Brüssel. Auch wenn es in Deutschland günstige Orte für Endlager gibt, sollte das Ausland eine Option sein, findet Kommentator Christian Kerl.

Ein besonders unrühmliches Kapitel der deutschen Atompolitik ist offiziell zu Ende: In Gorleben wird endgültig kein Endlager für hoch radioaktiven Atommüll entstehen. Der Salzstock ist wegen Instabilität gar nicht mehr auf der Liste der jetzt zu untersuchenden Standorte.

Endlich also wird der Fehler korrigiert, der eine Lösung der Entsorgungsfrage über Jahrzehnte blockiert und die politische Debatte vergiftet hat. Die Zweifel an der geologischen Eignung Gorlebens waren von Anfang massiv, ausgewählt wurde der Salzstock aus politischen, nicht aus wissenschaftlichen Gründen.

Der endgültige Verzicht ist das Eingeständnis eines Irrwegs, auf dem bis heute rund zwei Milliarden Euro in den Sand beziehungsweise ins Salz gesetzt wurden. Der Schritt dürfte immerhin das Vertrauen in die neue Suche erhöhen, an deren Ende in ein paar Jahrzehnten ein unterirdisches Endlager für die insgesamt 1900 Castor-Behälter mit strahlendem Müll stehen soll.

Die Lehre aus Gorleben ist klar: Der Standort soll im zweiten Anlauf auf wissenschaftlicher Basis, in einem nachvollziehbaren und möglichst transparenten Verfahren gefunden werden. Das ist aller Mühe wert.

Bayern lehnt ganz offen die Endlagerung ab

Allerdings: Ob das Experiment gelingt, ist weiter völlig offen. Dass halb Deutschland nun für die sichere Einlagerung des gefährlichen Mülls infrage kommen soll, kann man als notwendigen wissenschaftlichen Zwischenschritt werten – oder schlicht als Augenwischerei. Die Suche beginnt ja in Wahrheit nicht bei null, die besonders geeigneten Gebiete sind den Experten bekannt.

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Im weiteren Verfahren wird sich die Erkundung sehr schnell auf einige wenige Regionen reduzieren, in Niedersachsen und Ostdeutschland vor allem, vielleicht auch in Baden-Württemberg und Bayern. Teilweise haben sich dort längst Bürgerinitiativen gebildet. Anderswo organisiert sich hinter den Kulissen politischer Widerstand. Bayern lehnt schon ganz offen die Endlagerung im Freistaat ab. Der Wunsch nach einer rein wissenschaftsbasierten Standortentscheidung stößt also schnell an seine Grenzen.

Christian Kerl kommentiert die Suche nach einem Endlager für deutschen Atommüll.
Christian Kerl kommentiert die Suche nach einem Endlager für deutschen Atommüll. © Privat

Am Ende des Verfahrens droht erneut erbitterter politischer Streit. Und womöglich wieder eine Blockade. Spätestens dann dürfte ein Ausweg in den Blick genommen werden, der noch als Tabu gilt: Ist es nicht sinnvoller, für die Atommüllentsorgung eine internationale, am besten europäische Lösung zu finden, statt in jedem Land mit immensem Aufwand über viele Jahrzehnte Endlager zu bauen und zu betreiben?

Der Grundsatz, dass Deutschland die strahlende Altlast unbedingt in seinem dicht besiedelten Territorium vergräbt, um sichtbar selbst Verantwortung für den Müll zu übernehmen, stammt aus der Zeit vor dem Atomausstieg: Die ungeklärte Entsorgung war ein zentrales Argument der Atomkraftgegner für ihre Ablehnung, die Befürworter wollten es durch das Gorleben-Projekt zügig entkräften.

Es muss eine Alternative geben zum nationalen Suchverfahren

Heute könnte die Debatte ideologiefrei und ohne den volkspädagogischen Ansatz des „Macht gefälligst euren Müll weg!“ geführt werden: Dass künftige Generationen mit einer Vielzahl von Endlagern quer über den Kontinent leben müssen, könnte in Europa bald als wenig verantwortungsvolle Idee erscheinen.

Statt jede Entsorgung außerhalb der Staatsgrenzen, in geologisch sicheren und wenig besiedelten Regionen, zum Tabu zu erklären, sollte die Politik die gesetzlichen Vorgaben ändern und eine solche Option ebenfalls von Experten prüfen lassen, parallel zum nationalen Suchverfahren. Natürlich wäre die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards Bedingung. Niemand weiß, ob das gelingt. Und ob die internationale Lösung die beste wäre.

Aber vielleicht ist man in einigen Jahrzehnten froh, dass es überhaupt eine sichere Lösung gibt.