Berlin. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt stellt sich gegen einen noch höheren CO2-Preis. Zudem fordert sie neue „Mietobergrenzen“.

Die Grünen sind ins Schlingern geraten auf dem Weg zur Macht, der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht am Wochenende ein fordernder Parteitag bevor. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagt im Interview, wie viel sie den Menschen beim Klimaschutz zumuten will – und äußert sich zur Frage, ob sie Bundespräsidentin werden möchte.

5,9 Prozent in Sachsen-Anhalt – die Grünen haben den letzten Stimmungstest vor der Bundestagswahl verpatzt. Ist der Baerbock-Boom schon vorbei?

Katrin Göring-Eckardt: Im Bund haben wir eine komplett andere Situation. Wir stehen nach wie vor sehr gut in den Umfragen. Und dass die Bäume für uns im Osten nicht in den Himmel wachsen, ist nicht neu. Aber klar: Wir haben uns in Sachsen-Anhalt mehr erhofft.

Auch im Bund sinken die Grünen in den Umfragen. Müssen Sie Ihr Wahlziel – das Kanzleramt – korrigieren?

Göring-Eckardt: Nein. Uns war klar, dass wir Gegenwind bekommen werden und nicht auf einer Welle einfach ins Kanzleramt surfen. Schließlich geht es um viel. Dass sich die Mitbewerberinnen und Mitbewerber der anderen Parteien auf uns einschießen, spürt man ja gerade. Das gibt uns Gelegenheit, über das zu reden, worum es uns wirklich geht. Unsere Konzepte liegen auf dem Tisch: Die Bewältigung der Klimakrise ist die entscheidende Aufgabe für das nächste Jahrzehnt. Bei der CDU kann man nur rätseln, wofür sie steht.

Die Grünen haben sich einige Hürden selbst gebaut: das Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer, der Vorstoß von Robert Habeck zu Waffenlieferungen an die Ukraine, Annalena Baerbocks nachgemeldete Nebeneinkünfte, der unpräzise Lebenslauf der Kanzlerkandidatin – worüber haben Sie sich am meisten geärgert?

Göring-Eckardt: Das Parteiausschlussverfahren gegen Herrn Palmer war überfällig. Es war gut, dass Robert Habeck in die Ukraine gefahren ist, um auf einen fast vergessenen Konflikt hinzuweisen. Man hätte die Diskussion über die Unterstützung der Ukraine mit größerer Genauigkeit führen können. Das ist ein Konflikt, der diplomatisch gelöst werden muss. Man muss den Menschen dort helfen, indem die OSZE-Mission gestärkt wird.

Und die Kanzlerkandidatin?

Göring-Eckardt: Annalena Baerbock hat sich wahrscheinlich selbst am meisten darüber geärgert, dass manche Informationen nicht präzise genug angegeben wurden. Das sind sicherlich Dinge, die nicht hilfreich sind. Auch der Lebenslauf von Herrn Laschet scheint ja nicht ganz vollständig zu sein. Aber das betrifft alles nicht die inhaltliche Auseinandersetzung in diesem Wahlkampf.

Fehlerhafte Angaben über den eigenen Werdegang sind keine Nebensächlichkeit.

Göring-Eckardt: Das sage ich auch nicht. Aber Frau Baerbock hat ihren Lebenslauf ja nicht bewusst falsch dargestellt, sondern es gab Ungenauigkeiten. Natürlich ist das ärgerlich.

Einen Aufschrei hat Baerbocks Forderung ausgelöst, den Benzinpreis um 16 Cent zu erhöhen. Fehlt den Grünen das Gespür für die Lebenswirklichkeit der Leute?

Göring-Eckardt: Um das noch einmal klarzustellen: Die Bundesregierung hat vergangenes Jahr genau das beschlossen. Wir wollen aus Klimaschutzgründen nur, dass es etwas schneller geht. Aber vor allem schlagen wir im Gegensatz zu den anderen Parteien von Anfang an einen starken sozialen Ausgleich vor: in Form eines Energiegelds und eines Zuschusses für die Sanierung von Gebäuden und den Kauf emissionsfreier Autos.

Diejenigen, die auf dem Land leben und auf ein Auto angewiesen sind, sollen nicht draufzahlen. Der Klimakrise begegnen, das geht nur zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern und mit der Industrie.

Das Energiegeld, das Sie zum Ausgleich planen, soll an alle gehen – ob arm oder reich. Ist das gerecht?

Göring-Eckardt: Unser Konzept sieht vor, dass alle pro Kopf den gleichen Anteil zurückbekommen. Menschen mit hohem Einkommen haben im Schnitt auch einen größeren CO2-Fußabdruck. Unser Energiegeld entlastet nachweislich untere Einkommen. Wer eine große Wohnung hat, mit einem Zweitonner durch die Innenstadt fährt und sich mehrere Flüge im Jahr leisten kann, zahlt natürlich mehr.

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    Die Grünen-Basis will den Parteitag dafür nutzen, einen deutlich höheren CO2-Preis in das Wahlprogramm zu schreiben: Bis 2023 soll die Abgabe für jede Tonne emittiertes Kohlendioxid nicht auf 60, sondern auf 90 oder 120 Euro steigen. Halten Sie auch das für sozial verträglich?

    Göring-Eckardt: Ich glaube, dass wir mit einem CO2-Preis von 60 Euro genau richtig liegen. Das ist ein sinnvoller, ambitionierter Betrag. Wir dürfen niemanden überfordern.

    Wie halten Sie es mit den Kurzstreckenflügen?

    Göring-Eckardt: Wir wollen, dass Flugbenzin fair besteuert wird. Es macht keinen Sinn, alle Treibstoffe zu besteuern, nur Kerosin nicht. Wir wollen auch, dass Kurzstreckenflüge überflüssig werden. Das heißt nicht, dass es diese Flüge ab morgen nicht mehr geben soll. Wir wollen das Bahnangebot so gut ausbauen, dass es Flüge ersetzen kann – weil es dann schneller, komfortabler und günstiger ist. Andere Länder machen uns das längst vor. Und Deutschland wird durch seine zentrale Lage in einem europäischen Nachtzugnetz eine wichtige Rolle zukommen.

    Und Mallorca fällt als Urlaubsziel aus?

    Göring-Eckardt: Nein, natürlich nicht, niemand soll sich bei einem Mallorca-Urlaub schlecht fühlen.

    Wie viele Flüge im Jahr sind okay?

    Göring-Eckardt: Ich bin nicht diejenige, die zu bestimmen hat, wie viele Flüge wer macht. Ich bin als Politikerin dafür da, die Rahmenbedingungen zu setzen, damit klimaneutrale Mobilität möglich ist. Es gibt Menschen, bei denen der Großteil der Familie im Ausland lebt – die werden vielleicht häufiger fliegen als andere.

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    Wie wollen Sie die Rahmenbedingungen setzen, damit Bauen und Wohnen nicht noch teurer wird?

    Göring-Eckardt: Wir werden das Klimaabkommen von Paris nur erfüllen, wenn die Gebäude einen großen Teil zur CO2-Einsparung beitragen. Ein Schlüssel ist die energetische Sanierung – vom Solardach über die klimafreundliche Heizung bis zur Wärmedämmung. Der Staat muss hier eine Förderoffensive starten. Wir wollen Klimaschutz für Mieter und Vermieter radikal einfach und günstig machen.

    Heißt konkret?

    Göring-Eckardt: Wir wollen, dass der Staat ein Drittel der Sanierungskosten übernimmt, genauso wie Vermieter und Mieter. Dadurch bleiben die Modernisierungskosten für Vermieter begrenzt und die Umlage für Mieter wird halbiert. Da das Geld nicht zurückgezahlt werden muss, ist das außerdem ein Investitionsanreiz.

    Was soll der Staat dafür ausgeben?

    Göring-Eckardt: Die Förderung für Klimaschutz im Wohnen wollen wir auf sieben Milliarden aufstocken. So viel Unterstützung für Mieter, Vermieter und Hauseigentümer gab es noch nie. Dazu gehört auch, dass die Versorgung mit Fernwärme durch Stadtwerke klimafreundlich wird.

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      Der CO2-Preis verteuert auch das Heizen. Wer soll dafür aufkommen?

      Göring-Eckardt: Diejenigen, die etwas am Zustand der Gebäude und der Wärmeversorgung ändern können. Das sind die Vermieter und Hauseigentümer. Steigen sie etwa auf klimafreundliche Heizung um, fällt weniger oder gar kein CO2-Preis an. Im Übrigen: Eine neue Heizung und eine gute Wärmedämmung werden gefördert und steigern den Wert einer Wohnung enorm.

      Wie denken Sie über einen bundesweiten Mietendeckel?

      Göring-Eckardt: Der Berliner Mietendeckel wurde vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Wir brauchen wirksame Mietobergrenzen. Dann dürfen die Mieten nicht mehr über 2,5 Prozent im Jahr hinaus erhöht werden. Der Staat muss dafür sorgen, dass Wohnen bezahlbar bleibt und die Krankenschwester noch in dem Stadtteil leben kann, in dem sie arbeitet. Das ist in Städten wie Berlin, Köln oder Hamburg oft kaum noch möglich.

      Wenn alles läuft, wie die Grünen sich das vorstellen, wird Annalena Baerbock die zweite Frau im Kanzleramt. Wann bekommt Deutschland seine erste Bundespräsidentin?

      Göring-Eckardt: Die Bundespräsidentenwahl findet erst Anfang nächsten Jahres statt. Es ist noch nicht klar, wie die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung dann sein werden. All diese Entscheidungen werden wir nicht vor der Bundestagswahl ins Auge fassen.

      Sie haben schon vor Längerem gesagt, dass es Zeit wird für eine Frau im höchsten Staatsamt.

      Göring-Eckardt: Wir brauchen überhaupt viel mehr Frauen in allen Spitzenpositionen. Das gilt natürlich auch für die obersten Staatsämter.

      Frank-Walter Steinmeier hat seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit erklärt. Ist die Frage damit vorentschieden?

      Göring-Eckardt: Es ist das gute Recht des Bundespräsidenten, seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit anzumelden.

      Sie selbst werden als Anwärterin auf das höchste Staatsamt genannt. Stehen Sie zur Verfügung?

      Göring-Eckardt: Es ist sehr freundlich, dass mir das zugetraut wird. Aber für dieses Thema ist jetzt nicht die Zeit. Jetzt kommt erst mal die Bundestagswahl und dann wissen wir auch, was für Mehrheiten es in der Bundesversammlung gibt.

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