Berlin. Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine Frau oder Ex-Partnerin. Die Grünen wollen, dass die Bundesregierung stärker dagegen vorgeht.
Seit am vergangenen Montag die Hauptstadt den Internationalen Frauentag bundesweit als einziges Land als Feiertag beging, sind statistisch gesehen in Deutschland wieder zwei Frauen auf besonders grausame Weise gestorben. Getötet von ihrem männlichen Partner oder Ex-Partner. Jeden dritten Tag verliert eine Frau so ihr Leben. Dazu nimmt Frauenhass in sozialen Medien seit geraumer Zeit in dramatischen Ausmaß zu.
In den letzten Tagen sorgte ein Kriminalfall aus Großbritannien für einen Aufschrei: Die seit gut einer Woche vermisste Sarah E. hatte abends den Heimweg von einer Freundin zu Fuß angetreten, rund 50 Minuten hätte sie normalerweise gebraucht. Doch sie kam nie zu Hause an. Stattdessen wurde die 33-Jährige von einer Straße in Südlondon entführt und getötet. Unter dringendem Tatverdacht steht ein Polizist und zweifacher Vater.
Gewalt gegen Frauen: Gefahr in der Corona-Pandemie gestiegen
Experten fürchten, dass die Corona-Pandemie die Gefahr für Frauen, Opfer häuslicher Gewalt bis zum Tod zu werden, noch verstärkt. Verlässliche Zahlen dafür liegen jedoch noch nicht vor. Die Grünen fordern die Bundesregierung dennoch auf, jetzt zu handeln. Parteichef Robert Habeck und die Innenexpertin der grünen Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, haben einen Forderungskatalog an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) verfasst.
Gewalt gegen Frauen sei eben nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein sicherheitspolitisches Problem: „Jeden dritten Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin, das ist erschütternd. Die Union, die in Sachen Sicherheit sonst gern den harten Hund gibt, muss sich dieses Themas dringlichst annehmen“, sagte Habeck unserer Redaktion. Seehofer müsse geschlechtsspezifische Gewalt und Tötungen endlich auf den Schirm nehmen. Es handele sich um ein strukturelles Problem.
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Jede dritte Frau ist in ihrem Leben von Gewalt betroffen
Nach Angaben des Bundeskriminalamts wurden 2019 insgesamt 245 Tötungsdelikte an Frauen begangen, darunter 125 Morde und 120 Fälle von Totschlag. Bei 78 dieser Mordfälle gab es einen Bezug zu Ehe/Partnerschaft/Familie, beim Totschlag waren es 94 Fälle.
Dazu kommt, dass mindestens jede dritte Frau in ihrem Leben von Gewalt betroffen ist – von Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung, Stalking oder Freiheitsberaubung. 38 Prozent der Taten geschehen unter Ex-Partnern, 33 Prozent unter Eheleuten, 29 Prozent unter unverheirateten Paaren. In mehr als der Hälfte der 2019 angezeigten Fälle (50,5 Prozent) partnerschaftlicher Gewalt lebten Verdächtige und Opfer im gleichen Haushalt, so die BKA-Statistik.
Frauenhass: Grüne fordern Einordnung von Gewalttaten als politisch motivierte Kriminalität
Die Zahl bekannt gewordener Fälle von ausgeübter oder versuchter Gewalt unter Partnern und Expartnern hat in Deutschland die Marke von 140.000 überschritten. Damit setzte sich 2019 der Trend steigender Zahlen fort. Mehr bekannte Fälle können aber auch bedeuten, dass mehr Betroffene zur Polizei gehen. Umgekehrt ist das Dunkelfeld hoch, schrecken viele Opfer vor einer Anzeige zurück. Bei allen Delikten sind Frauen viel häufiger Opfer (81 Prozent) als Männer.
Die Grünen kritisieren nun, dass Gewaltverbrechen, die aus Frauenhass begangen würden, von den kriminalpolizeilichen Meldediensten in Fällen politisch motivierter Kriminalität bislang nicht als eigenständiger Punkt auftauchen würden. Die ehemalige Polizistin Mihalic fordert die IMK auf, dies schnell zu ändern: „Frauenhass muss endlich als Motiv unter Hasskriminalität in der Statistik zu politisch motivierte Kriminalität erfasst werden. Auch eine echte Opferstatistik ist zwingend notwendig.“
Grüne wollen Partnerschaftsgewalt besser erfassen
Außerdem könnten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) die Erfassungskriterien für den Bereich der Partnerschaftsgewalt um die Kriterien „während der Partnerschaft“, „in Trennung“ und „nach der Trennung“ erweitert werden. Dadurch könnten Tatumstände und Motive besser erfasst werden.
Überfällig ist nach Ansicht von Mihalic eine Opferstatistik. Diese müsse mindestens Alter, Geschlecht, das verwendete Tatmittel und den Zeitpunkt der Tat umfassen. Die Länder sollten Sonderdezernate für Hasskriminalität bei Staatsanwaltschaften einrichten. Länderbeauftragte für Hasskriminalität seien sinnvoll, um das Problembewusstsein in Polizei und Justiz zu schärfen.
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Täter waren als Kinder häufig selbst Gewaltopfer
Warum töten Männer so häufig ihre Partnerinnen? Täter waren in Kindheit und Jugend oft selbst Opfer von häuslicher Gewalt. „Ein weiterer wesentlicher Faktor sind individuelle Stressfaktoren – berufliche oder wirtschaftliche Unsicherheiten, Überforderung in der Lebenssituation, in der Kinderbetreuung, was auch immer“, sagte BKA-Präsident Holger Münch vor einigen Wochen zu dem Thema. Rund 30 Prozent der Tatverdächtigen seien Nichtdeutsche, patriarchale Rollenbilder sind ein Faktor.
Bedrohte Frauen können sich an Hilfstelefone oder die Polizei wenden. Sind Kinder in der Beziehung, fällt Frauen dieser Schritt oft noch schwerer. Bundesweit gibt es 350 Frauenhäuser als akute Anlaufstellen. Frauenminister Franziska Giffey (SPD) räumte unlängst ein: „Es sind zu wenig, wir haben weiße Flecken.“
Gewalt gegen Frauen: Femizid explizit ins Strafgesetz?
Würden härtere Gesetze Männer von Tötungsdelikten abhalten? Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) äußerte sich in einem „Spiegel“-Gespräch zurückhaltend zu dem Vorschlag, den Begriff Femizid – also den Mord an Frauen, weil sie Frauen sind – ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. „Wir können solche Taten schon heute entsprechend als Mord oder Körperverletzung mit Todesfolge ahnden.“
Gerichte tun das allerdings nicht immer. Im Jahr 2008 ließ eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs negativ aufhorchen. Die Richter urteilten damals, dass bei der Tötung einer Frau niedrige Beweggründe des Täters – eines der juristischen Kennzeichen für Mord – zweifelhaft seien, wenn das Opfer sich vor dem Tötungsdelikt von dem Angeklagten getrennt habe. Die Arg- und Wehrlosigkeit der vom Ex-Partner getöteten Frau wird so vor Gericht noch zu einem Pluspunkt für den männlichen Täter.
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