Washington. Rechte Milizen wollen in den USA am 3. November vor Wahllokalen Posten beziehen – angeblich um die Integrität der Wahl zu schützen.

Stewart Rhodes macht rhetorisch keine Gefangenen. Der kahle Mann mit der Augenklappe, der aus der Abgeschiedenheit Montanas heraus seit 2009 Amerikas größte Bürgerwehr-Miliz steuert, die „Oath Keepers”, hat eine ziemlich klare Vorstellung davon, was Donald Trump nach den tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken in Portland und Kenosha im Gefolge der jüngsten Anti-Rassismus-Demonstrationen zu tun hat.

Der Präsident muss landesweit „einen nationalen Aufstand erklären, die Nationalgarde unter seinen Befehl stellen und durch sie den Aufstand in den Straßen niederschlagen lassen”, verlangte der ehemalige Student der Elite-Universität Yale just in einem Interview.

„Oath Keepers“-Kopf sieht USA im „Bürgerkrieg“

Der Kopf der rund 27.000 „Eid-Bewahrer”, die sich überwiegend aus aktiven oder früheren Soldaten und Polizisten rekrutieren und folgerichtig versiert im Umgang mit Waffen sind, sieht Amerika rund acht Wochen vor der Präsidentschaftswahl im „Bürgerkrieg”.

Im Weltbild des selbsternannten Verfassungsschützers mischen sich dabei Hybris und Drohungen in seltener Klarheit: „Wir geben Trump eine letzte Chance, diesen marxistischen Aufstand zu benennen und niederzuschlagen, wie es seine Pflicht ist”, erklärte der frühere Armee-Fallschirmjäger, „wenn er versagt, seine Pflicht zu erfüllen, werden wir unsere erfüllen.”

In normalen Zeiten wäre es nach Ansicht von Experten in Washingtoner Denkfabriken „eine Frage von Stunden gewesen, bis der Präsident der Vereinigten Staaten den unverhohlenen Hinweis auf Selbstjustiz und Ignorieren des staatlichen Gewaltmonopols mit unmissverständlichen Worten als ungesetzlich gekontert hätte”.

Donald Trump aber, so müsse man seine Äußerungen über den „linken Mob” und die „sozialistischen Demokraten”, die Amerika am 3. November „durch Fälschung eine Wahl stehlen wollen” deuten, sei über das Auftreten von Möchtegern-Schutztruppen wie den „Oath Keepers”, „Three Percenters”, „Proud Boys” oder den „Patriot Prayers”, die zuletzt durch martialische Auftritte Schlagzeilen machten, gar nicht unglücklich.

Experten schließen rechte Gewaltausbrüche im Falle eines Biden-Sieges nicht aus

Trump halte diese Gruppierungen und unorganisierte Solo-Extremisten in einer Art Dauer-Alarmbereitschaft, um das Land vor einem imaginierten linken Feind zu schützen, sagen Analysten des „Southern Poverty Law Center”. Im Falle einer Wahlniederlage gegen den Demokraten Joe Biden am 3. November, die laut Trump bereits im Vorfeld als nur durch “Wahlbetrug der Linken” erklärbar deklariert wurde, schließen die Experten in Alabama nicht aus, dass es zu folgenschweren Gewaltausbrüchen kommt.

Auch interessant: Joe Biden: Alles Wichtige zum Kandidaten der Demokraten

Zumal die renommierte Bürgerrechts-Organisation festgestellt hat, dass sich bei den derzeit landesweit 180 Milizen-Gruppen, mal straff, mal lose organisiert, in denen überwiegend weiße Männer agieren, die Tonlage geändert hat, seit Trump im Amt ist.

Beispiel „Oath Keepers”. Anfänglich eine patriotisch angehauchte Gegenbewegung zum starken Staat, der nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 massiv in Militarisierung und Überwachung des öffentlichen Lebens investierte, agitierten Rhodes und seine Leute im Stile fast ausschließlich gegen die „Tyrannei der Zentralregierung” in Washington. Lesen Sie hier: Trump und Biden gedenken der Opfer vom 11. September 2001

Rechte Milizen sehen sich selbst als Ersatzarmeen im Wartestand

Spätestens seit den Ereignissen von Charlottesville 2017, als nach Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und Antifa eine linke Demonstrantin getötet wurde und Trump von „guten Menschen auf beiden Seiten” sprach, empfänden sich „Oathkeepers” & Co. als Ersatzarmeen im Wartestand, um den Amtsinhaber zu stützen.

Gemeinsamer Nenner der Gruppen: Angst vor dem Aufweichen verfassungsmäßiger Rechte – allen voran: Waffenbesitz. Abneigung gegenüber ethnischen Minderheiten, die der weißen Vorherrschaft (white supremacy) im Weg stehen. Verachtung für die liberalen, akademisch geprägten Eliten an Ost- und Westküste. Verehrung für Militär und Polizei. Sorge vor einer Meinungsdiktatur, in der konservative Stimmen mundtot gemacht werden. Furcht vor einer Machtübernahme der Demokraten in Washington, mit der man – wie Trump – das Ende des amerikanischen Abendlandes verbindet.

Seit dem Polizeimord an dem Afro-Amerikaner George Floyd im Mai und der danach übers ganze Land geschwappten Protestwelle, die zu über 90 % friedlich war aber auch vereinzelt schwere Verwüstungen und Plünderungen von Trittbrettfahrern der „Black Lives Matter”-Bewegung mit sich brachte, treten rechte Milizen regelmäßig mit Helm, Schutzwesten, Pfefferspray-Dosen und halbautomatischen Schnellfeuergewehren bei Demonstrationen auf.

Das Weiße Haus misst Eskalationen von links und rechts mit zweierlei Maß

Dabei kam es zu extremen Eskalationen, bei denen im Weißen Haus mit zweierlei Maß gemessen wird. In Kenosha/Wisconsin erschoss der 17-jährige Bürgerwehr-Anhänger Kyle Rittenhouse zwei linke Gegendemonstranten und steht seither und Mordanklage. Donald Trump sagte dagegen, der junge Mann habe in Notwehr gehandelt. In Portland/Oregon tötete der Linksextremist Michael Reinoehl den rechten „Patriot Prayer”-Sympathisanten Aaron Danielson. Trump forderte vehement die Verhaftung des Täters, der wenig später bei seiner Festnahme durch Polizeischüsse ums Leben kam.

Auch interessant: Trump will Behörden Anti-Rassismus-Schulungen verbieten

In sozialen Netzwerken sehen rechte Gruppen wie die „Oath Keepers” einen „Wendepunkt” erreicht. Sie drohen mit Vergeltung und Selbstjustiz. Und fühlen sich durch Trump, der von „guten Patrioten” spricht”, die dem „Chaos in demokratischen regierten Städten nicht länger tatenlos zusehen wollen”, insgeheim autorisiert.

Angeblich um die Integrität der Wahl zu schützen erwägen manche Gruppen, am 3. November vor Wahllokalen Posten zu beziehen. Bewaffnet, was in 45 Bundesstaaten legal ist. US-Kommentatoren sehen die ernste Gefahr, dass Trump im Falle einer Niederlage seine Anhänger im Rechtsaußenspektrum indirekt aufstacheln könnte. Mit unübersehbaren Folgen.