Brüssel. Große Sorge in Brüssel: Will der britische Premier Boris Johnson nun einen harten Bruch mit der Europäischen Union provozieren?

Der Brexit-Streit zwischen Großbritannien und der Europäischen Union hat sich gefährlich verschärft. Trotz eindringlicher Warnungen aus Brüssel hat die britische Regierung am Mittwoch einseitige Änderungen am gültigen Austrittsvertrag mit der EU auf den Weg gebracht.

Wird der Gesetzentwurf tatsächlich beschlossen, wäre das aus EU-Sicht der Bruch des Brexit-Vertrags in einem besonders heiklen Kapitel. Die EU-Kommission protestierte und sprach von „großer Besorgnis“. Im EU-Parlament wird schon die Notbremse diskutiert: Der Abbruch der laufenden Verhandlungen mit London über einen Handelsvertrag.

Brexit: Johnson will Vereinbarung wieder aufheben

Darum geht es: Die britische Regierung will die besonders umstrittene Nordirland-Regelung des im Januar beschlossenen Austrittsabkommens aufweichen. Da nur Nordirland weiter der EU-Zollunion angehören soll, müssen nordirische Unternehmen künftig die Ausfuhr von Waren nach Großbritannien als Export deklarieren.

Mit dem nun geplanten Gesetz will Premierminister Boris Johnson diese Vereinbarung wieder aufheben - obwohl er die Auflage Ende 2019 selbst mit der Kommission ausgehandelt hatte. Zugleich sollen Regeln zu britischen Staatshilfen für Unternehmen in Nordirland gelockert werden. Johnson sagte am Mittwoch, das Gesetz werde Arbeitsplätze sichern, für Wachstum sorgen und den britischen Binnenmarkt schützen.

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Von der Leyen beklagt Verstoß gegen internationales Recht

Am Dienstag hatte der Nordirland-Staatssekretär Brandon Lewis allerdings eingestanden, dass damit internationales Recht verletzt werde, wenn auch in einer „sehr spezifischen und begrenzten Weise“. Der Schritt ist in London nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei den regierenden Tories umstritten. Johnsons Amtsvorgängerin Theresa May protestierte, der Chefjurist der Regierung, Jonathan Jones, legte sein Amt nieder. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen hatte Johnson am Montag dringend gemahnt, die Pläne fallen zu lassen. Vergeblich.

Am Mittwoch erklärte von der Leyen, die Absicht, den Austrittsvertrag zu brechen, verstoße gegen internationales Recht und untergrabe das Vertrauen gegenüber Großbritannien. „Verträge sind einzuhalten“, betonte sie. Dieses Prinzip sei das Fundament für die künftigen Beziehungen. Auch die Bundesregierung äußerte sich besorgt.

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Im EU-Parlament gilt Verhandlungsabbruch als Option

Der Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), droht bereits mit einem Abbruch der laufenden Verhandlungen über einen Handelsvertrag. Es gehe um das Grundprinzip von Vertragstreue, das London mit den Gesetzesplänen verletze. Andere Parlamentarier befürworten zumindest eine Aussetzung der Gespräche, bis London einlenkt.

Allerdings ist der Zeitdruck groß, denn die Brexit-Übergangsfrist läuft Ende des Jahres aus: Bis dahin müsste ein Vertrag über die künftigen Beziehungen zwischen EU und dem Vereinigten Königreich vorliegen - vor allem also ein Handelsabkommen -, um chaotische Verhältnisse zu verhindern.

Legt es Boris Johnson auf den harten Bruch an?

Die neuerliche Provokation Johnsons nährt in Brüssel die Befürchtung, die britische Regierung nehme einen harten Bruch ohne Handelsvertrag nicht nur in Kauf, sondern lege es sogar darauf an. Johnson hatte Anfang der Woche erklärt, ein Brexit ohne ein solches Abkommen wäre ein „gutes Ergebnis“. Ein ranghoher EU-Politiker, der mit dem Verhandlungsverlauf vertraut ist, schätzte die Chancen, dass es noch zu einer Einigung kommt, auf „40:60.“

Die Kommission, die die Verhandlungen führt, setzt aber vorerst noch auf Dialog. Kommissions-Vizepräsident Maros Sefcovic protestierte am Mittwoch telefonisch in London und erklärte, der Austrittsvertrag könne nicht geändert werden. Er kündigte die Einberufung eines Krisentreffens mit Vertretern der britischen Regierung an: Die Sitzung des gemeinsamen Brexit-Ausschusses solle „so schnell wie möglich“ stattfinden.