Washington. Abgewählter US-Präsident will trotz Niederlage nicht weichen. Donald Trump hält noch Macht in Händen – unklar ist, wofür er sie nutzt.
- US-Präsident Donald Trump hat das Duell gegen Joe Biden verloren – auch wenn er es sich nicht eingestehen will
- In vielen Bundesstaaten hat er Klagen eingereicht, eine Aussicht auf Erfolg hat er kaum, weil Biden einen großen Vorsprung hat
- Bis zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten sind noch mehr als zwei Monate Zeit. Zeit, in der Trump viel Schaden anrichten kann
2016 dauerte es keine 48 Stunden, bis Barack Obama seinen Nachfolger ins Weiße Haus einlud und mit einem Crashkurs in Sachen Regierungsübernahme versorgte. Vier Jahre später macht Donald Trump bisher keine Anstalten, gegenüber Joe Biden die Gepflogenheiten der zehnwöchigen Übergangsperiode zu erfüllen, die Amerikas Verfassung im Falle eines Machtwechsels vorsieht.
Auch eine Woche nach der Wahl erkennt Trump seine Niederlage nicht an. Seine Kampagne treibt weiter Geld für einen intensiven Rechtsstreit ein. Obwohl bisher alle Versuche, Auszählverfahren in einigen Bundesstaaten juristisch zu torpedieren, fehlgeschlagen sind.
Am Wochenende blamierte sich Trumps Allzweck-Rechtsbeistand Rudy Giuliani, als er in Philadelphia zwischen einem Porno-Shop und einem Krematorium eine Pressekonferenz gab, erneut von flächendeckender, gezielter Benachteiligung Trumps sprach, allerdings wieder keine Beweise vorlegte.
Republikaner gehen auf Abstand zu Trump
Die sollen in dieser Woche samt weiterer Klagen folgen, heißt es in Trump-Kreisen. Dort wird auch die Idee ventiliert, in Kürze Großkundgebungen abzuhalten, in der Trump, der seit Tagen abgetaucht ist, seine Anhänger zum Protest gegen die „gestohlene Wahl“ ermuntern könnte.
An der Spitze der republikanischen Partei trifft Trumps Lust auf juristische Nachhut-Gefechte auf begrenzte Gegenliebe. Senator Roy Blunt (Missouri) fasste zusammen, was viele denken: Trump muss Fakten für seine Betrugsvorwürfe vorlegen – „und diese Fakten müssten für sich selbst sprechen“.
Atmosphärisch kommt erschwerend hinzu, dass sich Schwergewichte wie Alt-Präsident George W. Bush und Präsidentschaftskandidat Mitt Romney bereits mit Glückwünschen bei Biden gemeldet haben.
Donald Trumps Zeit im Weißen Haus läuft ab
Selbst wenn einzelne Betrugsfälle in unteren Instanzen bewiesen werden könnten oder Neuauszählungen geringfügig andere Resultate erzeugten, sei dies kein Rüstzeug, um vor dem Supreme Court zu bestehen. „Dafür werden die Obersten Richter nicht ihren Ruf aufs Spiel setzen“, sagten mehrere Verfassungsrechtler in US-Medien.
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Bei alledem drängt die Zeit. Am 8. Dezember läuft die Frist ab, bis zu der Einsprüche gegen Wahlresultate möglich sind. Bis zum 12. Dezember müssen die Bundesstaaten die Ergebnisse bestätigen und nach Washington melden. Am 14. Dezember kommen die 538 Wahlleute in ihren jeweiligen Staaten zusammen und wählen formal den neuen Präsidenten.
Es sei denn: Einzelne republikanische Landesparlamente hebeln das übliche Verfahren aus, bestimmen nach Gusto Trump-freundliche „Elektoren“ und kreieren so eine „Verfassungskrise“, schreiben führende Zeitungen.
Kommentar: Donald Trump schindet Zeit – das wird ihm nicht helfen
Fox News geht auf Distanz zu Trump
Wahrscheinlichkeit? Derzeit gering. Selbst republikanische Gouverneure, auf die Trump in diesem Szenario ideell angewiesen wäre, schreckten zurück. „Die Langzeitauswirkungen wären verheerend“, erklärten republikanische Wahlrechtsexperten aus Ohio am Wochenende auf Anfrage.
Zumal Trump auf gewohnten Flankenschutz in den Medien nicht mehr bauen kann. Fox News, lange Sprachrohr des Präsidenten, geht bis auf einzelne Propagandisten auf Distanz. Im „Wall Street Journal“, auch im Besitz von Ex-Trump-Sympathisant Rupert Murdoch, raten Kommentatoren, Trump möge seine Niederlage eingestehen. Lesen Sie hier: US-Wahlkrimi: So verschwand Trumps Einfluss auf die Medien
In Trumps Nähe halten sich Bremser und Antreiber die Waage. Tochter Ivanka und Gattin Melania wollen nach sofort dementierten Medienberichten „Potus“ – President of the United States – sanft in Richtung Akzeptanz schieben. Nur so könne Trump seine Rolle als „Königsmacher“ bei den Republikanern behalten und Image-Schaden für seine Firma abwenden. Lesen Sie hier: Donald Trump: Das sind die Kinder des US-Präsidenten
Dagegen befeuern Schwiegersohn Jared Kushner und vor allem die ältesten Söhne Don jr. und Eric Trump den Widerstandsgeist des Vaters.
Justizminister William Barr hat die ihm unterstellten Strafverfolger grundsätzlich zur Untersuchung möglicher Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl ermächtigt. Zugleich betonte Barr am Montag, diese Ermächtigung bedeute nicht, dass sein Haus derzeit über Belege für möglichen Wahlbetrug verfüge.
Trump kann noch eine Menge anrichten
Das alles überdeckt die Frage: Was kann Trump noch anrichten, bis Biden am 20. Januar auf den Treppen des Kapitols von Washington vereidigt wird?
Eine ganze Menge, wenn er die „lame duck“-Zeit (lahme Ente) für sich neu definiert:
- Trump kann die Startphase Joe Bidens behindern durch Vorenthaltung von Informationen, Verweigerung von Briefings und das Verstopfen von Zugängen zu Ministerien, Akten und Computern.
- Er könnte per Exekutiv-Anordnung einsame Entscheidungen treffen,
- Amerika aus internationalen Verträgen herauskündigen,
- den Umweltschutz weiter aushöhlen,
- teure Beschaffungsmaßnahmen initiieren,
- konservative Richter ernennen und
- Minister sowie Top-Beamte bei CIA bis FBI entlassen. Mehr zum Thema: Donald Trump wirft Verteidigungsminister Mark Esper raus
Selbst eine Last-minute-Aktion mit militärischer Note, eine Cyber-Attacke gegen den Iran oder Muskelspiele gegen China, wäre ihm als Oberbefehlshaber der Streitkräfte theoretisch bis 19. Januar 2021 nicht verwehrt. Praktisch? Rechnet in Washington niemand seriös mit einem solchen Unterfangen. „Trump hat gar keine Kapazitäten. Er muss sich um seine wirtschaftliche Zukunft kümmern“, sagte ein Experte des Außenministeriums unserer Redaktion, „und um die Abwehr diverser Strafverfahren.“ Lesen Sie hier: Künftiger Präsident: Was Joe Biden jetzt schon tun kann
Bislang schützt Trump die Immunität
Trump könnte alte Gefolgsleute wie Steve Bannon, dem eine Gefängnisstrafe droht, vor Strafverfolgung schützen. Theoretisch könnte Trump sich auch selbst und seine engste Familie präventiv begnadigen. Oder von Vizepräsident Mike Pence begnadigen lassen.
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Insider rechnen mit einer solchen Aktion, weil allein der Mueller-Bericht zum Abschluss der Russland-Affäre genügend Anhaltspunkte biete, strafrechtlich bei Trump nachzufassen. Was bislang aufgrund präsidialer Immunität nicht möglich ist.
Doch das gilt nur für die Bundesebene. Regionale und kommunale Staatsanwälte wären dadurch nicht behindert. Steuervergehen oder potenziell unlautere Finanzmethoden in Donald Trumps Firmenkonglomerat könnten weiterverfolgt werden.