Athen/Berlin. Über Grünen-Politikerin Baerbock ist in griechischen Medien nur Positives zu lesen: Das Land hofft auf einen Neubeginn mit Deutschland.
"Angela geht – kommt jetzt Annalena?", fragt die griechische Tageszeitung "Kathimerini". Dürften die Griechen eine deutsche Bundeskanzlerin wählen, Annalena Baerbock hätte beste Chancen. Über die Grünen-Politikerin ist in den griechischen Medien nur Gutes zu lesen.
"Durchsetzungsstark, talentiert und sehr ehrgeizig", lauten die meistgenannten Attribute. Die Sonntagszeitung "Proto Thema" widmete Baerbock eine Doppelseite. Von Baerbocks Erfolgen als jugendliche Trampolinturnerin wissen die Griechen aus ihren Medien inzwischen ebenso wie von ihrem Master in Völkerrecht an der renommierten London School of Economics.
Die Kanzlerkandidatin der Grünen wird in Griechenland als Anti-Merkel wahrgenommen. Das macht ihre Popularität aus. Denn der Noch-Regierungschefin weint in Griechenland kaum jemand eine Träne nach. Während der Schuldenkrise in den Jahren 2010 bis 2018 sahen die meisten Griechen in Merkel die treibende Kraft hinter dem, was sie als "Spardiktat" empfanden.
Das ist die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock
Baerbock statt Merkel: Griechenland wünscht sich einen Neubeginn mit Deutschland
Der maßgeblich von Berlin verordnete Austeritätskurs stürzte Griechenland in die tiefste und längste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Menschen verloren im Durchschnitt ein Drittel ihrer Einkommen und 40 Prozent ihrer Vermögen. Griechische Zeitungen veröffentlichten Fotomontagen, die Merkel mit Hitlerbärtchen in einer SS-Uniform zeigten.
Vom Tiefpunkt jener Jahre haben sich die Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland nie erholt. "Sie sind heute vermutlich sogar schlechter als während der Schuldenkrise", meint George Pagoulatos, Professor für Europäische Politik und Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Athen. Deutschland werde als ein Land wahrgenommen, "das seine wirtschaftlichen Interessen über die Solidarität mit anderen EU-Mitgliedern stellt".
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Das manifestiert sich aus griechischer Sicht vor allem in der deutschen Türkei-Politik. Merkel gilt als engagierteste Fürsprecherin des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan in Europa. Seit die Türkei im östlichen Mittelmeer mit ihrer Kriegsmarine und Bohrschiffen den Griechen Erdgasvorkommen streitig macht, sind die deutschen Rüstungslieferungen an Ankara in Griechenland ein ständiges Thema.
Dagegen kommen die Grünen mit ihrer Forderung eines Rüstungsstopps an die Türkei an. Generell findet die Klare-Kante-Rhetorik von Baerbock & Co. gegenüber Erdogan ungeteilten Beifall.
Armin Laschet wird als politischer Erbe Angela Merkels gesehen
Während der Unionsspitzenmann Armin Laschet in Griechenland als politischer Erbe Merkels gesehen wird, versprechen sich viele Politiker von einer Kanzlerin Baerbock einen Neubeginn. Offiziell äußert die Regierung in Athen im Hinblick auf die Bundestagswahl keine politischen Präferenzen. "Aber wir hoffen natürlich, dass es besser wird", heißt es in Regierungskreisen. Auch die Flüchtlingspolitik der Grünen stößt auf Resonanz. Die Bereitschaft, Migranten aus den griechischen Insellagern in Deutschland aufzunehmen, wird immer wieder hervorgehoben.
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Ein dritter Punkt, der viele Griechen für die Grünen einnimmt: Die Partei setzte sich zum 80. Jahrestag des Überfalls der Wehrmacht auf Griechenland am 6. April 1941 für eine "erinnerungspolitische Initiative" ein. Dabei soll über die von der Bundesrepublik bisher strikt abgewiesenen griechischen Reparationsforderungen gesprochen werden. Was das konkret bedeutet und in welcher Höhe Reparationen eventuell gezahlt werden sollten, ließen die Grünen allerdings offen.
Mit Ausnahme der 1960 vereinbarten Entschädigungen in Höhe von insgesamt 115 Millionen Mark für bestimmte Opfergruppen hat Griechenland nie einen finanziellen Ausgleich erhalten. Eine Parlamentskommission in Athen schätzte die Summe für die von Deutschland verursachten Kriegsschäden auf mindestens 289 Milliarden Euro. Die Regierung des heutigen konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis bekräftigte im Januar 2020 noch einmal, dass die Reparationsfrage für sie offen sei.
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Sollten die Grünen Teil der neuen Bundesregierung sein, könnte das heikle Thema wieder aktuell werden. Das gilt umso mehr, als die bisherige rechtliche Position Deutschlands alles andere als unangreifbar ist. Zu diesem Schluss ist der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags mehrmals gekommen, zuletzt 2019. Tenor: "Die Position der Bundesregierung ist völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend." Annalena Baerbock weiß das.