Lesbos. Flüchtlinge aus Moria haben unserem Fotografen Reto Klar ihr letztes Foto aus glücklichen Tagen gezeigt. Das sind ihre Geschichten.

Monatelang waren sie vergessen, jetzt hat das Feuer im Flüchtlingslager Moria sie wieder in die Schlagzeilen gebracht. Männer, Frauen und Kinder sind über Nacht auf der Insel Lesbos obdachlos geworden. Doch wer sind die Menschen, und was ist ihre Geschichte?

Noch bevor das Lager brannte, war unser Fotograf Reto Klar mehrfach auf der Insel. Zuletzt Ende August. Er suchte nach Antworten und fragte die Flüchtlinge nach ihren letzten Handyfotos in der Heimat, um zu zeigen, wie sie früher waren und was die Zeit im Lager aus ihnen gemacht hat. Um somit jedem von ihnen ein Stück seiner Würde zurückzugeben.

Flüchtlinge in Moria – Reisen um die halbe Welt

Sie kommen aus Herat in Afghanistan, aus Damaskus in Syrien, aus Bagdad im Irak und Kinshasa im Kongo. Die Gründe, warum sie im Flüchtlingslager von Moria gelandet sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie alle eint, dass sie die Freiheit gesucht haben. Dafür sind sie um die halbe Welt gereist, zu Fuß, mit dem Flugzeug, mit Schleppern in Lkw und klapprigen Bussen, auf nicht seetauglichen Booten. Sie eint auch, dass ihre Reise, ihre Flucht vorerst im Flüchtlingslager von Moria endete.

Das letzte Fotos aus glücklichen Tagen

Der Unterschied könnte kaum größer sein: Noch vor sieben Monaten fühlte sich die Irakerin Nadia Atia aus Bagdad wie eine schöne und stolze Frau.
Der Unterschied könnte kaum größer sein: Noch vor sieben Monaten fühlte sich die Irakerin Nadia Atia aus Bagdad wie eine schöne und stolze Frau. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Das aktuelle Foto ist Ende August im Flüchtlingslager Moria entstanden. Atia leidet, weil sie im Camp eine Fehlgeburt erlitten hat. Sie ist Christin und ihr Mann Atheist. Sie flohen, weil ihre Liebe im Irak nicht toleriert wurde.
Das aktuelle Foto ist Ende August im Flüchtlingslager Moria entstanden. Atia leidet, weil sie im Camp eine Fehlgeburt erlitten hat. Sie ist Christin und ihr Mann Atheist. Sie flohen, weil ihre Liebe im Irak nicht toleriert wurde. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Wie aus einer anderen Zeit wirkt auch dieses Bild. Als sich Abdol Kofi Rommo und seine Frau Taghrid Homed in Aleppo kennenlernten, gab es noch keinen Krieg in Syrien.
Wie aus einer anderen Zeit wirkt auch dieses Bild. Als sich Abdol Kofi Rommo und seine Frau Taghrid Homed in Aleppo kennenlernten, gab es noch keinen Krieg in Syrien. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Das Paar verschlug es nach Moria, wo ihre Tochter Fatemeh und Sohn Mohammad zur Welt kamen.
Das Paar verschlug es nach Moria, wo ihre Tochter Fatemeh und Sohn Mohammad zur Welt kamen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Auf dem oberen Foto sitzt der 16-jährige Sarwar Mohammad aus Baglan in Afghanistan inmitten seiner Freunde. Da sei er noch glücklich gewesen, sagt er.
Auf dem oberen Foto sitzt der 16-jährige Sarwar Mohammad aus Baglan in Afghanistan inmitten seiner Freunde. Da sei er noch glücklich gewesen, sagt er. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Dann sei sein Vater im Kampf gegen die Taliban gefallen, seine Mutter kurz danach an einem Herzinfarkt gestorben. Mit seinen drei Geschwistern ist er geflohen, sagt er, acht Monate lang lebte er in Moria. Wie viele fühlte er sich nie sicher im Camp.
Dann sei sein Vater im Kampf gegen die Taliban gefallen, seine Mutter kurz danach an einem Herzinfarkt gestorben. Mit seinen drei Geschwistern ist er geflohen, sagt er, acht Monate lang lebte er in Moria. Wie viele fühlte er sich nie sicher im Camp. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Für ein Familienfest hatten sich die fünf Kinder von Mahmad Nor Almosa Trainingsanzüge angezogen. Sie lebten in der Nähe von Damaskus, wegen des syrischen Bürgerkriegs entschieden sie sich, das Land zu verlassen.
Für ein Familienfest hatten sich die fünf Kinder von Mahmad Nor Almosa Trainingsanzüge angezogen. Sie lebten in der Nähe von Damaskus, wegen des syrischen Bürgerkriegs entschieden sie sich, das Land zu verlassen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Mahmad Nor Almosa und seine Frau Asma Alafish, die Kinder Anwar, Nimar, Mariam, Ilin und Jod litten während ihrer acht Monate im Lager am meisten unter Ratten und Schlangen, eine Tochter wurde gebissen, erzählen sie.
Mahmad Nor Almosa und seine Frau Asma Alafish, die Kinder Anwar, Nimar, Mariam, Ilin und Jod litten während ihrer acht Monate im Lager am meisten unter Ratten und Schlangen, eine Tochter wurde gebissen, erzählen sie. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Lida Kakar ist erst 15. Die Schülerin aus Herat in Afghanistan lebte seit neun Monaten im Camp. Zwei ihrer Onkel hätten für für die Regierung gearbeitet, erzählt sie – und sie habe mit ihrer Familie das Land verlassen müssen.
Lida Kakar ist erst 15. Die Schülerin aus Herat in Afghanistan lebte seit neun Monaten im Camp. Zwei ihrer Onkel hätten für für die Regierung gearbeitet, erzählt sie – und sie habe mit ihrer Familie das Land verlassen müssen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Für Lida war es das Schlimmste, sagt sie, dass es für sie im Lager zu gefährlich gewesen sei, das Zelt zu verlassen. Sie möchte Pilotin oder Polizistin werden und in einem Land leben, in dem Frieden herrscht.
Für Lida war es das Schlimmste, sagt sie, dass es für sie im Lager zu gefährlich gewesen sei, das Zelt zu verlassen. Sie möchte Pilotin oder Polizistin werden und in einem Land leben, in dem Frieden herrscht. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Quasam Mohmmadi (30) war Bauarbeiter im Iran, verdiente sein Geld. Doch als Afghanen seien er und seine Frau Sakina Rahimi (29) ohne Rechte gewesen. Deswegen verließen sie das Land.
Quasam Mohmmadi (30) war Bauarbeiter im Iran, verdiente sein Geld. Doch als Afghanen seien er und seine Frau Sakina Rahimi (29) ohne Rechte gewesen. Deswegen verließen sie das Land. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Vor sechs Monaten erreichten sie das Lager. Dort standen Mord und Diebstahl auf der Tagesordnung, sagt die Mutter. Ihre Tochter Fatima (7) vermisst am meisten die Schule.
Vor sechs Monaten erreichten sie das Lager. Dort standen Mord und Diebstahl auf der Tagesordnung, sagt die Mutter. Ihre Tochter Fatima (7) vermisst am meisten die Schule. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Die letzten Aufnahmen unserer Strecke: Nadine Ifunga (32)  stammt aus dem Kongo, sie lebte seit November 2019 im Camp.
Die letzten Aufnahmen unserer Strecke: Nadine Ifunga (32) stammt aus dem Kongo, sie lebte seit November 2019 im Camp. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Weil ihr Mann von der Regierung verfolgt worden sei, habe sie das Land verlassen müssen. Von Kinshasa flog sie nach Istanbul, mit einem Boot erreichte sie Lesbos.
Weil ihr Mann von der Regierung verfolgt worden sei, habe sie das Land verlassen müssen. Von Kinshasa flog sie nach Istanbul, mit einem Boot erreichte sie Lesbos. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
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In ihrer Heimat hatten sie Berufe, Wohlstand, Freunde und Verwandte, viele von ihnen hatten ein glückliches Leben. Bis der Krieg, die politische Situation oder auch die herrschende Religion sie in die Flucht trieb. So wie den 16-jährigen Sarwar Mohammad aus Baglan in Afghanistan. Sein Vater kämpfte gegen die Taliban und ist gefallen. Als kurze Zeit später seine Mutter an Herzversagen starb, flüchtete er mit seinen drei Geschwistern.

Während er im sogenannten Dschungel, im Wald um das Lager herum, lebte, waren seine zwei kleinen Geschwister drinnen allein. Seine ältere Schwester ist in einem Lager bei Athen. Nur vom Zaun aus konnte er Kontakt zu den Kleinen halten. Niemand weiß, wann und wo die vier Geschwister sich wiedersehen werden. (fmg)