Berlin. Die Corona-Strategie von Gesundheitsminister Jens Spahn für Reiserückkehrer überlastet die Labore. Nun setzt er wieder auf Quarantäne.

Hätte er doch nur auf die Ärzte gehört. Als Jens Spahn (CDU) die Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten ankündigt, prophezeit die Kassenärztliche Vereinigung in der Hauptstadt dem Gesundheitsminister: „Das Chaos ist damit perfekt.“ Es ist der 6. August, drei Wochen her.

Seither dürfen sich nicht nur Berliner Ärzte bestätigt fühlen. Am Mittwoch läutet Spahn das Ende der Testpflicht ein. Vom Chaos der letzten Tage ist keine Rede. Das C-Wort meidet er. Man müsse das „Regime“ bei der Einreise „lageabhängig“ anpassen. So redet kein Krisenmanager, der einen Masterplan hat. So redet ein Politiker, der „in der Lage“ handelt. Heute so, morgen so.

Spahn hält Rückkehr zur Corona-Quarantäne für „zumutbar“

Der Anlass für die Kehrtwende ist das Ende der Ferienzeit, in Sachsen, Thüringen und Bremen in dieser Woche, in Bayern zum 7. September, eine Woche später in Baden-Württemberg. Mit dem Ende der Sommerreisen sollen die Länder zum „Langzeitansatz“ zurückkehren und vornehmlich Risikogruppen und all jene testen, die Symptome von Covid-19 zeigen oder Kontakt zu einem Infizierten hatten. Nicht mehr, sondern gezielter testen, lautet jetzt die Devise. Lesen Sie auch: Corona-Regeln: Kommen neue Obergrenzen für Partys?

Wer künftig trotz Reisewarnung in eine Risikoregion aufbricht, soll nach Rückkehr in Quarantäne gehen. „Es ist zumutbar“, sagt Spahn. Die Gesundheitsämter sollen die stichprobenartigen Kontrollen der Quarantäne verstärken. „Das ist keine Bitte, sondern eine staatliche Anordnung.“

Spahn hat Corona-Linie mit den Länderkollegen abgestimmt

Spahns Strategiewechsel werden sich die Ministerpräsidenten am Donnerstag auf einer Konferenz wohl zu eigen machen. Zum einen hat er die Linie mit seinen Länderkollegen abgestimmt. Zum anderen dürften fast alle froh sein, die Gesundheitsämter, Ärzte und Labore, aus leidvoller Erfahrung auch viele Urlauber, die für einen Test anstehen mussten und in Bayern wochenlang auf ein Ergebnis warteten. Lesen Sie auch: Zweite Welle? Anstieg der Infektionen alarmiert Behörden

Auf freiwilliger Basis kann sich seit Anfang des Monats jeder Reiserückkehrer testen lassen, sogar kostenlos, wenn der Test innerhalb von 72 Stunden nach Einreise erfolgt. Zum 8. August legt Spahn dann mit der Testpflicht nach. Prompt steigt die Zahl der Tests an, von 400.000, 500.000 auf 900.000 in der letzten Woche; mithin auf ein Niveau, das auf Dauer „zulasten von Mensch und Material“ gehe. Die Laborkapazitäten seien „endlich“, räumt Spahn am Mittwoch ein. Eine späte Erkenntnis.

Corona-Tests an an Flughäfen, Bahnhöfen und Grenzübergängen

Schon Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte seine Möglichkeiten überreizt, als er im Freistaat allen Reisenden an Flughäfen, Bahnhöfen und Grenzübergängen Tests anbot. Bereits am 12. August waren 44.000 Ergebnisse von Reiserückkehrern immer noch nicht übermittelt worden. Von einem Chaos ist unweigerlich die Rede.

Spahn nimmt eine Wiederholung des Fiaskos in Kauf, diesmal bundesweit. Tatsächlich ist das Überforderungssyndrom gleich: Wie im Freistaat arbeiten die Testanbieter und Labore an ihrer Kapazitätsgrenze, in Berlin liegt die Auslastung bald bei über 90 Prozent.

Deutscher Städtetag schimpft über „Kisten voller Papiere“

Und in Bayern wie im Bund werden die Karten der Einreisenden händisch ausgefüllt. „Kisten voller Papiere“, schimpft der Deutsche Städtetag. Das führt oft dazu, dass es Probleme gibt, ein Ergebnis zweifelsfrei einem Reisenden zuzuordnen. Als Konsequenz beschloss das Kabinett erst gestern eine stärkere Digitalisierung. Lesen Sie auch: Impfstrategie: Wer wird zuerst gegen Corona geimpft?

Digitale Aussteigekarten bei Flugreisen sollten dabei helfen, die Gesundheitsämter vor Ort zu entlasten. Als die Schulferien im Juni in den ersten Bundesländern beginnen, ist von einer Testpflicht noch nicht die Rede. Spahn führt sie erst ein, als die Infiziertenzahlen in einigen Reiseländern steigen, aber viele Urlauber wieder zu Hause sind.

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    Das Richtige zum falschen Zeitpunkt getan?

    Während er von den Pflichttests jetzt wieder abrückt, hält Söder in Bayern daran fest. Er geht davon aus, dass sich nach Ende der Sommerferien die Zahl der Reiserückkehrer ohnehin reduzieren wird. Der Aufwand wird demnach nicht größer, sondern kleiner. Hatte Spahn womöglich das Richtige zum falschen Zeitpunkt getan? Zu überhastet, zu früh?

    Zumindest in Berlin ist es der Hauptkritikpunkt der Kassenärztlichen Vereinigung schon bei der Ankündigung am 6. August.

    Fachleute horchen auch auf, als Deutschlands bekanntester Virologe Christian Drosten in einem Gastbeitrag für „Die Zeit“ darauf hinweist, dass die Ausweitung der Corona-Tests in Verbindung mit einer möglichen zweiten Welle zu einer Überlastung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) führen könnte. Die Gesundheitsämter müssten dann auf viele, unter Umständen zu viele positive Tests reagieren. Von wem hatte sich Spahn beraten lassen? Offenbar nicht von Drosten. Lesen Sie auch: So sieht die Corona-Bußgeldbilanz in Deutschland aus

    Versuch und Irrtum: Schon bei der Maskenpflicht

    Die Stockfehler wecken Erinnerungen an die Einführung des Mund-Nasen-Schutzes. Erst wurde abgeraten – weil nicht genug Masken da waren? –, inzwischen ist das Tragen Pflicht. Kritik regte sich auch an den Reisewarnungen, für die es immerhin ein klares Kriterium gibt: 50 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Ist es zu undifferenziert?

    Spanien wird zum Risikogebiet erklärt, obwohl das Robert-Koch-Institut in einem Zeitraum von vier Wochen nur 107 Fälle registrierte, in denen sich Deutsche in Spanien mit Covid-19 angesteckt hatten – kein Vergleich mit dem Kosovo oder der Türkei. Lesen Sie auch: Gegen zweite Welle: Kommen bald strengere Regeln?

    50er-Marke gerissen – dennoch keine Konsequenzen

    Es gibt EU-Staaten, die seit zwei Wochen die 50er-Marke reißen, ohne dass es Konsequenzen hat. Malta liegt bei einem Wert von 120,1, Luxemburg bei 97,1. Das Fürstentum wurde aus der roten Liste entfernt, nachdem die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) interveniert hatte. Ein Zufall?

    Vielleicht gehört Management nach der Methode Versuch und Irrtum zu einer dynamischen Großlage dazu. Auflagen werden erlassen, überprüft, überdacht – und korrigiert. „Daran werden wir uns gewöhnen müssen.“ Sagt Spahn.

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