Berlin/Göttingen. SPD-Politiker Thomas Oppermann ist mit nur 66 Jahren überraschend verstorben. So bewegt war das Leben des Bundestagsvizepräsidenten.
- Am Sonntagabend brach Thomas Oppermann vor einer ZDF-Schalte zusammen, wurde anschließend in ein Krankenhaus gebracht
- Ärzte kämpften vergeblich um sein Leben: Der SPD-Politiker starb im Alter von 66 Jahren
- Sein Tod löst deutschlandweit Bestürzung aus
Thomas Oppermann hatte noch viel vor. Ende August kündigte der SPD-Politiker an, dass er im nächsten Jahr nicht mehr für den Bundestag kandidieren werde. Im Sommer verbrachte er mal wieder viel Zeit in seinem Ferienhaus in Wustrow an der Ostsee.
Das Meer und die Berge, das waren für den asketischen Sozialdemokraten und Machtmenschen Sehnsuchtsorte, an denen er zur Ruhe kam und Kraft tankte für den politischen Betrieb.
Gemeinsam mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil war Oppermann seit Jahren in einer Wandergruppe aktiv, vor der in Dolomiten und Alpen kein Gipfel sicher war. Bei einer dieser harten Touren, so scherzte Oppermann gerne, habe er einmal zusätzlich Weils Rucksack bergauf getragen, weil er einfach mehr Power gehabt habe als der Parteifreund.
Thomas Oppermann wurde früh von Gerhard Schröder entdeckt
Für Thomas Oppermann selbst ging es lange Zeit in der Politik stets bergauf. Der Verwaltungsrichter aus Göttingen fiel Gerhard Schröder früh ins Auge. Schneidig, gut aussehend, schnell im Kopf, Jurist, Fußballer, humorvoll – es gab einige Ähnlichkeiten zwischen den beiden Männern, die sich als Alphatiere in der SPD verstanden.
Thomas Oppermann: Als Bildungsminister wurde er in der SPD zunächst zum Buhmann
In seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident machte Schröder Oppermann 1998 zum Bildungsminister. Der wurde in der SPD schnell zum Buhmann, als er Studiengebühren für Langzeitstudieren in Niedersachsen einführen wollte. In seiner Heimatstadt Göttingen zogen Studierende wütend durch die engen Gassen und forderten Oppermanns Rücktritt. Ein paar Jahre später führte Niedersachsen tatsächlich Studiengebühren ein, schaffte diese zum Wintersemester 2014/15 aber wieder ab.
Solche medienwirksamen Schlachten passten zu Oppermann. Er war brillant in der Analyse der politischen Lage – und fand immer Themen, mit denen er sich und seine Partei profilieren konnte. In seiner Zeit als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion waren seine wöchentlichen Frühstücke mit Journalisten legendär.
Oppermann wusste immer über alles Bescheid
Oppermann war immer perfekt präpariert, um Agenturmeldungen wie am Fließband zu produzieren. In wenigen Hauptsätzen, notiert auf kleinen Karteikarten, nahm er die politischen Gegner auseinander und stahl auch sozialdemokratischen Ministern die Show. Gerne wäre er selbst einmal ins Kabinett gewechselt. Innen- oder Justizminister, das war sein Traumjob. 2009 und 2013 gehörte er jeweils zu den Schattenkabinetten der SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück.
Edathy-Affäre: Wie die Krise Thomas Oppermanns Karriere veränderte
Doch spätestens seit seiner Verstrickung in die Edathy-Affäre war dieser Weg zusehends verbaut. Oppermann, seinerzeit parlamentarischer Geschäftsführer, war vom damaligen BKA-Chef Jörg Ziercke informiert worden, dass der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy auf einer Liste mit Kunden eines ausländischen Internetangebots für kinderpornografische Inhalte aufgetaucht war. Oppermann machte den Vorgang in einem Alleingang öffentlich.
Die damalige große Koalition stürzte in eine schwere Krise. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) musste zurücktreten. Auch Oppermann wackelte. Ein Untersuchungsausschuss konnte ihm den Vorwurf der Opposition, über die internen Abläufe der Affäre die Unwahrheit gesagt zu haben, nicht nachweisen. Der frühere Richter beherrschte den schmalen Grat, was er wann preisgeben konnte, ohne sich selbst zu schaden. So stieg er Ende 2013 an die Spitze der SPD-Fraktion auf.
Als Vorsitzender der Bundestagsabgeordneten war er nie übermäßig beliebt. Dafür führte Oppermann ein zu strenges Regiment, was an frühere Zuchtmeister wie Herbert Wehner oder Peter Struck erinnerte. Oppermann legte an sich selbst immer höchste Maßstäbe an Professionalität und Ehrgeiz an – und verlangte das auch von allen anderen. In seinem Wahlkreis in Göttingen war er unangefochten. Viermal infolge gewann er das Ticket nach Berlin direkt.
Thomas Oppermann: Die Positions als Bundestagsvizepräsident erfüllte ihn
Als Sigmar Gabriel und Martin Schulz nach der verlorenen Bundestagswahl 2017 von Andrea Nahles und Olaf Scholz endgültig entmachtet wurden, neigte sich auch die große Zeit von Oppermann in Berlin dem Ende zu. Weil er gegenüber Nahles loyal auftrat und ihr beim Übergang an der Fraktionsspitze keine Steine in den Weg legte, wurde Oppermann mit dem Posten des Bundestagsvizepräsidenten belohnt.
Der gefiel ihm außerordentlich gut. Er reiste viel, besonders gerne in die USA. Dort verbrachte der Kriegsdienstverweigerer als junger Mann für die Aktion Sühnezeichen zwei Jahre in einer großen Gewerkschaft für Wanderarbeiter. Diese Zeit prägte ihn enorm. Als glühender Transatlantiker, den der Niedergang der USA unter Trump bedrückte sowie als Sozialdemokrat, der die Lebens- und Aufstiegsmöglichkeiten der sogenannten kleinen Leute immer verbessern wollte.
Als Bundestagsvize befreit vom tagespolitischen Kleinklein, war Oppermann fast wöchentlich gern gesehener Gast in den Talkshows der Republik. Am Sonntagabend hielt er sich in Göttingen bereit, um in die ZDF-Sendung „Berlin direkt“ zugeschaltet zu werden. Kurz vor seinem Live-Auftritt brach er plötzlich zusammen.
Er wurde noch in die Göttinger Uniklinik gebracht, wo die Ärzte sein Leben nicht mehr retten konnten. Nicht nur die SPD steht unter Schock. Parteiübergreifend wurde Oppermann am Montag als großer Demokrat geschätzt. Thomas Oppermann wurde 66 Jahre alt und hinterlässt aus zwei langjährigen Beziehungen vier Kinder.