Berlin. Warum der Umgang der SPD mit dem Rückzug von Franziska Giffey problematisch ist, erklärt unsere Politik-Kommentatorin Miriam Hollstein.

Lange sah es so aus, als ob Franziska Giffey die Sache mit ihrem Doktortitel einfach aussitzen würde. „Der Drops ist gelutscht“, hatte sie noch im November erklärt. Nun tritt sie doch zurück. Damit kommt sie offenbar der Aberkennung des Titels zuvor. Der Vorgang wirft viele Fragen auf.

Die naheliegendste: Ist es wirklich nötig, dass Politiker zurücktreten, wenn sie bei ihrer Promotion nicht sauber gearbeitet haben? Bei Annette Schavan und Karl-Theodor zu Guttenberg muss das bejaht werden. Schavan, weil sie als Bildungsministerin nicht mehr tragbar gewesen wäre; zu Guttenberg, weil das Ausmaß des Plagiats zu groß war.

Bei Giffey ist der Fall offenbar anders: Weder scheint sie in so massivem Umfang wie zu Guttenberg abgeschrieben zu haben, noch wirkt sich die Aberkennung eines Doktortitels unmittelbar auf ihre Familienpolitik aus.

Was im Bund nicht geht, geht wohl in der Hauptstadt

Natürlich haben Politiker eine Vorbildfunktion und müssen für Fehlverhalten wie normale Bürger zur Rechenschaft gezogen werden – aber hätte der Verlust des Doktortitels ähnliche Konsequenzen, wenn Giffey nicht Politikerin wäre, sondern einen anderen Beruf hätte? Gehen musste Giffey am Ende, weil sie selbst angekündigt hatte, im Falle der Aberkennung des Titels entsprechend zu handeln.

In der Tat wäre ein Wortbruch unverzeihlich gewesen. Doch nun fängt es an, kniffelig zu werden. Wie passt es zusammen, dass sie den Posten der Familienministerin räumt, aber weiter als Spitzenkandidatin für die Berliner SPD bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September antreten will?

Das Signal ist: Was im Bund nicht geht, geht in der Hauptstadt allemal. Das dürfte dem ohnehin angeschlagenen Image Berlins (wie auch der Berliner SPD) nicht eben zuträglich sein. Eine vertrauensbildende Maßnahme beim Wähler ist es auf keinen Fall.

Problematisch ist aber auch der Umgang der SPD mit der Causa. Für sie kommt Giffeys Rückzug im Bund zur Unzeit, geht es doch darum, in den verbleibenden vier Monaten bis zur Bundestagswahl die Partei aus dem Umfragetief zu holen.

Christine Lambrecht und ihr neuer „Nebenjob“

Dass Justizministerin Christine Lambrecht das Familienministerium nun bis September mit übernimmt, ist der Versuch, die Lücke schnell und geräuschlos zu füllen. Unbestritten ist Lambrecht eine erfahrene Politikerin. Sie hat den Vorteil, dass sie sich nicht mehr in die Abläufe eines Ministeriums einarbeiten muss und mit ihrem Vorstoß zur Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz bereits familienpolitisch einen Aufschlag gemacht hat.

Miriam Hollstein, Politik-Korrespondentin.
Miriam Hollstein, Politik-Korrespondentin. © David Hollstein | David Hollstein

Dennoch hinterlässt diese Nachbesetzung den faden Beigeschmack, dass für die SPD Familienpolitik offenbar so unwichtig ist, dass sie eine Justizministerin noch „nebenbei“ zusätzlich zu ihrem Vollzeitjob wuppen kann. Von den anderen Themengebieten, die zum Portfolio der Familienministerin gehören (Senioren, Frauen, Jugend), ganz zu schweigen.

„Gedöns“ hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder das Ressort mal genannt. Auf diesem Niveau scheint es in der Wahrnehmung der SPD inzwischen wieder angekommen zu sein. Das ist fatal, denn zu den Gruppen, die am stärksten unter der Pandemie gelitten haben, zählen die Familien. Monatelang haben sie sich zwischen Beruf, Hausarbeit und Homeschooling aufgerieben, mussten neben den eigenen Belastungen auch noch die der Kinder auffangen.

Sie hätten nun die volle Aufmerksamkeit der Politik verdient. Sie hätten verdient, dass sich an Giffeys Stelle ein familienpolitisch versierter Politiker oder eine versierte Politikerin ihnen und ihren Bedürfnissen mit ganzer Kraft widmet – und sei es nur für vier Monate. Schade, dass die SPD diese Chance so leichtfertig verschenkt hat.