Berlin. Knallt es im Nahen Osten, brodelt es in Europa. Importierte Konflikte nahmen seit der Flüchtlingskrise zu. Zum Leidwesen der Juden.

Vor dem Pfingstwochenende sorgen sich die Bundesländer, dass es erneut zu Ausschreitungen auf Anti-Israel-Kundgebungen kommen könnte. Überrascht können die Sicherheitsbehörden nicht sein. „Wir haben immer wieder solche Auseinandersetzungen gehabt“, sagte Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), unserer Redaktion. Im Jahr 2020 hat das Bundeskriminalamt (BKA) so viele antisemitische Straftaten wie nie zuvor registriert: 2351.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sieht Antisemitismus „bei einem kleinen Teil“ der Muslime in Deutschland. „Wir müssen uns fragen, wenn Menschen zu uns kommen, inwieweit wir einfordern können, dass sie unsere Werte teilen. Denn zu unseren Werten gehört auch der Schutz jüdischen Lebens.“ Wer das nicht achte, habe sein Gastrecht hier verwirkt, sagte er ntv.

Antisemitismus hängt in Deutschland vor allem mit Rechtsextremismus zusammen

Judenfeindlichkeit hat keinen Mi­grationshintergrund. Sie ist großteils hausgemacht und rechtsex­trem. Im linken Spektrum und bei muslimisch geprägten Demons­tranten richtet sich der Antisemitismus speziell gegen Israel. Für den Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, ist israelbezogener Judenhass „die verbreitetste Form von Antisemitismus“.

Er sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, in allen Religionen und politischen Milieus vertreten. „Solche Hetze wird auf Demonstrationen wie im Netz immer offener verbreitet, das konnten wir auch bei den Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sehen“, sagte er unserer Redaktion.

Eskaliert der Nahost-Konflikt, knallt es auch in Europa

Auch die importierten Konflikte aus der Nahost-Region sind nicht zu bestreiten und als Treiberfaktor der Frau bewusst, die 2015 für ihre Weltoffenheit geachtet wurde: Angela Merkel (CDU). Im israelischen Fernsehsender Channel 10 News erklärte die Kanzlerin 2018, „wir haben jetzt auch neue Phänomene, indem wir Flüchtlinge haben oder Menschen arabischen Ursprungs, die wieder eine andere Form von Antisemitismus ins Land bringen“.

Eskaliert der Nahost-Konflikt, knallt es auch in Europa. Nachdem 2000 die zweite Intifada begonnen hatte, kam es dem Expertenkreis Antisemitismus zufolge zu „der juden- und israelfeindlichen Welle von 2002, in der erstmals junge Muslime als Tätergruppe in einigen europäischen Ländern hervortraten“. Auch interessant: Israel und Hamas: Wer kämpft wofür im Nahen Osten?

Judenhass: Wer mit einem Feindbild aufwächst, legt es nicht beim Grenzübertritt ab

Kein Politiker, kein Verbandsvertreter, kein Innenminister hätte vom Hassausbruch am Wochenende überrascht sein dürfen. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, war es sicher nicht. Als 2015 und 2016 mehr als eine Million Flüchtlinge ins Land kamen – seither zwei Millionen Asylanträge –, sah er harte Zeiten auf die Juden zukommen.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingspolitik sagte er, „viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des ‚Islamischen Staates‘ und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil ist“. Wer mit einem solchen Feindbild groß geworden ist, lege es nicht einfach beim Grenzübertritt ab. Er sah die Herausforderungen bei der Integration von Asylbewerbern voraus.

Sie bestehen bis heute fort, wie die Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) betont: „In der Präventionsarbeit ist es wichtig, dass wir auch einen Fokus auf den Antisemitismus setzen, der nicht von rechts oder links, sondern aus muslimischen Milieus stammt. Antisemitismus muss umfassend bekämpft werden.“

Die Polizei ist bei politischen Konflikten oft der Blitzableiter - allein bei den Anti-Israel-Demonstrationen wurden über 90 Beamte verletzt.
Die Polizei ist bei politischen Konflikten oft der Blitzableiter - allein bei den Anti-Israel-Demonstrationen wurden über 90 Beamte verletzt. © dpa | Marijan Murat

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Integrationsbeauftragte: Antisemitismus und Judenhass mit voller Gesetzeshärte begegnen

Es gibt eine Vielzahl Studien über die Judenfeindlichkeit unter Muslimen. 2015 zeigten in einer Umfrage der Anti-Defamation-League 14 Prozent der Christen in Deutschland antisemitische Neigungen, 20 Prozent unter den Atheisten und 56 Prozent bei Muslimen. 2017 interviewten Wissenschaftler der Universität Regensburg 750 Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea, Afghanistan und dem Irak: „Über die Hälfte der muslimischen Befragten weist deutliche Tendenzen zu antisemitischen Einstellungsmustern auf.“

Davon haben sich die Verbände großteils frei gemacht. Sowohl der Zentralrat der Muslime in Deutschland als auch der Moscheeverband Ditib verurteilten die Angriffe gegen Juden. Das blieb dem Antisemitismus-Beauftragten Klein nicht verborgen. Er nimmt sie in die Pflicht. Um jüdische Menschen in Deutschland zu schützen, müssten die demokratischen Kräfte aller Gruppen laut gegen Judenhass zusammenstehen „und zeigen, dass wir die Mehrheit sind“. Auch interessant: Anti-Israel-Demos: Vizekanzler Scholz verurteilt Judenhass

Widmann-Mauz wählt noch einen anderen Ansatz: „Wir müssen Antisemitismus und Judenhass, ganz gleich ob er von Rechtsextremisten oder geopolitisch motiviert von Muslimen kommt, mit aller Härte des Gesetzes begegnen.“ Wer wie zuletzt vor Einrichtungen wie Synagogen und Gemeindehäusern judenfeindliche Parolen brülle und hetze, „der übt keine politische Kritik, sondern verbreitet üblen Antisemitismus“. Auch Gewerkschafter Radek ist für klare Kante: Wer das Gastrecht genieße und es missbrauche, „muss mit Konsequenzen rechnen“, bis hin zu einer Abschiebung. Kritik an Israels Politik sei durch die Versammlungsfreiheit gedeckt, Antisemitismus nicht.

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