Berlin. Die Elitetruppe KSK soll nun den Rückzug der Bundeswehr aus Masar-i-Scharif absichern. Doch die Taliban rücken immer weiter vor.

Die radikal-islamischen Taliban sind in Afghanistan auf dem Vormarsch - und das schneller, als befürchtet. 50 der 370 Bezirke im Land sind nach Angaben der Vereinten Nationen seit Beginn des Abzugs ausländischer Nato-Truppen Anfang Mai von den militanten Islamisten eingenommen worden. Das gilt auch für das Einsatzgebiet der Bundeswehr.

Die Taliban verbreiteten über den Kurznachrichtendienst Twitter ein Foto, das auch in Deutschland Besorgnis auslöste: Es zeigt augenscheinlich einen bewaffneten Taliban-Kämpfer am Westtor von Masar-i-Scharif. Das Tor liegt rund 15 Kilometer von Camp Marmal entfernt, wo noch mehrere hundert Soldaten der Bundeswehr stationiert sind.

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Afghanistan: Eliteeinheit KSK sichert den Abzug der Bundeswehr

Der größere Teil des Stützpunkts wurde bereits an die afghanischen Streitkräfte übergeben. Wenige Stunden nach dem Bild stellte die afghanische Armee ein Foto eigener Soldaten ins Netz, das offenbar dokumentieren sollte, dass dort weiterhin alles unter Kontrolle sei.

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Doch Tag für Tag wächst die Sorge, dass die afghanischen Sicherheitskräfte, die auch Deutschland mit ausgebildet hat, dem Ansturm nicht gewachsen sind. Sicherheitshalber sind schon seit einigen Wochen 20 Soldaten der Eliteeinheit KSK nach Afghanistan verlegt worden, um den deutschen Abzug zu sichern.

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„Wir verfolgen die Präsenz und die Entwicklung sehr genau“ und sei auf alles vorbereitet, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam der Nachrichtenagentur AFP mit Blick auf das Vorrücken der Taliban. Das Bundeswehr-Lager bei Masar-i-Scharif sei „bislang nicht betroffen“. Am Zeitplan für den Abzug der Bundeswehr, der im Juli abgeschlossen sein soll, habe sich nichts geändert. Die KSK-Truppe nennt sich selbst „The Last 20“, weil sie zu den letzten gehören, die nach Hause zurückkehren.

Die Bundeswehr hatte zudem bereits im April ihr Einsatzkontingent mit zusätzlichen Waffen und Geschützen und gepanzerten Fahrzeugen „robuster ausgestattet“, wie es im Verteidigungsministerium heißt. Bereits jetzt stünden im Camp Marmal umfangreiche Kräfte und Mittel bereit, um auf eine Gefährdung des deutschen Kontingents schnell und wirksam reagieren zu können: Geschützte Fahrzeuge mit den dazugehörigen Waffensystemen. Über boden- und luftgestützte Aufklärungsmittel – darunter die Drohnen Heron 1 und Aladin – wird regelmäßig ein aktuelles Lagebild erstellt und das Gefährdungspotenzial bewertet, um Schutzmaßnahmen entsprechend anpassen zu können, so das Ministerium.

USA bringen verzögerten Rückzug ins Gespräch

Ein Sprecher des amerikanischen Verteidigungsministeriums hatte wegen der angespannten Lage einen verzögerten Rückzug ins Gespräch gebracht. Das Verteidigungsministerium sei bereit, flexibel auf die Lage zu reagieren, hieß es in Washington. Derzeit gebe es zu viel Gewalt. Die USA bewahrten sich deshalb „Flexibilität“, sollten Änderungen am Tempo oder am Umfang des Abzugs nötig sein, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Der Abzug der US-Truppen soll nach den Plänen von Präsident Joe Biden bis spätestens 11. September abgeschlossen sein. Auch die übrigen Nato-Truppen sollen bis dahin aus Afghanistan abgezogen sein. Nach Pentagon-Angaben ist der US-Abzug derzeit etwa zur Hälfte vollzogen.

Taliban-Kämpfer hatten schon am Montag die strategisch wichtige Stadt Kundus umstellt. Nach Angaben eines Mitglieds des Provinzrates von Kundus blockierten die Aufständischen wichtige Verbindungsstraßen in die Nachbarprovinzen. Am Dienstag brachten sie dann den wichtigsten Grenzposten zu Tadschikistan ganz im Norden der Provinz Kundus unter ihre Kontrolle.

Bewaffnete Zivilisten kämpfen gegen die Taliban

Mittlerweile bewaffneten sich Zivilisten und Anhänger verschiedener politischer Parteien und schlossen sich den Sicherheitskräften der Regierung an. Das bestätigten lokale Behördenvertreter der Deutschen Presse-Agentur. In der Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif etwa hätten politische Parteien oder Persönlichkeiten insgesamt rund 2000 Männer zum Schutz der Stadt gesandt, sagte die Parlamentarierin Fausia Hamidi.

Die Ankündigung aus dem April, dass alle ausländischen Einsatzkräfte das Land in den Folgemonaten verlassen würde, habe ein „Beben“ in Politik und Gesellschaft des Landes ausgelöst, sagte die Sondergesandte Deborah Lyons am Dienstag vor dem UN-Sicherheitsrat in New York.