Berlin. Merkels Flüchtlingspolitik brachte international Lob und Ansehen – aber auch Kritik und Ablehnung. Heute wird sachlicher debattiert.
Corona ist die Krise der Gegenwart, sie beherrscht die öffentliche Debatte – ähnlich wie eine andere Krise vor fünf Jahren. In der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 hatten Kanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger österreichischer Amtskollege Werner Faymann beschlossen, die Grenzen ihrer Länder für Flüchtlinge offen zu lassen.
Die Entscheidung markierte das, was die einen als deutsche „Willkommenskultur“, die anderen als Beginn der „Flüchtlingskrise“ bezeichneten. Innerhalb kurzer Zeit kamen fast eine Million Menschen unkontrolliert ins Land. Am Münchner Hauptbahnhof flogen ihnen Teddybären entgegen, andernorts waren es später Brandsätze. Das beschreibt in etwa das Klima, in dem sich Deutschland vor fünf Jahren befand.
International Lob und Ansehen
Merkels Flüchtlingspolitik brachte dem Land international Lob und Ansehen. Doch es gab auch heftige Kritik, besonders vonseiten der Osteuropäer. Sie trugen Merkels Linie der dauerhaft offenen Grenze nicht mit und zogen Zäune hoch. Damit trat offen zutage, dass Europa in der Asylpolitik keine einheitliche Position hat. Lesen Sie auch: Fünf Jahre „Wir schaffen das“ – Hat Merkel recht behalten?
Bis heute hat sich daran nichts geändert. Die EU setzt stattdessen auf einen Pakt mit Recep Tayyip Erdogan. Ausgerechnet der türkische Autokrat soll den Demokratien Europas die Flüchtlinge vom Hals halten. Es ist ein unwürdiger Zustand, der seit Jahren anhält.
Tiefer Spalt quer durch die Gesellschaft
Gleichzeitig führte Merkels Entscheidung im Herbst 2015 dazu, dass im Familien-, Freundes- und im Kollegenkreis zum Teil erbittert gestritten wurde. Ein tiefer Spalt ging quer durch die Gesellschaft. Man beschimpfte sich gegenseitig als „Gutmensch“ oder „Wutbürger“, je nach Standpunkt. Auch die politische Debatte nahm drastisch an Schärfe zu. Am lautesten trommelte die AfD gegen Merkels Asylpolitik. Aber auch die CSU griff seinerzeit verbal in die Vollen. Lesen Sie auch: Merkel wird 66: Das Jahr ihrer größten Prüfungen
Ein halbes Jahrzehnt später haben sich die Wogen in der Flüchtlingsdebatte geglättet. Beide Seiten mussten im Lauf der Zeit zur Kenntnis nehmen, dass sie mit ihren Extrempositionen danebenlagen. Die rechten Schreihälse, die Deutschland kurz vor einer Islamisierung wähnten, mussten erkennen, dass die meisten Hinzugekommenen nicht zum Missionieren eingereist sind.
Stattdessen haben viele einen Job gefunden, sie machen eine Ausbildung, lernen Deutsch, engagieren sich in ihrem Umfeld, schicken ihre Kinder hier zur Schule. Die Integration ist bei vielen beispielhaft verlaufen.
Auch Probleme wurden sichtbar
Allerdings – und das müssen sich wiederum die Fans von Merkels Asylentscheidung von 2015 eingestehen – sind auch Probleme sichtbar geworden, die anfangs kleingeredet oder gänzlich ignoriert wurden. Und das auch von einem erheblichen Teil der Politik. Denn es sind auch Menschen ins Land gekommen, die mit unseren Werten und Regeln nichts anfangen können oder wollen. Lesen Sie auch: Flüchtlinge: Deutschland ist Hauptzielland für Asylbewerber
Sie sehen Frauen nicht als gleichberechtigt an, sie missachten unsere Umgangsformen und unseren offenen Lebensstil, sie sind intolerant gegenüber Juden und Christen. Einen dramatischen Tiefpunkt stellte der islamistische Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 mit zwölf Toten dar. Der Attentäter war ein mehrfach vorbestrafter Tunesier. Er war als Flüchtling eingereist.
Inzwischen liegt der sogenannte Flüchtlingsherbst fünf Jahre zurück und Deutschland ist in einer nüchternen Wirklichkeit angekommen. Erregung wie Euphorie sind beim Thema Asyl verflogen, statt Schwarz oder Weiß dominieren helles und dunkles Grau. Letztlich ist das bei diesem Thema eine gute Nachricht. Denn damit besteht endlich die Möglichkeit, Probleme wie Chancen der Migration sachlich zu diskutieren.