Moskau. Der Oppositionspolitiker ist für viele Landsleute ein Hoffnungsträger. Doch seine dunkle Seite reicht bis ins nationalistische Milieu.

  • Alexej Nawalny gilt als Hoffnungsträger im Kampf für mehr Demokratie in Russland
  • Immer wieder stellt sich der Oppositionelle gegen den Präsidenten Wladimir Putin
  • Doch Nawalny hat Verbindungen in die rechte Szene - und äußert sich zuweilen nationalistisch

Alexej Nawalny wusste genau, was er tat, als er kürzlich nach Russland zurückkehrte. Er wusste, dass sie ihn ins Gefängnis werfen würden. Schließlich hatte ihn wenige Monate zuvor ein Killerkommando des Geheimdienstes FSB mit dem Nervengift Nowitschok zu töten versucht. Zumindest deuten darauf laut westlichen Sicherheitsdiensten viele Indizien hin. Dennoch flog der genesene Nawalny Mitte Januar aus Deutschland nach Moskau und ließ sich festnehmen.

Seine ultimative Kampfansage hatte er schon vorbereitet. Kaum saß er in U-Haft, veröffentlichte sein Team ein Skandalvideo über „Putins Palast“. Es zeigt den Präsidenten als prunksüchtigen Möchtegern-Zaren, der eine Geheimresidenz am Schwarzen Meer bauen lässt. Vergoldete Klobürsten inklusive.

Angeblicher Putin-Palast - Nawalny veröffentlicht Video

weitere Videos

    Ist dieser Nawalny lebensmüde? Immerhin hat der russische Präsident Wladimir Putin wiederholt bekundet, dass „Verrat niemals vergeben wird“. Nawalny jedoch scheint alles eingepreist zu haben. Auch den Tod. Der 44-Jährige ruft nicht mehr nur zu Protesten gegen die „Gauner und Diebe“ im Kreml-Apparat auf. Und erstaunlich viele Menschen folgen ihm.

    Nawalny drohen zweieinhalb Jahre Gefängnis in Russland

    Zuletzt protestierten landesweit Zehntausende. Für diesen Sonntag ist die Fortsetzung geplant. Allerdings ohne Nawalny. Am Donnerstag lehnt ein Berufungsgericht seine Haftbeschwerde ab. Am Dienstag soll eine andere Kammer entscheiden, ob eine Bewährungsstrafe aus einem längst erledigten Verfahren doch noch in eine Haftstrafe umgewandelt wird.

    Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia (r.) und den Kindern in der Berliner Charité.
    Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia (r.) und den Kindern in der Berliner Charité. © AFP | Handout

    Viel spricht dafür, dass es so kommen wird. Nawalny dürfte dann für zweieinhalb Jahre hinter Gittern verschwinden. Doch Russlands prominentester Oppositionspolitiker ist nicht nur der messianische Heilsbringer und Bannerträger für Demokratie und Menschenrechte, als den ihn im Westen viele sehen. Der studierte Anwalt ist auch ein ausgebuffter Polit-Taktiker, ein Mann mit zwei Gesichtern. Lesen Sie hier: Verhaftung von Nawalyn: Wird Nord Stream 2 jetzt gestoppt?

    Nawalny sind alle Unterstützer recht – egal, aus welcher Richtung

    Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Herbst gibt er als Marschroute vor, dass sich die Anti-Putin-Front möglichst breit aufstellen soll. Er propagiert eine Zusammenarbeit buntscheckiger Kräfte, die von rechtsextremen Nationalisten und Regimegegnern bis hin zu Altkommunisten reicht. „Selbst wenn wir die Leute hassen, müssen wir mit ihnen kooperieren“, lautet sein Motto.

    Kurz: Alle Gruppierungen sollten sich hinter den Kandidaten scharen, der die besten Chancen gegen die Putin-Leute hat. Diese Leitlinie des „klugen Wählens“ soll auch bei den Parlamentswahlen im September gelten. Aber Nawalny wird auch von einer Kompromisslosigkeit getrieben, die man das Prinzip Martin Luther nennen könnte: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Amen.“ Ein Überzeugungstäter, stets bereit, für seine Idee alles zu opfern.

    Keine knallharte Distanzierung zu früheren Äußerungen

    Geboren ist Nawalny 1976 als Sohn einer Russin und eines Ukrainers. Als der KGB-Mann Putin zur Jahrtausendwende die Macht übernimmt, tritt Nawalny der liberalen Oppositionspartei Jabloko bei. Weil Jabloko dauerhaft erfolglos bleibt, sucht er die Nähe zu Nationalisten und Faschisten. Nawalny nimmt an rechten Aufmärschen teil, hetzt gegen Einwanderer aus Zentralasien und beschimpft kaukasische Separatisten als „Kakerlaken“, die es mit der Waffe in der Hand auszurotten gelte.

    Derlei Äußerungen hat Nawalny in den vergangenen Jahren nicht wiederholt, aber er erklärte auch keine knallharte Distanzierung. Vielmehr hegt er Sympathien für einen gewissen russischen Nationalismus. So rechtfertigt Nawalny die Annexion der Krim durch Moskau 2014. „Man kann die Krim nicht zwischen zwei Staaten hin- und herschieben wie ein Butterbrot“, sagt er kurz und knapp.

    Nawalny bleibt weiter in Haft

    weitere Videos

      Staatliche Verfolgung prägte furchtlosen Nawalny

      Viele im Westen haben das heute vergessen. Für sie ist er der Mann, der den Feldzug gegen die in Russland weit verbreitete Korruption anführt. Als Videoblogger wird er schnell zu einer Youtube-Berühmtheit. Nach der mutmaßlich gefälschten Duma-Wahl 2011 führt er monatelange Massenproteste an. Die Staatsmacht reagiert und überzieht Nawalny mit Prozessen: Betrug, Veruntreuung, Geldwäsche.

      Viel spricht dafür, dass die 2013 einsetzende staatliche Dauerverfolgung Nawalny erst zu dem Mann gemacht hat, der er heute ist. Nawalny sucht die Konfrontation, wo er nur kann, und sei es im sibirischen Tomsk. Dort will er der Kremlpartei Einiges Russland bei der Regionalwahl 2020 Paroli bieten – und wird mit Nowitschok vergiftet. Als er Monate später nach Russland zurückkehrt, sagt er, schon auf dem Polizeirevier: „Habt keine Angst, Freunde. Angst darf man nur vor der eigenen Angst haben.“

      Mehr zum Thema: Putin zum Nawalny-Anschlag: „Wir hätten es zu Ende gebracht“