Berlin. Finanzminister Scholz will für den Kampf gegen Corona auch in Zukunft viel Geld ausgeben. Die nächste Regierung erbt Milliardenlöcher.
Rhetorisch hat Olaf Scholz abgerüstet. Zur Vorstellung des nächsten Corona-Haushaltes mit gigantischer Neuverschuldung brachte der Finanzminister keine neuen rhetorischen Superlative mit. Im März, als die Pandemie mit voller Wucht die Wirtschaft traf, prägte der oberste deutsche Kassenhüter den Begriff der „Bazooka“. Mit dieser finanzpolitischen Panzerfaust kündigte Scholz unbegrenzte staatliche Hilfen an, um Firmen und Arbeitsplätze zu retten.
Im Sommer präsentierte Scholz dann das maßgeblich von ihm konzipierte 130-Milliarden-Konjunkturprogramm der Koalition, damit Deutschland mit „Wumms“ aus der Krise kommt. „Bazooka“ und „Wumms“ sorgten dafür, dass Scholz im zweimal nachgebesserten Haushalt für das laufende Jahr neue Schulden von rund 218 Milliarden Euro aufnehmen musste – ein Nachkriegsrekord.
Am Mittwoch nun saß der SPD-Kanzlerkandidat nach der Kabinettssitzung vor der Bundespressekonferenz, um seine Haushaltspläne für das Wahljahr 2021 vorzustellen. Noch einmal greift er dabei tief in die Schuldenkiste, um mit rund 96 Milliarden Euro an zusätzlichen Krediten die gewaltigen Corona-Lasten zu finanzieren. Das sei „sehr, sehr viel Geld“, sagte Scholz. Aber die Regierung wolle „den ganzen Weg, den wir begonnen haben, zu Ende gehen“.
Man dürfe nicht gegen die Krise ansparen, die wirtschaftliche Erholung sei bereits im Gange, die Regierung wolle in einer „aktiven Vorwärtsentwicklung“ die Zukunft gestalten. In weniger sperrigen Worten zusammengefasst fußt Scholz’ Optimismus auf der Hoffnung, dass es Europas größter Volkswirtschaft wie nach der dramatischen Weltfinanzkrise 2008/09 gelingt, mit neuem Wachstum rasch aus den aufgehäuften Schulden herauszuwachsen.
Warum muss Scholz schon wieder so hohe Corona-Schulden machen?
Der Finanzminister und die Regierung brauchen viel Geld, damit die Corona-Rettungspakete und Überbrückungshilfen für viele Branchen, Selbstständige und Künstler auch im nächsten Jahr weiterlaufen können. Außerdem müssen 2021 Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket bezahlt werden.
Dazu kommen Milliarden-Finanzspritzen für die Bundesagentur für Arbeit oder den Gesundheitsfonds. Im nächsten Jahr will allein der Bund 55 Milliarden Euro investieren, vor allem in Klimaschutz und Digitalisierung.
Werden so viele Schulden tatsächlich benötigt?
Das wird sich erst später zeigen. Bislang ist es so, dass viele Corona-Milliarden gar nicht abgerufen werden. Im ersten Halbjahr lag das Finanzierungsdefizit des Staates bei „nur“ rund 52 Milliarden Euro, davon entfielen 27 Milliarden auf den Bund. Vom Ausschöpfen des 218-Milliarden-Schuldenrahmens scheint der Bund im Haushaltsjahr 2020 jedenfalls weit entfernt zu sein – zumal viele Hilfsangebote von Unternehmen gar nicht nachgefragt werden.
Umgekehrt müssen Bund, Länder und Gemeinden wegen Corona auf absehbare Zeit mit weniger Steuereinnahmen auskommen. Scholz selbst äußerte die Hoffnung, dass die „Wirklichkeit besser verläuft als die Rechnung“. Es sei üblich, dass Haushalte vorsichtig kalkuliert würden. Insgesamt plant der Bund 2021 Ausgaben von 413 Milliarden Euro, nach 508 Milliarden im aktuellen Corona-Ausnahmejahr.
Wann wird der Corona-Schuldenberg abgetragen?
Der Bundestag hat die Regierung verpflichtet, bereits 2023 mit der Rückzahlung der 218 Milliarden Euro Schulden zu beginnen. 2026 startet dann die Tilgung für die 96 Milliarden an neuen Corona-Krediten. Der Bund will jeweils über 20 Jahre seine Schulden abstottern. Dafür werden künftig zehn Milliarden Euro pro Jahr fällig. Das wird den Handlungsspielraum der künftigen Bundesregierung deutlich einschränken.
Dazu hat Scholz festschreiben lassen, dass „zukünftige konjunkturelle Mehreinnahmen und sonstige Entlastungen im Finanzplan selbstredend vollständig für die Zwecke dieses Handlungsbedarfs zu verwenden sind und nicht für andere Zwecke zur Verfügung stehen“.
Das Positive beim Schuldendienst: Deutschland gilt weltweit für Finanzinvestoren als sicherer Hafen und muss extrem niedrige Zinsen zahlen. Momentan legen Investoren sogar Geld obendrauf, um dem Bund Geld zu leihen (Negativzinsen).
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Hat Scholz’ Finanzplanung Lücken?
Ja, es gibt Milliardenlöcher bis 2024, die bislang nicht gedeckt sind. Das Finanzministerium spricht euphemistisch von einem „erheblichen finanzpolitischen Handlungsbedarf“, der zwischen 2022 und 2024 insgesamt bei rund 42 Milliarden Euro liegen soll.
Tatsächlich sind die Lücken noch größer. Denn in den kommenden Jahren muss der Bund an sein Tafelsilber heran. Damit ist eine 48 Milliarden Euro schwere Rücklage aus Zeiten der Flüchtlingskrise gemeint. Dieses Geld wird bis 2024 komplett aufgezehrt sein.
Ist die „schwarze Null“ Geschichte?
Auf absehbare Zeit ist ein ausgeglichener Haushalt ohne neue Schulden unrealistisch. Scholz sieht auch für die nächsten Jahre Schulden vor, allerdings wieder im Rahmen der Schuldengrenze des Grundgesetzes. Diese ist 2020 und 2021 wegen der Corona-Katastrophenlage ausgesetzt worden.
Kommen Steuererhöhungen?
Die SPD mit Spitzenkandidat Scholz will Spitzenverdiener und Reiche künftig stärker zur Kasse bitten. Der SPD-Wirtschaftsflügel hat vorgeschlagen, den sogenannten Reichensteuersatz für zu versteuerndes Einkommen oberhalb von 250.000 Euro von heute 45 auf 49 Prozent anzuheben. Im Gegenzug sollte der Soli auch für Topverdiener komplett entfallen.
Denn für die überwiegende Mehrheit der Steuerzahler wird das Wahljahr 2021 mit einer Entlastung beginnen: Für mehr als 90 Prozent der Steuerzahler fällt der Soli-Zuschlag von 5,5 Prozent bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer weg. Konkrete Steuerkonzepte werden die Parteien aber erst im Wahlkampf vorlegen.
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Verschiebt Finanzminister Scholz Unbequemes in die Zukunft, damit Kanzlerkandidat Scholz besser dasteht?
Genau das unterstellt die FDP. Deren Haushaltsexperte Otto Fricke sagte: „Dieser Haushaltsentwurf ist nichts anderes als ein Kanzlerkandidaten-Haushalt.“ Mit einer Neuverschuldung von 315 Milliarden in nur zwei Jahren werde Scholz zum „traurigen Schuldenkönig“. Er versuche, mit immer neuen Krediten von roten Zahlen und Budgetlöchern abzulenken.
Dazu passe, dass Scholz trotz erwarteter wirtschaftlicher Erholung im nächsten Jahr erneut die Schuldenbremse aussetzen wolle. „Das ist hoch riskant, denn man kann die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht dauerhaft auf Pump finanzieren“, kritisierte Fricke. Scholz erwiderte, er verschiebe gar nichts in die ferne Zukunft. Die amtierende Regierung werde im Frühjahr einen Haushalt für 2022 vorlegen.
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