Berlin/Warschau. Aus Protest gegen das bevorstehende fast vollständige Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen gingen in Polen Tausende auf die Straße.
Die Proteste gegen ein umstrittenes Urteil des polnischen Verfassungsgericht zu einer deutlichen Verschärfung des Abtreibungsrechts reißen auch am vierten Tag in Folge nicht ab. Am Wochenende sind in mehreren Städten Tausende Menschen gegen das nahezu vollständige Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Straße gegangen.
Viele der Demonstranten riefen unter anderem „Freiheit, Gleichheit, Frauenrechte“. Polens oberstes Gericht hatte am Donnerstag ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, das Schwangerschaftsabbrüche im Falle einer schwerwiegenden Fehlbildung des Fötus erlaubt. Schon zuvor hatte Polen eines der striktesten Abtreibungsrechte Europas.
Polen: Aktivisten sehen in Neu-Regelung totales Abtreibungsverbot
Diese Gesetzesregelung verstoße gegen das in der Verfassung garantierte Recht auf Leben, entschieden die Richter nun aufgrund einer von konservativen Parlamentariern eingebrachten Beschwerde. Das Urteil wurde unter anderem von der Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, scharf kritisiert.
2019 wurden in Polen rund 1100 Schwangerschaftsabbrüche ausgeführt – in fast allen Fällen aufgrund des nun für rechtswidrig erklärten Paragrafen. In Deutschland waren es nach Abgaben des Statistischen Bundesamtes rund 101.000 Schwangerschaftsabbrüche bei etwas mehr als der doppelten Bevölkerungszahl.
Die polnischen Aktivisten kritisieren, dass ein entsprechendes neues Gesetz ein totales Abtreibungsverbot darstellen würde, weil 98 Prozent der legalen Abtreibungen in Polen Missbildungen des Fötus betreffen. Insbesondere Frauen mit begrenzten Mitteln könnten nun gezwungen sein, auf gefährliche, illegale Abtreibungsmethoden zurückzugreifen.
Der Fernsehsender TVN24 zeigte Demonstranten in der Stadt Lodz, die Plakate mit der Aufschrift „Halten Sie Abstand zu meiner Gebärmutter!“ oder „Hände weg von meinem Körper!“ trugen. An die Höchstrichter und Politiker richteten einige die Frage „Schämen Sie sich nicht?“ Richter und Politiker hätten „über die Frauen hinweg gegen sie entschieden“, kritisierten Teilnehmer einer Kundgebung in Warschau. Am Sonntag gab es etwa in Krakau aus Protest gegen das Urteil einen Autocorso.
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Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) setzt sich seit Jahren für eine Verschärfung des Abtreibungsrechts im katholisch geprägten Polen ein. Sie will, dass Schwangerschaftsabbrüche nur noch dann möglich sind, wenn das Leben der Schwangeren unmittelbar bedroht ist oder sie in Folge einer Vergewaltigung oder durch Inzest schwanger geworden sind.
Staatschef Duda kündigt Unterstützung für Gesetzespläne an
Das Urteil gibt der Regierungsmehrheit im Warschauer Parlament grünes Licht für die Bewilligung eines Gesetzentwurfs zur Kriminalisierung der Abtreibung missgebildeter Föten. In Kraft treten würde das Gesetz erst nach einer Bestätigung durch Präsident Andrzej Duda. Der konservative Staatschef hat aber bereits seine Unterstützung erklärt.
Im ebenfalls katholisch geprägten Irland hatten sich die Menschen vor zwei Jahren in einer Volksabstimmung mit einer breiten Mehrheit für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts ausgesprochen. (aky/AFP/dpa)