Berlin. Eine Studie vergleicht die Werte von Zuwanderern mit denen der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland – mit überraschenden Ergebnissen.
Was eint die Einwanderungsgesellschaft? Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat unter diesem Titel in einer repräsentativen Studie die Einstellungen der vier größten Zuwanderergruppen mit jenen von Deutschen ohne Migrationshintergrund verglichen.
Das Ergebnis, das unserer Redaktion exklusiv vorliegt, zeigt: Zwar gibt es in vielen Positionen große Übereinstimmung. Doch in einigen Punkten klafft das Selbstverständnis weit auseinander. Lesen Sie auch: Zuwanderung: Spahn will Fachkräfte, die „unsere Werte“ leben
Befragt wurden insgesamt 3.003 Personen, die älter als 18 Jahre sind. Bei der Auswertung konzentrierten sich die Autoren auf die Gruppe der Spätaussiedler sowie Migranten mit türkischen, russischen und polnischen Wurzeln.
Die Rolle der Religion
Religion spielt bei den Zuwanderern eine viel größere Rolle. Mehr als jeder dritte Deutsche ohne Migrationshintergrund hat keine religiöse Bindung mehr. 39 Prozent stuften sich als „etwas religiös“ ein; nur knapp jeder Zehnte als „sehr religiös“. Bei den Spätaussiedlern bezeichneten sich 38 Prozent als „etwas religiös“, 22 Prozent als sehr religiös.
Bei den polnischstämmigen Migranten waren es 47 Prozent (sehr religiös: 14 Prozent), bei den russischstämmigen Befragten 45 Prozent (sehr religiös: 10 Prozent). Am wichtigsten war die Religion für türkischstämmige Migranten: Fast jeder Zweite bezeichnete sich als religiös, 37 Prozent sogar als sehr religiös.
Auch Meinungsfreiheit wird unterschiedlich bewertet
Welches Konfliktpotenzial daraus erwachsen kann, zeigt ein anderer Wert. Während nur knapp jeder zweite Deutsche ohne Migrationshintergrund der Aussage „Der Staat sollte meinen Glauben besser gegen Beleidigungen schützen“ zustimmte, sind es bei Migranten mit türkischen Wurzeln 80 Prozent.
Die Aussage „Meine traditionelle Lebensweise ist bedroht“ fanden nur 14 Prozent der türkischstämmigen Befragten zutreffend, aber fast jeder fünfte Deutsche ohne Migrationshintergrund. Am stärksten bedroht fühlten sich Spätaussiedler (mehr als jeder dritte). Auch interessant: Sprachkurse: Warum viele Flüchtlinge daran scheitern
Sterbehilfe und Schwangerschaftsabbruch
Nicht zuletzt die ausgeprägte religiöse Orientierung führt bei Migranten dazu, dass sie deutlich konservativer eingestellt sind als die Mehrheitsgesellschaft. So lehnten alle vier untersuchten Zuwanderergruppen Sterbehilfe stärker ab als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Einen Schwangerschaftsabbruch würden 14 Prozent der Deutschen, aber 37 Prozent der türkischstämmigen Migranten verbieten.
Pauschale Urteile über „die“ Deutschen und „die“ Zuwanderer gehen indes fehl. Der Aussage „Bei der Erziehung dürfen Kinder auch mal geschlagen werden“ stimmte fast jeder fünfte Migrant mit polnischen Wurzeln, aber auch zehn Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund zu.
Bei den türkischstämmigen Befragten war es nur ein Prozent. Jeder fünfte Spätaussiedler glaubt, dass auch in demokratischen Gesellschaften bestimmte Konflikte „mit Gewalt ausgetragen werden müssen“ (Deutsche: 7 Prozent; Migranten mit türkischen Wurzeln: 8 Prozent).
„Typisch deutsche“ Tugenden
Als „typisch deutsch“ wahrgenommene Tugenden wie etwa Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erhalten in den Zuwanderergruppen durchgängig mehr Zustimmung als bei den befragten Deutschen. Jeder zweite Befragte mit türkischen Wurzeln nannte es „sehr wichtig“, sich „immer an Regeln zu halten“ – aber nur 23 Prozent der Deutschen ohne Migrationsgeschichte. Mehr dazu: Integration hängt nicht davon ab, wer wie viele Pässe hat
Für 73 Prozent der Spätaussiedler war es sehr wichtig, „immer höflich zu anderen Menschen“ zu sein (Deutsche: 46 Prozent). Auf Pünktlichkeit legten 64 Prozent der Befragten mit türkischen Wurzeln großen Wert, aber nur 30 Prozent der befragten Deutschen.
Diskrepanzen bei den Grundwerten
Hohe Zustimmungswerte quer durch alle Gruppen gab es in der Frage, ob alle Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden und Männer und Frauen gleiche Rechte haben sollten.
Bei anderen Grundwerten zeigten sich allerdings Diskrepanzen: Die Freiheit, das zu glauben, was man will, war nur jedem zweiten Russischstämmigen sehr wichtig, aber 67 Prozent der Deutschen und 80 Prozent der Türkischstämmigen. Weitere Informationen: Wie Zuwanderung in anderen Ländern geregelt ist
„Teilweise gibt es Nachholbedarf“
Die Demonstrationsfreiheit hielten sogar nur 40 Prozent der russischen Zuwanderer für sehr wichtig (Deutsche: 62 Prozent), die Meinungsfreiheit lediglich 55 Prozent (Deutsche: 74 Prozent). Am wichtigsten war die freie Meinungsäußerung nach eigenen Angaben den Zuwanderern mit türkischen Wurzeln (90 Prozent).
Bei allen Unterschieden würden zentrale Werte der deutschen Mehrheitsgesellschaft „im Wesentlichen“ von den Zuwanderern geteilt, so das Fazit der Autoren. Sie warnen aber auch: „Teilweise gibt es Nachholbedarf für die Bedeutung von Presse-, Meinungs-, und Demonstrationsfreiheit sowie für eine gewaltfreie Konfliktlösung.“