Berlin. Jürgen Todenhöfer saß im Bundestag, später war er Friedensaktivist. Nun verlässt er enttäuscht die CDU – und will ihr Stimmen abjagen.

In die deutsche Parteienlandschaft ist viel Bewegung gekommen. Die Linkspartei hat sich dauerhaft etabliert, den Piraten gelang ein vierjähriges Gastspiel, und auch die rechte Alternative für Deutschland (AfD) hat mittlerweile Fraktionsstatus. Jetzt will ein altbekanntes Gesicht aus der CDU gemeinsam mit jungen Unterstützern und einer neuen Partei erstmals um den Einzug in den Bundestag kämpfen.

Jürgen Todenhöfer, Ex-Bundestagsabgeordneter, Verlagsmanager, Friedensaktivist und Buchautor will heute an seinem 80. Geburtstag am Brandenburger Tor das „Team Todenhöfer“ ausrufen. Gleichzeitig bricht Todenhöfer nach 50 Jahren öffentlich mit der CDU und will seiner Partei, für die er 18 Jahre im Bundestag saß, im nächsten September möglichst viele Stimmen abjagen.

Jürgen Todenhöfer will mit einer neuen Partei wieder in den Bundestag

Mit Todenhöfer bewirbt sich eine der schillerndsten Figuren der deutschen Politik erneut um ein Mandat. Der promovierte Jurist war von 1972 bis 1990 im Bundestag und zunächst entwicklungspolitischer und später abrüstungspolitischer Sprecher seiner Partei. To­denhöfer zog sich 1978 den Zorn des damaligen Oppositionsführers Helmut Kohl zu, über den er gelästert hatte: „Im Schlafwagen kommt man nicht an die Macht.“

1987 trat Todenhöfer in den Burda-Verlag ein und war stellvertretender Vorstandschef und zweiter Mann hinter Hubert Burda, bevor er 2008 aus dem Verlag ausschied. Seitdem machte er als Friedensaktivist und Reporter mit spektakulären Reisen auf sich aufmerksam. Todenhöfer sorgte für Schlagzeilen mit einem TV-Interview mit Syriens Machthaber Baschar al-Assad sowie einer Reise zu Kämpfern des Islamischen Staates (IS).

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    Spektakuläre Reisen nach Nahost, umstrittene politische Thesen

    Seine Eindrücke verarbeitete To­denhöfer in Büchern, unter anderem in „10 Tage im Islamischen Staat“ und „Warum tötest Du Zaid?“. Bei einer Lesung bezeichnete Todenhöfer den „Islamischen Staat“ als ein „Baby von George W. Bush“. Syriens Machthaber nannte er im Jahr 2012 in vom britischen „Guardian“ geleakten Mails den „einzigen Anführer“, der Syrien „eine stabile Zukunft ohne Fremdherrschaft“ geben könne. Todenhöfer erklärte später dazu, er würde „auch mit dem Vorzimmer von Putin oder Obama flirten, um dem Frieden im Nahen Osten zu dienen“.

    Jetzt ist der 80-Jährige offenbar entschlossen, seiner prallen Biografie ein neues Kapitel hinzuzufügen. Seit eineinhalb Jahren geht er mit der Idee schwanger, in den vergangenen Monaten wurde es konkret. Mit der Partei „Team Todenhöfer“ soll der Einzug in den Bundestag klappen.

    Besuch beim „Islamischen Staat“ – die Reise arbeitete Todenhöfer in einem Buch auf.
    Besuch beim „Islamischen Staat“ – die Reise arbeitete Todenhöfer in einem Buch auf. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Stephanie Pilick

    „Team Todenhöfer“ – wofür soll die Partei stehen?

    Wofür die Partei stehen soll? Der Gründer sagt: „Team Todenhöfer wird eine zutiefst humanistische Partei. Mit Mut zu Dingen, die sich andere Parteien nicht trauen. Sie wird vor allem ehrlicher, menschlicher und unabhängiger sein.“ Schwerpunkte sollen eine Friedenspolitik, mehr Generationengerechtigkeit und eine neue Wirtschaftspolitik werden.

    Todenhöfer: „Die CDU war eine Partei des Friedens, heute steht sie für dreizehn teils völkerrechtswidrige Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das hätte es unter einem Kanzler Kohl nie gegeben. Jeder, der das gefordert hätte, wäre aus der CDU geflogen. Was für ein moralischer Abstieg.“ Lesen Sie hier: Einigung auf CDU-Parteitag im Januar: Wer profitiert davon?

    „Ludwig Erhard würde sich im Grab umdrehen“

    Auch die Wirtschaftspolitik der Regierung treibt ihn um: „Die CDU versteht nichts mehr von Wirtschaft, sie hat ihre Kompetenz auf diesem Feld weitgehend verloren. Ludwig Erhard würde sich im Grab umdrehen, wenn er das staatswirtschaftliche Gerede von Altmaier hören würde“, schimpft Todenhöfer.

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      Er spricht sich für Steuererleichterungen und eine radikale Entbürokratisierung aus. „Ein Drittel der deutschen Verwaltung ist verzichtbar. Deutschland ist überbürokratisiert“, sagt Todenhöfer, der sowohl die heutige FDP als auch die AfD „überflüssig“ findet.

      Todenhöfer (li.) als Abgeordneter mit CDU-Schatzmeister Leisler Kiep.
      Todenhöfer (li.) als Abgeordneter mit CDU-Schatzmeister Leisler Kiep. © imago images/Sven Simon | imago stock

      Partei soll über eigene Mittel und Crowdfunding finanziert werden

      Der Unterstützerkreis für die neue Partei steht offenbar schon. Todenhöfer: „Ich habe in den vergangenen Monaten mit vielen hochrangigen Experten aus allen Disziplinen gesprochen. In meinem Team sind über 3000 Menschen, aus denen sich jetzt ein engerer Kreis von rund 200 Leuten gebildet hat, mit denen wir dieses Projekt starten wollen.“

      Bei der Finanzierung setzt Todenhöfer auf eigene Mittel und Crowdfunding. „Großspenden lehnen wir ab, um unabhängig zu bleiben. Wir wollen Großspenden generell verbieten.“ Nach der Ausrufung seiner Partei will sich Todenhöfer zügig um die offizielle Zulassung beim Bundeswahlleiter bemühen. Die Parteigründung selbst bedarf keines konstitutiven staatlichen Aktes.

      Wie viel Aufbruch ist einem 80-Jährigen zuzutrauen?

      Entscheidender als die Finanzierungsfrage könnte die Frage sein, wie viel Aufbruch Wähler dem 80-Jährigen zutrauen. Todenhöfer selbst hält sich für topfit: „Ich spiele jede Woche Fußball, steige auf die höchsten Berge Südtirols und bin immer noch sechs Jahre jünger als Kanzler Konrad Adenauer zum Ende seiner Amtszeit.“

      Getragen werden soll das Team Todenhöfer überwiegend von jungen Aktivisten. Todenhöfer: „Das wird die jugendlichste und weiblichste Partei, meine Generalsekretärin und Sprecherin ist 24 Jahre alt.“

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        Bei Facebook hat er mehr Abonnenten als Lindner, Scholz und Baerbock zusammen

        Bleibt die Frage der Mobilisierung. Rund 1000 Leute erwartet Todenhöfer trotz strenger Corona-Regeln für die Auftaktveranstaltung am Donnerstagabend am Brandenburger Tor in Berlin. Im Netz kann Todenhöfer andere Zahlen vorweisen. Seine aktuelle Facebook-Seite, auf der sich Todenhöfer jugendlich in Lederjacke neben dem Gandhi-Zitat „Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst“ zeigt, hat aktuell 711.000 Abonnenten.

        Das sind mehr als doppelt so viele, wie FDP-Chef Christian Lindner, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und die Grünen-Chefin Annalena Baerbock gemeinsam haben.