Berlin. Der Machtwechsel in Amerika ist besiegelt. Mit US-Präsident Joe Biden hat Europa eine neue Chance. Doch die EU muss klar Flagge zeigen.
Im Bundeskanzleramt macht sich Erleichterung breit, genauso wie in vielen Regierungszentralen der Welt. US-Präsident Donald Trump gibt den Weg frei für den Übergang zur Regierung von Joe Biden . Damit ist der Machtwechsel besiegelt. Die vielerorts geäußerten Befürchtungen über rechtsextreme Milizen, die nach Washington marschieren, bis hin zum Bürgerkrieg erwiesen sich glücklicherweise als Luftnummer.
Endlich! Vier Jahre voll ich-fixierter Dauerbeschallung und bizarrer Muskelspiele gehen zur Neige. Noch nie war die Kommunikation zwischen den USA und Europa derart gestört wie unter Trump. Dessen Schlachtruf „America First“ war für die internationale Gemeinschaft eine Zumutung.
Trumps Attacken auf die Demokratie der USA sind gescheitert
Die EU beschimpfte er als „Gegner“, Deutschland als „Gefangenen“ Russlands. Bei der Nato war er drauf und dran, den Stecker zu ziehen. Verbündete zählten nur, wenn sie blinde Gefolgschaft zusagten.
Mit der Weichenstellung für die Biden-Regierung ist klar: Trumps Attacken auf die Demokratie der USA sind gescheitert. Der Autokrat mit diktatorischen Allüren konnte die Wahl nicht mit pseudolegalistischen Tricks umbiegen. Vergeblich versuchte er, der Presse die Kundschaft abspenstig zu machen, indem er sie als „Feind des Volkes“ brandmarkte.
Vorsicht: Der Nährboden für den Trumpismus ist noch da
Seine Partei, die Republikaner , beschädigte er zwar durch seine All-Dominanz massiv, es gelang ihm aber nicht, sie zu zerstören. Doch vor Illusionen sei gewarnt: Selbst wenn Trump das Weiße Haus räumt, der Nährboden für den Trumpismus ist noch da. Mehr als 73 Millionen Amerikaner haben ihn gewählt.
Darunter sind viele, die ihren früher gut bezahlten Job durch die Abwanderung von Firmen in Billiglohnländer wie China oder Mexiko verloren haben. Zudem gibt es eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit den politischen Eliten in Washington, die – so die Klage – die Sorge der kleinen Leute nicht ernst nehmen. Für sie war der Polterer Trump Sprachrohr.
Joe Biden kann die Wunden einer gespaltenen Nation heilen
Biden wird viel Versöhnungsbereitschaft aufwenden müssen, um die Wunden einer zutiefst gespaltenen Nation zu heilen. Dennoch gibt es derzeit kaum einen, der die Rolle des Psycho-Coachs eines verstörten Landes besser ausfüllen könnte.
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Bidens erste Prioritäten werden der Kampf gegen die immer noch steil ansteigenden Corona-Zahlen sein. Und er wird Milliarden Dollar lockermachen, um die darniederliegende Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen.
Europa darf auf eine neue Ära der Zusammenarbeit hoffen
Für Europa ist der designierte Präsident eine große Chance. Schlüsselministerien werden von erfahrenen Leuten aus der Obama-Ära besetzt. Das macht die Zusammenarbeit mit der anderen Seite des Atlantiks unkompliziert. Amerikas Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation und in den Pariser Klimavertrag erleichtert die globalen Anstrengungen gegen Corona und den Klimawandel .
Dennoch wäre Euphorie fehl am Platz. Die USA setzen zwar wieder auf den Schulterschluss mit den Verbündeten in der Nato . Aber sie werden höhere Verteidigungsausgaben einfordern. Der geopolitische Blick wird sich – wie bereits unter Obama – zunehmend nach Asien richten.
Die Rollen Deutschlands und der EU werden wachsen müssen
Deutschland und die Europäische Union müssen damit rechnen, dass Biden eine klare Positionierung gegenüber China erwartet. Es geht um Sicherheitsbedenken bei der 5G-Technologie von Huawei oder Pekings Politik der Stärke in Bezug auf Hongkong und Taiwan .
Der neue Präsident hat gewaltige Reparaturarbeiten zu Hause zu bewältigen. Deshalb wird Amerika bei internationalen Konflikten auch künftig nicht den Weltpolizisten spielen. Daraus folgt: Auf die Europäer wird mehr Verantwortung zukommen, Krisen und Spannungen in ihrer Nachbarschaft beizulegen.