Bochum. Die Bundeskanzlerin schwächelt im Wahlkampf-Endspurt, ihr Herausforderer dagegen kommt beim Wahlvolk gut an. Der Kommunikationsexperte Ulrich Sollmann hat das Auftreten der beiden Spitzenkandidaten analysiert - und rät ihnen von weiteren politischen Farbspielereien ab.
Im Wahlkampf geht es in den Endspurt - Zeit für eine erste Bilanz des Abschneidens der Kanzlerkandidaten: Für Amtsinhaberin Angela Merkel fällt sie nach Ansicht des Kommunikationsexperten Ulrich Sollmann nicht gerade positiv aus. Dass sie etwas Einblick in ihren Einkaufsalltag gegeben haben, „das war ein schwerer Fehler von Frau Merkel“, sagt Sollmann. Der Versuch der Kanzlerin, durch diese private Episode Nähe zum Wähler zu erzeugen, sei zum Scheitern verurteilt gewesen.
„Wenn sie so plötzlich und unerwartet Dinge aus ihrem Privatleben erzählt, sind die Wähler erst einmal irritiert. Und Irritation bedeutet eine größere Distanz“, erklärt Sollmann. Außerdem erwarte der Wähler jetzt, in der heißen Phase des Wahlkampfes, dass sich die Kanzlerin mit den wichtigen politischen Themen auseinandersetzt und nicht über ihr Privatleben berichtet.
Farbspielereien beeinflussen den Wähler nicht
SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier dagegen hat es geschafft, Ulrich Sollmann zu überraschen. „Ich hätte nicht gedacht, dass er das Adrenalin-Niveau, das er im TV-Duell gezeigt hat, bis zur Wahl durchhalten kann“, so der Diplom-Sozialwissenschaftler. Steinmeier profitiere dabei auch davon, dass seine Partei auf den letzten Metern geschlossen auftrete. Im TV-Duell zeigte Steinmeier laut Sollmann eine „geniale Kommunikationsstrategie“, indem er statt eines Frontalangriffs auf die Bundeskanzlerin die Moderatoren attackierte.
Problematisch sieht Sollmann die „Farbspielerei“ der Parteien: „Wenn Steinmeier auch jetzt, nach der definitiven Absage der FDP an eine Ampel-Koalition, noch immer davon spricht, dann zeigt das, dass er selbst nicht an seinen Wahlsieg glaubt.“ Sinnvoller wäre es, auf die Koalitionsspekulationen zu verzichten. Die meisten Wähler würden ohnehin eher nach ihren eigenen Parteipräferenzen wählen – die Koalitionsankündigungen der Parteien spielten dabei kaum eine Rolle.
Steinmeier im Aufwind
Auf seinem Onlineportal www.charisma-kurve.de hat Sollmann die User zu dem Auftreten von Merkel und Steinmeier befragt. Der SPD-Kandidat kommt dabei auf ein deutlich besseres Ergebnis als die Kanzlerin. Ihm attestiert die Auswertung ein „markantes Profil“. Den Wählern gefällt, dass Steinmeier ein Typ ist, dem sie zutrauen, dass er die „Ärmel hochkrempeln“ kann. Im Laufe des Wahlkampfs haben sich die Umfragewerte für Steinmeier deutlich verbessert.
Angela Merkel kommt auf einen schwächeren Wert, sie wird von den Usern lediglich als „erinnerbar“ eingestuft. Die Wähler bemängeln, dass sie sich nicht deutlich genug von den verschiedenen Gruppen innerhalb der Union distanziere.
Der Wahlkampf zehrt an den Kandidaten, doch Steinmeier steckt das nach Sollmanns Urteil besser weg. „Merkel merkt man den Stress und die Müdigkeit an“, sagt er. Schon im TV-Duell habe sie Fehler gemacht, indem sie eingeschnappt reagierte, als die Moderatoren sie unterbrachen. „Dass Merkel gegen Ende des Wahlkampfs schwächelt, war zu befürchten“, erklärt Sollmann. Schließlich habe sie auch im Wahlkampf 2005 gegen Schröder in den letzten Wochen deutlich an Vorsprung verloren.
Merkel meidet die Öffentlichkeit
Als Indiz für Wahlkampf-Müdigkeit sieht Sollmann zum Beispiel die Absage der großen TV-Runde mit allen Spitzenkandidaten. „Der Wähler könnte das falsch verstehen – als Kneifen vor der Konkurrenz.“ Das Verhalten sei aber typisch für Angela Merkel. Sie versucht, die Öffentlichkeit zu meiden, weil sie sich in derartigen Situationen, die sie nicht vollständig kontrollieren kann, nicht wohlfühlt.
In der Abrechnung am Wahlabend lagen Merkel und Schröder 2005 fast gleichauf. Ob der SPD dieses kleine Wunder noch einmal gelingt, darüber geben die Analysen der Charismakurve keinen Aufschluss. Am Sonntag machen die Wähler ihr Kreuz nicht beim Namen Steinmeier oder Merkel, sondern bei einer Partei, beziehungsweise einem Direktkandidaten. Doch Sollmann ist sich sicher: „Die Wähler suchen Identifikationsfiguren. Und die finden sie nicht in den Parteien, sondern in Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier.“