Biesenthal. Die Grünen wollen im Wahlkampf endlich über Inhalte reden – zum Beispiel ihr Klimaschutz-Sofortprogramm. Doch es gibt Hindernisse.
Viel grüner hätte man sich die Kulisse nicht bauen können für diesen Termin. Annalena Baerbock und Robert Habeck haben vor ein paar Bäumen in der Sonne Position bezogen, vor ihnen im Gras sitzen Reporter. Ameisen, Schmetterlinge und Mücken bevölkern die kleine Lichtung, es riecht nach Sonnencreme, Insektenspray und Wald. Das Biesenthaler Becken, gut 40 Kilometer nordöstlich von Berlin, präsentiert sich charmant – ein guter Ort für die wahlkämpfenden Grünen, um zu erklären, wie sie das Klima und damit auch Naturschutzgebiete wie dieses in Zukunft schützen wollen.
Baerbock und Habeck, grüne Parteivorsitzende, sind an diesem Nachmittag nach Brandenburg gereist, um endlich den Wahlkampf anzufangen, den sie eigentlich die ganze Zeit führen wollen. Die Monate nach der Kür von Kandidatin Baerbock waren, vorsichtig formuliert, holprig für die Partei. Statt über Themen mussten die Grünen über ihre Kandidatin reden, über deren aufgehübschten Lebenslauf, über immer neue Stellen in ihrem Buch, die offenbar kopiert sind.
Auch als das Wasser nach Westdeutschland kam, die Flut zahlreiche Orte in NRW und Rheinland-Pfalz zerstörte und die Klimakrise deutschlandweit auf die Titelseiten spülte, blieb die Partei zurückhaltend. Baerbock fuhr zwar in die betroffenen Gebiete, verzichtete aber auf Medienbegleitung. Auf keinen Fall wollte man sich dem Vorwurf aussetzen, die Katastrophe zu instrumentalisieren, um den eigenen Wahlkampf wieder aufs Gleis zu bringen.
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Baerbock: „Größtes Klimaschutzprogramm, was es jemals in diesem Land gegeben hat“
Doch nun soll Schluss sein mit Defensive. Mit Nachdruck setzen die Grünen auf Inhalte: In der letzten Woche präsentierte die Parteispitze ein Papier mit Vorschlägen nach dem anderen, Katastrophenschutz, Klimaanpassung. Und schließlich an diesem Dienstag: Ein gemeinsamer Spaziergang der beiden durchs Moor in Brandenburg und ein Klimaschutz-Sofortprogramm. Das größte Klimaschutzprogramm, „was es jemals in diesem Land gegeben hat“, wie Baerbock sagt.
Das Papier beschreibt eine Vision für die ersten 100 Tage einer neuen Regierung mit grüner Beteiligung: Wöchentlich soll eine Klimataskforce der Regierung tagen und in drei Monaten ein ambitioniertes Programm auf die Beine stellen. Deutlich höhere Ausbauziele für erneuerbare Energien plant die Partei, ein Gesetz, das zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft reserviert, eine Solarpflicht auf den Dächern, ein Kohleausstieg bis 2030, ein Masterplan Ladeinfrastruktur für E-Autos.
Grüne wollen Umweltministerium mit Veto-Recht
Sieben eng bedruckte Seiten füllen die Pläne. Umsetzen soll das die Bundesregierung – und ein Umweltministerium mit neuem Aufgabenzuschnitt, das auch ein Veto einlegen kann bei Gesetzesvorhaben anderer Ministerien, die mit den Pariser Klimazielen nicht vereinbar sind. „Es ist die Ambition, die Richtlinienkompetenz neu zu eichen“, sagt Habeck. Eine Regierungsbeteiligung, ohne dass man überprüfbar mit Maßnahmen auf dem Weg zum 1,5 Grad-Ziel sei, mache keinen Sinn.
Und auch an die Moore wie hier im Biesenthaler Becken hat die Partei gedacht, für sie soll es eine Schutzstrategie geben, die Wiedervernässung der Flächen, wie es in der Fachsprache heißt, soll gefördert werden.
Wiedervernässung, so erklärt Naturschützer Christian Unselt, während er das grüne Spitzenduo durch den Wald führt, kann einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, weil damit verhindert werde, dass beim Austrocknen der Moore klimaschädliche Gase freigesetzt. Der Naturschutzbund (Nabu), dessen Vizepräsident Unselt ist, hat daher hier begonnen, Flächen zu kaufen und die Gräben, die das Wasser aus den Mooren leiten, zu blockieren.
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Während Unselt erklärt, meldet sich plötzlich ein Mann zu Wort: Hartmut Zerbe, er ist Stadtverordneter in Biesenthal, der Gemeinde, zu der das Moor gehört. Und er ist Anlieger – Zerbe hat eine Fläche hier, die er verpachtet, und sorgt sich, dass diese unbrauchbar werden könnte, wenn das komplette Gebiet verwässert wird. Unselt gibt Entwarnung: Wo Privateigentum betroffen sei, werde die Verwässerung nicht genehmigt. „Dankeschön“, sagt Zerbe, und der Tross aus Parteiteam, Umweltschützer und Journalisten zieht weiter. Nur Baerbock bleibt zurück und lässt sich von Zerbe noch einmal genauer erklären, was ihm hier gehört und welche Sorgen er hat.
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Die Kandidatin weiß: Wenn es reichen soll für eine Regierungsbeteiligung im September, muss sie nicht nur das Vertrauen von Naturschützern gewinnen, sondern auch das von Menschen wie Hartmut Zerbe. Doch gerade ihre persönliche Glaubwürdigkeit hat in den letzten Monaten gelitten. Die Umfragewerte der Partei hatten sich zuletzt stabilisiert, knapp unter dem Niveau, das sie im April hatten, bevor Baerbock zur Kandidatin gekürt wurde. Die Werte der Kandidatin selbst allerdings sind schwach – nur 13 Prozent der Befragten sagten in der jüngsten Umfrage, sie würden Baerbock direkt zur Kanzlerin wählen, Tendenz sinkend.
Baerbock sucht den Persönlichen Kontakt zu Wählern. Kann Sie das?
Richten soll es deshalb jetzt der persönliche Kontakt: Ab der kommenden Woche sind die Parteivorsitzenden auf Wahlkampftour, am Montag noch gemeinsam, anschließend getrennt. Sieben Wochen lang wird Baerbock dann versuchen, auf den Marktplätzen der Republik die Menschen von sich überzeugen.
„Sie hat dafür Verständnis, dass man die Sachen diskutieren muss“, sagt Hartmut Zerbe, als sein Gespräch mit Baerbock vorbei ist. Es klingt nicht unfreundlich. Aber auch nicht besonders überzeugt.
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