Berlin. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, spricht im Interview über Autos der Zukunft und Urlaubsreisen nach Mallorca.

Frans Timmermans ist auf Kurzbesuch in Berlin – es geht um die Umsetzung der europäischen Klimaziele. Im Interview mit unserer Redaktion sagt der Vizepräsident der EU-Kommission, wie stark sich die Bürger einschränken müssen.

Herr Vizepräsident, die EU verschärft ihre Klimaziele, will bis 2050 klimaneutral sein. Wie hart werden die Maßnahmen, um die Emissionen zu senken? Kommt auf die Menschen ein Klima-Lockdown zu?

Frans Timmermans: Nein. Wir müssen unsere Wirtschaft umbauen - aber so, dass alle ihre Arbeit behalten oder neue Arbeit finden. Wir haben als Zwischenziel gesetzt, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren. Das kann die Wirtschaft schaffen.

In drei Bereichen sind die Herausforderungen besonders groß: bei den Gebäuden, in der Landwirtschaft und beim Verkehr. Da müssen wir nachlegen.

„Wenn man sich einmal pro Jahr eine Flugreise gönnt, entsteht gar kein Problem - weder für das Klima noch für das eigene Portemonnaie“, sagt EU-Klimakommissar Frans Timmermans im Interview.
„Wenn man sich einmal pro Jahr eine Flugreise gönnt, entsteht gar kein Problem - weder für das Klima noch für das eigene Portemonnaie“, sagt EU-Klimakommissar Frans Timmermans im Interview. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Und zwar wie? Ihre Gesetzesvorschläge zur Umsetzung der Klimaziele werden mit Spannung erwartet ...

Timmermans: Wir werden unseren Entwurf - etwas später als geplant - am 14. Juli vorstellen. Dann wird alles, was wir machen, gründlich überprüft sein. Die große Frage bei diesem Wandel ist die soziale Frage. Wir dürfen niemanden zurücklassen. Nur wenn wir den Umbau sozial gerecht organisieren, werden wir die Unterstützung der Bevölkerung behalten.

Wenn man ein gutes Einkommen hat und die Energierechnung geht ein bisschen hoch, dann ändert sich sehr wenig für die Leute. Aber wenn man nicht viel verdient, wenn man eine kleine Rente hat, haben höhere Energiepreise einen unheimlichen Einfluss auf die Lebensqualität. Da müssen wir aufpassen.

Was bedeutet das für den Flugverkehr? Wollen Sie Kurzstreckenflüge abschaffen?

Timmermans: Wir wollen uns befreien von Kurzstreckenflügen, aber nicht mit Verboten oder höheren Preisen. Wir wollen es so organisieren, dass es für die Leute attraktiver wird, mit dem Zug zu fahren. Wir erwarten auch, dass die Fluggesellschaften mit den Eisenbahnbetreibern zusammenarbeiten.

Das gemeinsame Angebot soll zeigen, dass es bei Strecken unter 600 bis 800 Kilometern keinen Sinn mehr macht, das Flugzeug zu nehmen - einfach weil es länger dauert.

„Niemand muss zehn oder zwölfmal im Jahr fliegen“, ist sich EU-Klimakommissar Frans Timmermans sicher.
„Niemand muss zehn oder zwölfmal im Jahr fliegen“, ist sich EU-Klimakommissar Frans Timmermans sicher. © dpa | Soeren Stache

Fliegen soll nicht teurer werden?

Timmermans: Es gibt ein Element, das wir einbeziehen müssen und das natürlich einen Effekt auf den Preis hat: Wenn man mit der Bahn oder mit dem Auto fährt, zahlt man Steuern auf Strom oder Benzin. Wenn man dagegen fliegt, wird Kerosin von der öffentlichen Hand nicht belastet. Da gibt es noch Unehrlichkeit, das müssen wir lösen.

Ich bin dafür, dass wir Kerosin so besteuern wie andere Treibstoffe. Eine Alternative wäre, den Flugverkehr stärker in den Emissionshandel einzubeziehen. Das führt natürlich dazu, dass Fliegen teurer wird, aber wenn wir gleichzeitig gute und bezahlbare Zugverbindungen mit Schnellzügen oder Nachtzügen bieten, haben die Bürger keine Nachteile.

Mallorca ist nicht mit dem Zug zu erreichen. Wie wollen Sie verhindern, dass solche Urlaubsflüge zu einem Vergnügen für Reiche werden?

Timmermans: Niemand muss zehn oder zwölfmal im Jahr fliegen. Wenn man sich einmal pro Jahr eine Flugreise gönnt, entsteht gar kein Problem - weder für das Klima noch für das eigene Portemonnaie.

Wie lange dauert der Ausbau der Zugverbindungen?

Timmermans: Die Mitgliedsstaaten sind schon dabei, in Bahnstrecken und Schnellzüge zu investieren. Natürlich geht das nicht über Nacht. Aber in sechs oder sieben Jahren werden wir konkrete Resultate sehen.

Und der Autoverkehr? Wollen Sie die Geschwindigkeit auf allen Autobahnen begrenzen?

Timmermans: Das sind nationale Kompetenzen. Aber die Debatte in Deutschland entwickelt sich in eine kluge Richtung. Die Deutschen wissen, dass ihr Verhalten auf der Autobahn einen Einfluss hat auf unser Klima. Da brauchen wir nicht europäisch einzugreifen.

Die Tendenz ist klar - und hat meine Sympathie. Das wichtigste ist allerdings, dass wir bis 2050 ganz emissionsfreien Verkehr haben. Daher müssen wir viel schneller umschalten auf Elektromobilität. Die Autoindustrie hat große Fortschritte gemacht: In fünf Jahren wird ein Elektroauto billiger sein als ein Verbrenner.

Elektroautos werden es schwer haben, so lange die Ladeinfrastruktur lückenhaft ist.

Timmermans: Wir müssen auch auf der europäischen Ebene die Verantwortung übernehmen für die Infrastruktur und gegenüber den Mitgliedstaaten darauf bestehen, dass sie bei Investitionen in die Infrastruktur eben auch die Ladekapazität für Elektromobilität mitdenken. Wir brauchen mehr Ladesäulen, und die Autoindustrie sagt völlig zurecht: Hier muss die Europäische Union gemeinsam liefern.

Die Autoindustrie fürchtet vor allem die nächste Verschärfung der europäischen Emissionsvorschriften. Die Euro-7-Abgasnorm, so die Kritik aus Deutschland, laufe auf ein faktisches Verbot von Verbrennern schon 2025 hinaus.

Timmermans: Das stimmt einfach nicht. Richtig ist: Wir werden langfristig mit den Emissionsnormen strenger werden. Unsere Erfahrung ist aber, dass die Automobilindustrie imstande ist, das zu schaffen.

„Wir brauchen mehr Ladesäulen“, fordert EU-Klimakommissar Frans Timmermans.
„Wir brauchen mehr Ladesäulen“, fordert EU-Klimakommissar Frans Timmermans. © dpa | Christoph Soeder

Soll Deutschland kleinere Autos bauen - wie Italien oder Frankreich?

Timmermans: Nein. Man muss sich nur anschauen, womit Mercedes und BMW jetzt kommen: Das sind große Elektroautos, mit denen man 600 Kilometer am Stück fahren kann. Ich bin zuversichtlich, dass die ganze Autoindustrie den Wandel gut hinbekommen wird.

Wir sollten aber auch Sorge tragen für die Zulieferer, die sich umstellen müssen. Ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen wir dabei unterstützen, in neue Jobs zu kommen, wo das notwendig ist.

Tesla-Chef Elon Musk, spart Energie noch an anderer Stelle - indem er auf Kryptowährungen wie Bitcoin verzichtet. Halten Sie das für geboten?

Timmermans: Ich bin hier kein Experte, aber kann die Entscheidung von Elon Musk nachvollziehen. Der Energieverbrauch von Kryptowährungen ist unheimlich groß. Aber natürlich spielt es eine Rolle, welche Art von Energie verbraucht wird. Wir müssen für nachhaltige Elektrizität sorgen - aus Wind und Sonne etwa.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung zur Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes veranlasst. Wie haben Sie das aufgenommen?

Timmermans: Ich bin immer begeistert, wenn eine Regierung strengere Klimavorgaben beschließt. Wenn wir nicht schnell unsere Gesellschaft umgestalten, dann werden unsere Kinder und Enkelkinder Kriege um Nahrung und Wasser führen. Unsere Aufgabe ist gigantisch. Wir müssen jetzt damit anfangen. Wenn ein Industrieland wie Deutschland vorangeht, besteht eine gute Chance, dass andere folgen. Dieses Vorbild kann inspirieren.

Ist Deutschland tatsächlich der Vorreiter beim Klimaschutz, als den es sich gerne ausgibt?

Timmermans: Es gibt verschiedene Herausforderungen in verschiedenen Mitgliedstaaten. Das kann man nicht immer vergleichen. In Deutschland gibt es noch Kohle und Bergbau. Der Ausstieg ist bis 2038 beschlossen …

… reicht Ihnen das?

Timmermans: Natürlich hätte ich gerne, dass es schneller geht mit dem Kohleausstieg in Deutschland. Aber ich bin schon mal froh, dass es diesen Ausstiegsplan gibt. Und ich verstehe, dass die Bundesregierung die Bergbauregionen und die Gewerkschaften mit im Boot haben will.

Dass die Bundesregierung jetzt noch schneller voranschreiten will, kann uns nur helfen. Aber gerade weil es um unsere Kinder und Enkelkinder geht, ist mir hier noch eine weitere Weichenstellung wichtig.

Die wäre?

Timmermans: Es ist höchste Zeit, dass 16-Jährige in ganz Europa zur Wahl gehen können. Wenn wir Klimaschutz für unsere Kinder und Enkelkinder machen, sollen sie auch abstimmen können. Ich bin 60 Jahre alt und weiß nicht, ob ich das Jahr 2050 noch erlebe. Aber wenn wir bis dahin Klimaneutralität erreichen, wird es unseren Kindern besser gehen. Und das ist doch eine schöne Sache.