Berlin. In Europa schnellen die Neuinfektionen in die Höhe, viele Regionen gelten als Risikogebiete. Sichere Reiseländer sind schwer zu finden.
Der Sommer ist vorbei, die Pandemie ist es nicht. Im Gegenteil. Deutschland und Europa blicken einem Corona-Herbst mit wachsenden Ansteckungszahlen entgegen. Beinahe täglich werden weitere Länder innerhalb der Europäischen Union zu Risikogebieten erklärt. Als Reiseziele für die nahenden Herbstferien kommen sie damit nicht mehr infrage. Wie schon im Sommer sieht es erneut so aus, als mache die Pandemie viele Urlaubspläne zunichte.
Doch auch in Deutschland ist die Lage angespannt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) verzeichnete am Donnerstag bereits zum vierten Mal binnen gut eines Monats Corona-Neuinfektionen oberhalb der Marke von 2000 Fällen. Die Zahl der Menschen in Deutschland, die an oder mit dem Virus gestorben sind, liegt wiederholt im zweistelligen Bereich. Auch in etlichen europäischen Staaten steigen die Infektionszahlen drastisch an. Die EU-Kommission zeigt sich alarmiert. Schon jetzt ist ziemlich klar: Corona macht keine Ferien.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Exakt 2143 neue Fälle innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter dem RKI bis Donnerstag. Die Zahl erfasster Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche lag zuletzt bei 13,2. Eine Woche zuvor hatte sie bei 11,5 gelegen, vor zwei Wochen bei 9,9.
Aktuell liege die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz in den Bundesländern Bayern und Berlin sehr deutlich, in Hamburg und Nordrhein-Westfalen deutlich und in Baden-Württemberg und Bremen leicht über dem bundesweiten Durchschnittswert. Insgesamt haben sich laut RKI seit Beginn der Corona-Krise mindestens 278.070 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus infiziert.
Covid-19: Gibt es mehr Tote?
Ja. In Deutschland sind innerhalb von 24 Stunden 19 Menschen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Anfang September lagen die Zahlen noch im unteren einstelligen Bereich. Die Gesamtzahl der Todesfälle in Verbindung mit Corona ist in Deutschland laut RKI inzwischen auf 9428 Menschen gestiegen. In Frankreich und Spanien liegen die Zahlen weitaus höher. In Spanien waren es zuletzt sogar deutlich mehr als 200 Tote innerhalb von 24 Stunden.
Corona: Welche neuen Beschränkungen gibt es hierzulande?
Einige Regionen, die besonders hohe Ansteckungszahlen aufweisen, haben neue Maßnahmen ergriffen. Die Stadt München etwa hat wegen vieler Ansteckungen verschärfte Kontaktbeschränkungen, ein nächtliches Alkoholverbot in der Öffentlichkeit sowie eine generelle Maskenpflicht in Teilen der Altstadt verhängt. Die Länder Nordrhein-Westfalen und Berlin erwägen ebenfalls neue Corona-Beschränkungen. Die Bundeshauptstadt diskutiert beispielsweise eine Beschränkung des Außer-Haus-Verkaufs von Alkohol, etwa an Kiosken.
Corona-Pandemie: Wie ist die Lage in Europa?
Besorgniserregend, warnt am Donnerstag die EU-Kommission. Die Zahl der Covid-19-Infektionen steige seit August in ganz Europa stetig an, sagt EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. „In einigen Mitgliedstaaten ist die Situation bereits schlimmer als im März.“ In einem Teil der EU-Staaten seien die Kontrollmaßnahmen entweder unzureichend gewesen oder zu früh wieder aufgehoben worden. Besonders hohe Infektionsraten beobachtet die EU-Gesundheitsbehörde ECDC laut einer neuen Risikoanalyse in Spanien, Tschechien und Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Dänemark, Ungarn, Luxemburg und auf Malta.
Infektionen: Wie hat sich die Situation verändert?
Sorgen macht den EU-Experten vor allem, dass das Infektionsgeschehen nicht mehr nur lokal begrenzt ist, sondern die Übertragungen in größeren Regionen stattfinden. Zudem seien inzwischen zu zwei Dritteln Menschen unter 50 Jahren betroffen, was die weitere Verbreitung des Virus beschleunige, sagte ECDC-Direktorin Andrea Ammon. Die Zunahme der Infektionszahlen habe zwar auch mit verstärkten Testanstrengungen zu tun, könne aber nicht allein damit erklärt werden – denn seit August steige in der EU auch der Anteil der positiven Testergebnisse.
Die EU-Kommission rief die Staaten dringend dazu auf, die Schutzmaßnahmen jetzt zu verstärken: Dazu gehörten mehr Tests, eine bessere Kontaktverfolgung, ein ausreichender Zugang zu Schutzausrüstungen und genügend Intensivbetten in den Krankenhäusern. „Wir müssen uns auf das schlimmste Szenario vorbereiten“, sagte Gesundheitskommissarin Kyriakides. Es handele sich um die letzte Chance, eine Wiederholung des Lockdowns vom Frühjahr zu vermeiden – der einen „riesigen Schaden“ verursachen würde.
Welche Urlaubsländer sind betroffen?
Kurz vor den Herbstferien wird die Lage immer unübersichtlicher. Das Auswärtige Amt hat eine Reihe von klassischen Urlaubszielen als Risikogebiet eingestuft, darunter erneut ganz Spanien. Schon seit Längerem zählen die beliebten Nicht-EU-Länder Türkei, Ägypten und Marokko dazu.
Inzwischen gelten zwölf EU-Staaten teilweise als Risikogebiet – allen voran das Nachbarland Tschechien, in dem nur noch die Regionen Aussig und Mährisch-Schlesien von der Warnung ausgenommen sind, größere Teile Kroatiens vor allem an der Mittelmeerküste, fünf Regionen in den Niederlanden, zehn Regionen in Frankreich einschließlich des Großraums Paris, außerdem Gebiete in Dänemark, Portugal, Rumänien, Slowenien, Ungarn sowie Irland mit seiner Hauptstadt Dublin und die belgische Hauptstadt Brüssel.
Österreich ohne Après-Ski?
In Österreich sind die Hauptstadt Wien und das Bundesland Vorarlberg betroffen. Zudem hat der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz mit Blick auf die Wintersaison angekündigt: „Skivergnügen ja, aber ohne Après-Ski.“ Es soll ein Verbot des Ausschanks für stehende Gäste an Bars und auf Terrassen gelten. Essen und Getränke dürfen nur noch im Sitzen konsumiert werden.
Österreich will damit verhindern, dass es zu Massenansteckungen mit dem Coronavirus kommt, für die der Tiroler Skiort Ischgl im März weltweit traurige Berühmtheit erlangt hat. Beim Anstehen für Seilbahnen gilt zudem ein Meter Abstand und eine Maskenpflicht, auch in Gondeln muss ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Skilehrer und Reiseleiter sollen kostenfrei auf das Virus getestet werden können, ebenso Hotelpersonal.
Was sagt die Tourismusbranche?
Der Präsident des Deutschen Reiseverbands, Norbert Fiebig, beschreibt die aktuelle Lage als „existenzbedrohend“. „Für die jetzt anstehenden Herbstferien ist die Situation überaus schwierig“, sagte Fiebig unserer Redaktion. Immer neue Reiseziele, auch innereuropäische, würden zu Risikogebieten erklärt – mitunter zu Unrecht. „In Spanien beispielsweise gibt es zahlreiche Inseln wie Lanzarote, Formentera und Menorca, auf denen es keinen einzigen Corona-Hotspot gibt. Trotzdem werden sie als Risikogebiet geführt. Das ist absurd“, kritisiert Fiebig.
Die Bundesregierung ignoriere diese Fakten und belaste die Reisewirtschaft damit unverhältnismäßig. Er verdeutlicht: „Finca-Urlaub ist in keiner Weise gefährlicher als eine S-Bahn-Fahrt in Berlin.“ Und Reisen per se sei es auch nicht, vorausgesetzt die Menschen hielten sich an die Corona-Regeln. Der Präsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), rät dagegen von Reisen in den Herbstferien ab. Ein Verzicht wäre „vernünftig“.
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