Weniger Fleisch essen, mehr Ladesäulen für E-Autos bauen: Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, über Wege aus der Klimakrise.

Dirk Messner denkt langfristig – das muss er auch, denn als Chef von Deutschlands wichtigster Umweltbehörde gehört die Bekämpfung der Klimakrise zu seinen wichtigsten Aufgaben. Im Interview erzählt Messner, wo Deutschland steht im Kampf gegen die Erderhitzung und was das Klima mit dem Essen auf unseren Tellern zu tun hat.

Herr Messner, die Klimaziele 2020 wurden wegen Corona-Effekten überraschend doch noch erreicht. Wie weit ist Deutschland wirklich auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Dirk Messner: Den Corona-Effekt letztes Jahr haben wir auf ein Drittel geschätzt – das heißt, zwei Drittel sind auf Strukturveränderungen und Klimapolitik zurückzuführen. Was positiv ist: Wir haben jetzt in jedem einzelne Sektor Ziele – damit haben wir mehrere Klimaminister.

Bisher war fürs Klima Umweltministerin Schulze allein verantwortlich. Jetzt muss der Verkehrsminister liefern, der Bauminister, der Wirtschaftsminister. Und wer nicht liefert, so wie der Bauminister, der im Gebäudebereich sein Ziel verpasst hat, muss Maßnahmenpakete innerhalb von drei Monaten vorlegen.

Was muss Herr Seehofer denn jetzt liefern?

Messner: Zum Beispiel einen ambitionierten Plan, um die Quote für energetische Sanierungen zu erhöhen. Oder ein Programm, um die Zahl der Solarpanels auf den Dächern deutscher Häuser deutlich auszuweiten. Damit könnten wir die Eigenversorgung von Haushalten mit Energie deutlich stärken. In Baden-Württemberg gibt es bereits eine Solarpflicht bei gewerblichen und öffentlichen Neubauten.

Wäre das bundesweit sinnvoll?

Messner: Ja, das finde ich eine gute Idee – und laut einem Gutachten für uns auch möglich. Wenn das europäische Klimaschutzziel angehoben wird, werden auch wir unsere Ziele für 2030 anheben müssen. Wahrscheinlich wird die Bundesregierung 65 Prozent Emissionsreduzierung bis 2030 ansteuern, wir als Umweltbundesamt halten 70 Prozent für machbar. Aber wenn man das schaffen will, müssen wir in jedem Sektor schnelle und tiefgreifende Reformen durchführen.

Im Verkehrssektor sind die Emissionen in den letzten 20 Jahren kaum gesunken. Warum ist das so?

Auto an einer Ladesäule: Deutschland hat großen Nachholbedarf beim Ausbau der E-Infrastruktur.
Auto an einer Ladesäule: Deutschland hat großen Nachholbedarf beim Ausbau der E-Infrastruktur. © Daniel Bockwoldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Messner: Das ist tatsächlich der einzige Sektor, der verglichen mit 1990 kaum Beiträge geleistet hat, um die CO2-Emissionen zu senken. Wir sind ein Autoland, mit einer großen Automobilindustrie, die die Technologien der Vergangenheit auf Weltniveau beherrscht hat. Das macht den Abschied vom Verbrenner schwierig.

Am Ende des Tages geht es aber darum, dass wir aus dem Verbrenner aus- und auf Elektromobilität umsteigen müssen, sonst gibt es keine CO2-neutrale Mobilität – und keine gute Zukunft für die deutsche Automobilindustrie.

Sie plädieren für ein Aus für Verbrenner bis 2035.

Messner: Wenn ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden, haben wir ja immer noch fast eine Dekade vor uns, in denen noch viele Verbrenner neu zugelassen und dann im Bestand sind. Die werden nicht von heute auf morgen verschrottet – sollen sie auch nicht, das würde umweltpolitisch wenig Sinn ergeben.

Mit Elektroautos lassen sich die notwendigen Minderungen aktuell aber am effektivsten erreichen. Aber wenn wir bis 2050 auf null sein wollen, dürfen wir den Ausstieg aus dem Verbrenner nicht auf den Sanktnimmerleinstag verschieben.

Was kann das Verkehrsministerium tun, um schon nächstes Jahr seine Klimaziele zu erreichen?

Messner: Damit die Elektrifizierung schnell vorangeht, müssen wir dafür die Infrastruktur schaffen. Wenn man die Leute fragt, warum sie nicht auf E-Autos umsteigen wollen, ist - neben der Reichweitenangst - der wichtigste Grund die Sorge, die Autos nicht ausreichend bequem aufladen zu können.

Wie viel Ladeinfrastruktur fehlt uns denn?

Messner: 80 Prozent des Bedarfes an Ladesäulen für 2030. Wir wollen bis 2030 12 bis 14 Millionen E-Autos auf der Straße haben, aber wir haben derzeit noch nicht mal ein Fünftel der Infrastruktur, die dafür notwendig wäre. Im Augenblick sind erst etwa eine halbe Million E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs. Für diese gibt es rund 40.000 öffentliche Ladepunkte. Wenn der Hochlauf der E-Fahrzeuge schnell gehen soll, muss daher die Infrastruktur rasch ausgebaut werden.

Elektroantriebe sind nur mit Ökostrom klimafreundlich. Der Ausbau der Erneuerbaren stockt aber im Moment ziemlich.

Messner: Das stimmt. Klimaneutral sind sie erst dann. Elektrofahrzeuge sind aber schon im heutigen Strommix klimaverträglicher als Verbrenner. Die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Klimadiskussion. Wir brauchen deshalb einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren.

Wenn wir bis 2030 80 Prozent Erneuerbare haben wollen, wie Frau Schulze das anstrebt, wie müssen dann die Ausbaukorridore in den nächsten Jahren aussehen?

Messner: Wir bräuchten eine Beschleunigung um den Faktor 2,5, gemessen am Tempo der vergangenen fünf Jahre. Wir sind bei den Erneuerbaren ein Pionierland. Aber jetzt geht es darum, dass wir die Erneuerbaren schnell in der Breite umsetzen.

Unsere smarte E-Mobilität geht auf Kosten anderer in der Welt. Da kratzen Kinder Seltene Erden aus dem Boden, damit wir hier umweltfreundlich unterwegs sind. Wie kann man das nachhaltiger gestalten?

Messner: Wir müssen nicht nur vom Verbrenner zum E-Auto umsteigen, wir brauchen in der Mobilität insgesamt einen Systemwechsel. Die Zahl von Pkw müssen wir reduzieren – für unsere Umwelt, für unsere Lebensqualität, für unsere Gesundheit. Wir wollen in den größeren Städten über 100.000 Einwohnern von derzeit 450 Pkw pro 1.000 Einwohnern auf 150 runter.

Wie bei sehr vielen Produkten haben wir beim E-Auto globale Wertschöpfungsketten. Da müssen wir dafür sorgen, dass Rohstoffe unter Einhaltung von anspruchsvollen Umwelt- und Sozialstandards gewonnen, effizient verarbeitet und zukünftig durch Recycling im Kreislauf geführt werden.

Wir haben jetzt ein Lieferkettengesetz, bei dem wir Unternehmen mit dafür verantwortlich machen, dass in ihren Lieferketten ökologische und soziale Standards eingehalten werden. Das halte ich für einen sehr vernünftigen Weg. Zudem können wir über die Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen, umweltverträgliches und faires Wirtschaften in Entwicklungsländer voranzubringen.

Deutschland allein kann das Klima nicht retten. Passiert international genug?

Messner: Es gibt zwei Aspekte, die mich zuversichtlich stimmen: Zum einen haben wir in Europa ein ambitioniertes Klimaziel von 55 Prozent definiert, mitten in der Corona-Krise – das ist keine Selbstverständlichkeit. Zum anderen haben wir jetzt wieder eine US-Regierung, die etwas vom Klimaschutz versteht und bei diesem Thema sehr interessante Leute in die erste Reihe geschickt hat.

Aber wir brauchen natürlich auch bei anderen Akteuren Bewegung – die USA und Europa zusammen sind nur für 20 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. 80 Prozent finden außerhalb statt, und ohne die Schwellenländer ist das Problem nicht lösbar. Die USA und die EU müssen gemeinsam daran arbeiten, China und andere Staaten mit an Bord zu nehmen.

Deutsche und europäische Konjunkturprogramme knüpfen erstmals Geld an klimafreundliche Investitionen. Ist das schon eine Trendwende?

Messner: Was die politischen und ökonomischen Leitbilder angeht, hat sich da wirklich sehr viel verschoben. Bei dem, was tatsächlich investiert wird, ist das Bild gemischter: Eine Untersuchung der Universität Oxford und der UN-Umweltagentur hat ergeben, dass eine Handvoll europäischer, technologiestarker Länder viel Geld aus den Konjunkturpaketen in den Klimaschutz steckt.

Da gehören Deutschland, das Vereinigte Königreich, Dänemark, Norwegen und Schweden dazu. Hoffentlich machen die USA bald im großen Stil mit. Aber es gibt eben auch viele Länder, die da große Gelegenheiten verpassen. Dieses Problem sollte in der G 20 auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Die EU ist dabei, sich auf eine Agrarreform mit neuen Förderkriterien zu verständigen. Wie müssen die aussehen?

Messner: Wir müssen die Massentierhaltung reduzieren, damit die zu hohen Stickstoffeinträge sinken und Böden, Wasser, Biodiversität und menschliche Gesundheit weniger belastet werden. Dafür müssen wir ehrlich sein und über den zu hohen Fleischkonsum reden. Weniger Fleisch würde unserer Gesundheit und der Umwelt enorm guttun. Und die europäische Agrarförderung mit Milliardensubventionen sollte an ökologische Leistungen der Landwirte geknüpft werden.

Fleisch in der Auslage: Weniger, dafür eine bessere Qualität - davon würde auch die Klimabilanz der Deutschen profitieren.
Fleisch in der Auslage: Weniger, dafür eine bessere Qualität - davon würde auch die Klimabilanz der Deutschen profitieren. © Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wie viel weniger Fleisch sollten die Konsumentinnen und Konsumenten essen?

Messner: Wir essen schon etwas weniger Fleisch. Aber wenn wir wirkungsvoll etwas ändern und uns an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) halten wollen, dann wäre eine Halbierung des Fleischkonsums in Deutschland das Ziel. Das würde die Massentierhaltung reduzieren und hätte vielfältige positive Umweltwirkungen.

Ob da die Bauern mitziehen, die doch kräftig Fleisch exportieren?

Messner: Jeder kann auf seinem Teller einen Anfang machen. Dafür kaufen wir dann höherwertige Lebensmittel und Fleisch. Dann werden die Landwirte auch fairer bezahlt. Und: In der Corona-Krise haben wir die unhaltbaren Zustände in Teilen der fleischverarbeitenden Industrie erlebt: Niedrigstlöhne, halbseidene Arbeitsverträge, hoher Chemikalieneinsatz in der Tierzucht, der sich in unseren Körpern nachweisen lässt, Massentierhaltung, die schädlich für die Umwelt ist, und zuweilen Zustände in der Tierhaltung, die einem den Atem verschlagen. Das passt nicht zu unserem Bild von einer zivilisierten Gesellschaft, das passt nicht zum Umweltschutz und es ist ungesund für uns Menschen.

Nachhaltiges Fleisch kann sich nicht jeder leisten.

Messner: Wenn Sie weniger Fleisch, dafür aber qualitativ besseres essen, können Sie das im Geldbeutel ausbalancieren. Natürlich müssen Klimaschutz und Gerechtigkeitsfragen zusammengebracht werden. Aber wenn wir nichts tun, unser Ernährungs- und Konsumverhalten nicht verändern, wird es dramatische und sehr teure Klimafolgen geben, unter denen einkommensschwächere Haushalte oft viel stärker leiden.

Und was wichtig ist: Klima- und Umweltschutz sind nicht ursächlich dafür verantwortlich, dass soziale Fliehkräfte in unserer Gesellschaft zunehmen. Da sind vor allem die Steuer-, Bildungs-, Wirtschaftspolitik gefragt.

Zum Schluss ein Ausblick: Schaffen wir es, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten?

Messner: Das ist sehr, sehr schwer zu schaffen. Unter 2 Grad können wir noch bleiben. Der Weltklimarat hat jedoch 2018 gezeigt, dass das globale Treibhausgasbudget, bei gleichbleibendem Ausstoß auf derzeitigem Niveau, in sieben Jahren aufgebraucht wäre, wenn die 1,5 Grad-Leitplanke mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent eingehalten werden sollte. Das ist technisch möglich, aber wirtschaftlich und gesellschaftlich wohl kaum durchsetzbar. Unser Ziel sollte bleiben: eine globale Erwärmung deutlich unter 2 Grad.