Berlin. Test-Engpässe in Laboren, lückenhafte Kontrolle der Quarantäne, Zweifel an der Warn-App – sind wir auf den Corona-Herbst vorbereitet?

Wie wird der Corona-Herbst? Bleiben die Infektionszahlen beherrschbar wie bislang – oder droht eine neue Viruswelle wie aktuell in Spanien und Frankreich? In Deutschland sind die Fallzahlen noch immer vergleichsweise niedrig, doch niemand kann sagen, was die nächsten Wochen bringen: In mehreren Bundesländern beginnen in vier Wochen die Herbstferien mit erneutem Reiseverkehr. Mit den sinkenden Temperaturen verlagert sich das öffentliche Leben zunehmend in oft schlecht gelüftete Innenräume. Mit der Grippesaison beginnt ein zusätzlicher Stressfaktor für das Gesundheitssystem. Gleichzeitig gibt es große Fragezeichen bei den wichtigsten Mitteln im Kampf gegen Corona.

Reichen die Laborkapazitäten im Kampf gegen Corona?

Ärztevertreter warnen inzwischen dringend vor wachsenden Engpässen bei den Laborkapazitäten in Deutschland: Die beginnende Grippesaison werde die Zahl der nötigen Abstriche vervielfältigen, sagte die Vorsitzende des Berufsverbands der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Ute Teichert, unserer Redaktion. Bereits jetzt seien die Laborkapazitäten knapp. „Bei steigenden Infektionszahlen müssen wir im Herbst mit größeren Engpässen und längeren Wartezeiten rechnen.“ Um Grippe-Infektionen und Corona-Infektionen zu unterscheiden, sei in jedem Verdachtsfall ein Rachenabstrich nötig.

Auch die Labormediziner sind besorgt: Die Kapazitäten der Labore sta­gnierten derzeit vor allem wegen der Lieferprobleme bei Verbrauchsmaterialien: „Der Mangel konnte bisher durch Rationierungen und Zuteilungen kaschiert werden“, klagt Andreas Bobrowski, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte. Alle Labore würden ihre Testmaterialien wie Abstrichtupfer, Extraktionskits und Reagenzien von den gleichen Herstellern weltweit beziehen. Wegen der globalen Konkurrenz bei Testmaterialien stagniere die durchschnittliche Testkapazität je Labor laut Robert-Koch-Institut (RKI) bereits seit Mitte Mai.

Auch Bobrowski warnt vor einer zusätzlichen Verknappung durch die Grippesaison: „Besser ist es, gezielter zu testen und auch Alternativen wie vorbeugende Quarantäne und Reiserestriktionen zu nutzen“, so Bobrowski. Um die Labore zu entlasten, hatten sich Bund und Länder Ende August darauf geeinigt, dass ab 15. September Reiserückkehrer aus Nicht-Risiko-Ländern keine kostenlosen Tests mehr machen können. Zudem soll die Testpflicht für Rückkehrer aus Risikogebieten vom 1. Oktober an wegfallen – sie wird ersetzt durch eine neue Regel: Rückkehrer müssen in 14-tägige Quarantäne, die sich nur durch einen negativen Test frühestens fünf Tage nach Rückkehr beenden lässt.

Wird Corona-Quarantäne gut genug überwacht?

Bereits jetzt sind nur Stichproben möglich: Mitarbeiter der Gesundheitsämter sollen Kontrollanrufe machen. Ob das reicht? Experten bezweifeln das – weil die Schlupflöcher groß und die Gesundheitsämter überlastet sind.

Vor der virtuellen Konferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Leitern von Gesundheitsämtern, Gesundheitsdezernenten, Landräten und Oberbürgermeistern an diesem Dienstag mahnen die deutschen Amtsärzte deswegen kurzfristige Maßnahmen zur Entlastung vor Ort an: Der von Bund und Ländern für den öffentlichen Gesundheitsdienst geschlossene Pakt einschließlich der zugesagten 5000 Dauerstellen sei ausdrücklich zu begrüßen. Doch der Pakt schaffe kurzfristig noch keine Entlastung. „Kaum eine der zugesagten Vollzeitstellen wird unter den aktuellen Bedingungen bereits in diesem Herbst besetzt sein können“, so Teichert.

Bis alle Lücken geschlossen seien, werde es Jahre dauern. Die Gesundheitsämter aber brauchten dringend auch kurzfristige Hilfe: „Sollten die Infektionszahlen im Herbst wieder deutlich steigen, sind erneut Tausende von Freiwilligen nötig, um Infektionsketten nachzuverfolgen und Quarantänemaßnahmen zu kontrollieren“, forderte die Ärztevertreterin.

In der vom Berliner Virologen Christian Drosten angeregten Debatte über eine Verkürzung der Isolationszeiten von Infizierten und der daraus entstandenen Frage nach insgesamt kürzeren Quarantänezeiten fordert Teichert ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern: „Es muss bundesweit einheitliche Regeln für die Dauer einer Isolierung von Corona-Infizierten, Verdachtspersonen und Kontaktpersonen geben.“ Die aktuelle Debatte über kürzere Isolations- und Quarantänezeiten dürfe nicht zu einem Flickenteppich aus regional unterschiedlichen Regeln führen.

Funktioniert die Corona-Warn-App?

Die Corona-Warn-App galt in der Bundesregierung lange als scharfes Schwert im Kampf gegen die Pandemie – so ganz hat sich das nicht bewahrheitet, sagen Kritiker. Zum 1. September wurde die App laut RKI 17,8 Millionen Mal heruntergeladen. 2292 Anrufe gehen durchschnittlich pro Tag bei den Corona-Warn-App-Hotlines ein. Um Missbrauch zu minimieren, muss ein positives Testergebnis verifiziert werden, bevor ein Nutzer dieses in die Corona-Warn-App eintragen kann. Dazu wird ein QR-Code oder eine TeleTAN benötigt. Seit dem 16. Juni 2020 gab es mehr als 2550 TeleTANs zur Verifizierung. Ob der Nutzer dann tatsächlich ein Ergebnis einträgt, kann aber nicht nachvollzogen werden. Es gibt auch keine Daten dazu, wie viele Menschen mithilfe der Corona-Warn-App über eine mögliche Risikobegegnung informiert wurden.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber zieht jedenfalls eine positive Zwischenbilanz. „Die deutsche App wurde bis heute öfter heruntergeladen als alle anderen App-Lösungen aus EU-Nachbarländern zusammen“, sagte der SPD-Politiker unserer Redaktion. „Alleine das ist schon ein Erfolg.“ Die Wirksamkeit der App indes müssten die Virologen bewerten. Den Vorwurf überzogenen Datenschutzes wies Kelber entschieden zurück: „Wer die Einhaltung von Gesetzen für übertrieben hält, sieht die Pandemiebekämpfung aus dem falschen Blickwinkel.“

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlägt vor, die Funktionen der Tracing-App zu erweitern. Diese sollte größere Menschenansammlungen mit Gefährdungspotenzial registrieren und einen „Cluster-Alarm“ an App-Nutzer in der Nähe senden. „Die App könnte die Nutzer und Nutzerinnen sensibilisieren, bei Menschenansammlungen vorsichtig zu sein oder bei Treffen in geschlossenen Räumen, wie sie im Herbst und Winter vornehmlich stattfinden werden, zu lüften“, heißt es in einem Konzept von Lauterbach und dem Digitalexperten Henning Tillmann. Außerdem sollten positiv Getestete über die App die Chance haben, Personen aus ihrem Umfeld mitzuteilen, an welchem Tag genau es einen Kontakt gegeben hat. „Das Mehr an Transparenz überwiegt die Nachteile zulasten des Datenschutzes deutlich, wenn es sich um eine freiwillige Funktion handelt.“

Durch den Datumshinweis könne der gewarnte App-Nutzer auch Menschen informieren, die sie zwischen dem Risikokontakt und der Information darüber trafen – auch solche, die die App nicht nutzten. Lauterbach glaubt, dass eine Corona-App 2.0 „im Herbst eine wichtige Rolle spielen wird“.

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