Berlin/Ahrweiler. Angela Merkel besucht die Katastrophenregion und trifft verzweifelte Menschen. Auch in Bayern und Österreich kommt es zu Überflutungen.
Da, wo die Fluten besonders wüteten, wo sie rund 110 Menschenleben forderten, wo Tausende Menschen ihre Existenz verloren, stand am Sonntagnachmittag eine deutlich bewegte Bundeskanzlerin.
„Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für diese Verwüstung“, sagte Angela Merkel, die an der Seite der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), das komplett zerstörte Eifelörtchen Schuld besuchte. Es sei eine „surreale, gespenstische Situation“.
Ähnlich wie am Tag zuvor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der den Opfern im nordrhein-westfälischen Erftstadt Hilfen zusagte, versprach die Kanzlerin schnelle Unterstützung. „Wir stehen an Ihrer Seite, Bund und Land, um die Welt wieder Schritt für Schritt in Ordnung zu bringen in dieser wunderschönen Gegend“, sagte Merkel in Adenau im Ahrtal. Am kommenden Mittwoch werde die Bundesregierung ein Hilfsprogramm verabschieden. Und Ende August werde sie wiederkommen, verspricht Merkel.
Ahrtal, Rheinland-Pfalz
Auch während des großen Besuchs ruht in den Dörfern die Arbeit nicht. Mechanisch wuchten die Menschen die Trümmer, die die Fluten hinterließen, in Container. Alte und Junge, Frauen und Männer, auch Jugendliche packen an. Der Schock sitzt noch immer tief. So viele Tote wie in Rheinland-Pfalz gab es in keiner Region.
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„Wir wissen nicht, was wir in den Kellern finden. Leider müssen noch deutlich mehr Tote befürchtet werden“, sagt ein Feuerwehr-Abschnittsleiter in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Auch sei nicht klar, wie viele Menschen vermisst werden, so Lars Brummer von der Polizei Koblenz. „Wir haben keinen Handyempfang und wissen nicht, wer noch in seinen Wohnungen oder Häusern ist.“ Die Sorge um die Angehörigen belastet viele.
Eine Anwohnerin berichtet von einer Bekannten, die per Smartphone das letzte Zeichen von ihrem Ehemann bekam, als er in der Katastrophennacht 80 Meter vom gemeinsamen Haus entfernt auf einen Baum kletterte. Seitdem ist er verschollen. Sie hoffe immer noch, dass ihr Mann überlebt habe.
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Rolf Schmidt aus dem kleinen Dorf Marienthal steht mitten in den Trümmern seines Hauses. Alles ist hin. „Das Wasser kam so schnell. Ich bin mit meiner Frau hoch. Erst bis in den zweiten Stock. Dann bis unters Dach. Das Wasser kam bis zur letzten Stufe hoch.“ Er habe aus dem Fenster gesehen, wie Autos über Autos vorbeischwammen, die von den hoch gelegenen Dörfern heruntergespült wurden. „Alle hatten wegen eines Kurzschlusses die Rücklichter an. Es war gespenstisch.“
Noch immer müssen Menschen von den Dächern geholt werden. Wie die junge Familie mit ihren zwei kleinen Kindern. Sie haben sich auf das Spitzdach ihres Hauses gehangelt. Gerade als sie oben waren, brach die Vorderwand des Hauses ein, so eine Anwohnerin. Die Familie konnte mit einem Hubschrauber in Sicherheit gebracht werden. „Wir haben bis zu 20 Hubschrauber im Einsatz“, so Brummer von der Polizei. „Wir sind Tag und Nacht im Einsatz.“
Was wird die Zukunft bringen? Auch Andy Neumann, Polizist aus Ahrweiler, der seit Tagen ununterbrochen gegen den Schlamm ankämpft, quält diese Frage. „Wie will man Tausende Häuser wieder trocken kriegen?“ Auf Hilfen aus der Politik hoffe man. Aber: „Oft sind es nur Lippenbekenntnisse. Die Corona-Hilfen sollten ja auch unbürokratisch fließen.“
Helmut Lussi, Bürgermeister des 700-Seelen-Dorfes Schuld, sprach von einer Schadenssumme von allein 48 Millionen Euro. Viele Hausbesitzer hätten aber keinen entsprechenden Versicherungsschutz. Zurzeit drängt aber noch ein anderes Problem: die Verpflegung. Manche Geschäfte wurden überflutet. „Und die Läden, die geöffnet haben, die haben nichts mehr. Alle Lebensmittel ausverkauft“, sagt eine Frau, die mit den Tränen kämpft. Die Versorgung wird jetzt über die Luft organisiert. Lebensmittel sollen abgeworfen werden.
Gefahr in Erftstadt, Nordrhein-Westfalen
46 Menschen, die im Wasser umkamen, 59 Menschen, die noch vermisst werden – auch in Nordrhein-Westfalen ist die Trauer um die Opfer groß. Vor allem in der vom Hochwasser besonders betroffenen Ortschaft Erftstadt westlich von Köln suchen Töchter, Söhne, Mütter und Väter noch nach ihren Angehörigen.
Was in Erftstadt passierte, sei an Dramatik nicht zu überbieten, so die Feuerwehr. Mindestens drei Wohnhäuser und der Teil einer historischen Burg sind im Wasserschlamm verschwunden. Mehr als 40 Meter der Autobahn A1, die Köln mit der Eifel verbindet, sind in die Erft gestürzt.
In Blessem war durch die Fluten ein riesiger Krater entstanden. Die Lage ist angespannt. Noch ist nicht klar, ob der Kraterrand nicht weiter einstürzt.
Hochdramatisch bleibt die Lage an der Steinbachtalsperre südwestlich von Bonn: Dort fließt das Wasser langsamer als erwartet ab. Deshalb sollten Experten am Sonntag die Lage des von einem Bruch bedrohten Staudamms neu bewerten.
Hochwasser im Berchtesgadener Land, Bayern
Erst traf es den Westen Deutschlands und dann plötzlich mit voller Wucht den Süden Bayerns: Ungläubig starrten die Menschen dort auf die Verwüstungen, die die reißenden Fluten am Sonnabendabend hinterließen. Mit Schaufeln räumten sie Schlamm und Geröll im Landkreis Berchtesgadener Land beiseite.
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Sintflutartige Regenfälle hatten dort den Fluss Ache über die Ufer treten und Hänge abrutschen lassen. Mehrere Gebäude drohten einzustürzen, Straßen wurden überflutet. Der Landkreis rief den Katastrophenfall aus. „Fahrzeuge auf den Straßen wurden zum Spielball der Wassermassen“, so der Einsatzleiter.
Unwetter in Tirol und Salzburger Land, Österreich
Von schönen Ferien in Österreich sei man nun weit entfernt, sagte ein Sprecher, nachdem in der Nacht zum Sonntag heftiger Regen heruntergegangen war. Betroffen waren die Regionen um Salzburg, Tirol und Wien.
In Hallein an der Grenze zu Bayern wurden Teile der Altstadt überflutet. Die Behörden sicherten am Sonntag die tiefer gelegenen Teile der Stadt gegen eine neuerliche Überflutung ab, erklärte die Polizei. Zugleich seien Aufräumarbeiten in der Altstadt im Gange. „Wir gehen von einem Millionenschaden aus.“
Hochwasser: Belgien und Niederlande
Immer noch kämpfen auch die Menschen in Belgien gegen die Wassermassen an. Mindestens 31 Menschen kamen ums Leben, berichten die Behörden am Sonntagabend. Nach und nach erst wird das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Mehr als 160 Menschen würden noch vermisst.
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Auch im Süden der Niederlande setzen die Anwohner entlang der Maas mit Sandsäcken den Kampf gegen das Hochwasser fort. In der Stadt Venlo nahe der Grenze zu Nordrhein-Westfalen und den umliegenden Orten wurden Tausende Menschen zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgerufen.