nicht mehr in der polnischen Hauptstadt verkehren.
Rechte Politiker wollen Verbot von öffentlicher Diskriminierung in Warschau wieder kippen
Für den rechten Flügel des Warschauer Stadtrats ist das Verbot „ein Skandal“, wie polnische Medien berichten. Konservative Politiker begehren nun dagegen auf: Die Bezirksstaatsanwaltschaft hat nun einen Antrag an den Verwaltungsbezirk Masowien, zu dem Warschau gehört, gestellt, die Resolution des Warschauer Rates wieder aufzuheben.
Das Verbot – in Polen bisher einzigartig – steht damit auf der Kippe. Für homosexuelle Menschen könnte die Alltagsdiskriminierung in der Hauptstadt so wieder deutlich zunehmen. Oft fahren die Transporter in polnischen Städten stundenlang an beliebten Straßenzügen vorbei und verbreiten homophobe Botschaften.
Dass auch die Regierung des Landes auf deutlichen Abstand zu LGBTQ-Menschen geht, zeigte sich erst neulich bei den olympischen Spielen: Staatspräsident Duda gratulierte der Mixed-Staffel nahezu zeitgleich mit der Zielüberquerung zu Gold. Als am Mittwoch aber der Doppelvierer der Frauen die Silbermedaille gewann und sich danach eine der Ruderinnen outete, ließ sich der sportbegeisterte Duda mit den Glückwünschen ganze 24 Stunden Zeit.
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