Berlin. Die neuen Corona-Maßnahmen zielen auf die richtigen Problemzonen ab. Ihr Nutzen hängt aber von der Einhaltung ab, sagt Christian Kerl.

Eine „historische“ Sitzung war der Corona-Gipfel im Kanzleramt wohl doch nicht, aber nach dem hässlichen Streit im Vorfeld über neue Schutzmaßnahmen war diese Ankündigung auch etwas vermessen. Immerhin, Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten haben sich zusammengerauft und ein Mindestmaß an Einheitlichkeit bei den neuen Auflagen vereinbart. Höchste Zeit angesichts steigender Infektionszahlen – und der bedrohlichen Entwicklung, die jetzt in Frankreich oder den Niederlanden zu beobachten ist.

Corona-Zahlen aus den Niederlanden und Frankreich werden zum Weckruf

Die bei den Nachbarn im Westen dramatisch steigenden Infektionszahlen waren auch ein Weckruf für die Runde im Kanzleramt. Die Beschlüsse setzen an der richtigen Stelle an und ähneln in vielem dem, was auch in Paris oder Den Haag jetzt auf den Weg gebracht wird: Das zentrale Problem angesichts steigender Infektionszahlen sind nicht die Reisen ins Ausland oder innerhalb Deutschlands – es sind die allzu sorglosen Zusammenkünfte vieler Menschen auf engem Raum und ohne Hygieneregeln, was nicht nur Partys oder Hochzeiten meint.

Die nun beschlossene Begrenzung der Teilnehmerzahlen bei privaten Feiern, die erweiterte Maskenpflicht und die Sperrstunde in der Gastronomie zielen genau auf diese Problemzonen. Es muss jetzt alles darangesetzt werden, die Zahl riskanter Kontakte wieder zu verringern, ohne erneut das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zu lähmen. Das heißt: Große Zusammenkünfte meiden, Abstand halten, Maske tragen – und neue Infektionsherde mit aller Kraft, vor allem mit Kontaktverfolgung, bekämpfen.

Corona-Regeln funktionieren nur, wenn sie nachvollziehbar sind

Christian Kerl warnt vor der Sorglosigkeit in der Bevölkerung.,
Christian Kerl warnt vor der Sorglosigkeit in der Bevölkerung., © Privat

Das gelingt nur, wenn die Politik Regeln vorgibt, die die Bürger auch als nachvollziehbar, verständlich und praktikabel akzeptieren können. Und die auch für eine Weile durchzuhalten sind. Da war in den vergangenen Wochen einiges schiefgegangen: Aus dem verständlichen Bemühen, die Infektionen mit möglichst eng begrenzten regionalen Maßnahmen einzudämmen, ist jetzt im Herbst mit der zweiten Welle ein Flickenteppich an wechselnden Vorschriften entstanden, bei dem sich kaum noch jemand zurechtfindet.

Der Wirrwarr an Auflagen wird bisher verschärft durch eine zunehmende Streitlust vieler Landespolitiker, die glauben, sich vor den nahenden Wahlen im nächsten Jahr auch mit diesem Thema profilieren zu müssen. Höchste Zeit, in der Corona-Krise auf mehr Einheitlichkeit im Land zu setzen, damit die Bürger nicht völlig die Orientierung verlieren. Auf dem Papier wird nun den regionalen Unterschieden, auf die die Ministerpräsidenten pochen, zwar noch Rechnung getragen – tatsächlich dürften aber bald weite Teile der Republik in die Kategorie eines Corona-Hotspots und damit unter die neuen Auflagen fallen.

Deutschland wird keine Insel der Glückseligen bleiben

Ob das schon genügt oder bald neue Verbote folgen werden, ist nicht sicher. Deutschland wird keine Insel der Glückseligen bleiben. Das Stimmungsgemisch aus Sorglosigkeit und Überdruss, aus dem sich in Teilen des Landes der Widerwillen gegen neue Einmischungen der Politik nährt, bleibt ein Problem. Schaffen wir es nicht, den Anstieg der Infektionszahlen zügig zu begrenzen, droht früher oder später ein Kontrollverlust, an dessen Ende Verhältnisse stehen könnten wie es sie im Frühjahr in Italien gab.

Wenn erst die Todesraten unter den Corona-Patienten auch bei uns steigen, ist es zum verträglichen Umsteuern zu spät. Dann wird nur noch der zweite Lockdown als Notbremse helfen – mit Folgeschäden für Wirtschaft und Gesellschaft, die weit größer wären als bei der ersten Welle vor einem halben Jahr.

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