Brüssel. Das Auswärtige Amt stuft ausgerechnet die EU-Hauptstadt Brüssel als Risikogebiet ein. Erste Politikerreisen werden bereits abgesagt.

Diese Corona-Reisewarnung hat es in sich: Die Entscheidung der Bundesregierung, die EU-Hauptstadt Brüssel als Corona-Risikogebiet einzustufen, wird zur Belastung für den politischen Betrieb in Deutschland und Europa. Reisen mehrerer Bundesminister, die kommende Woche in Brüssel ihre Pläne für die laufende deutsche EU-Ratspräsidentschaft vorstellen wollten, stehen auf der Kippe.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wird wohl einen Ausflug mit seinem Kabinett nach Brüssel, wo die Runde nächsten Dienstag mit führenden EU-Politikern zusammenkommen wollte, ebenfalls verschieben. Das sind nur die ersten Auswirkungen der ungewöhnlichen Reisewarnung, die das Auswärtige Amt am Freitagabend ausgesprochen hat.

Innerhalb von sieben Tagen hatte es in Brüssel mehr als 70 Corona-Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner gegeben – damit war die in Deutschland vereinbarte Grenze von 50 Neuinfektionen deutlich überschritten. „Die Einstufung Brüssels als Risikogebiet ist ärgerlich, aber unvermeidlich“, meint der CDU-Europaabgeordnete und Mediziner Peter Liese. Die Folge: Wer sich in Brüssel aufgehalten hat und dann innerhalb von zwei Wochen nach Deutschland einreisen will, für den gilt jetzt eine zweiwöchige Quarantänepflicht – es sei denn, er legt einen negativen Corona-Test vor. Lesen Sie auch: Urlaub in Niederlanden und Belgien: Ist er 2020 möglich?

Was bedeutet die Reisewarnung für Diplomaten aus Brüssel?

Am Montag war die Verunsicherung in Brüssel groß, zumal diese Woche gleich zwei EU-Ministertreffen in Berlin geplant sind: Die Verteidigungsminister kommen am Mittwoch, die Außenminister am Donnerstag. Die Lage ist unübersichtlich, jedes Bundesland legt für sich Ausnahmen fest. Berlin etwa streicht die Quarantänevorschriften, wenn die Tätigkeit der Betroffenen für Diplomatie oder die Funktionsfähigkeit von Parlamenten, Regierung oder EU-Institutionen „zwingend notwendig“ ist.

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, arbeitet in Brüssel trotz Reisewarnung ganz normal weiter. Aber Komplikationen drohen.
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, arbeitet in Brüssel trotz Reisewarnung ganz normal weiter. Aber Komplikationen drohen. © POOL/AFP via Getty Images | John Thys

Die Minister und die zuständigen EU-Kommissare können sich also ungehindert treffen, auch wenn sie vorher in Brüssel waren. Aber was ist mit ihren Delegationen und der Brüsseler Entourage? Mitarbeiter von Botschaften suchten am Montag verzweifelt nach Möglichkeiten für einen kurzfristigen Corona-Test. In den nächsten Wochen dürfte es holprig werden in der Europapolitik, spätestens Ende September beim EU-Sondergipfel in Brüssel. Und die deutschen Abgeordneten im EU-Parlament? Bei zwingend notwendigen Reisen seien sie in den meisten Bundesländern von Quarantäne und Testpflicht befreit, sagt der CDU-Politiker Liese. Auch interessant: Coronavirus: So sicher ist die Urlaubsreise per Flugzeug

Andere EU-Staaten können deutsche Reisewarnung nicht nachvollziehen

Doch herrscht bei vielen Abgeordneten die Bereitschaft, das nur vorsichtig zu nutzen, zumal sie sich auch online an vielen Sitzungen beteiligen können. Nur einsilbig äußert sich die EU-Kommission zu der deutschen Reisewarnung, die von anderen EU-Staaten bislang nicht nachvollzogen wurde. Jedes Land müsse selbst über seine Regeln entscheiden, das wolle man nicht kommentieren, hieß es am Montag. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen arbeite ganz normal von Brüssel aus. Einem Konflikt mit Berlin geht die Kommission aus dem Weg.

Doch die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini kritisiert: „Ein Land nach dem anderen prescht chaotisch vor. Es gibt keinerlei europäische Koordinierung bei den Reisewarnungen.“ Es müsse verhindert werden, „dass wir im Herbst wieder bei systematischen Grenzschließungen landen.“ Auch ihr Kollege Liese sagt: „Wir brauchen bei solchen Regelungen wegen Corona eine einheitliche Vorgehensweise in der EU.“ Aber das sei ein langer Weg, meint der CDU-Politiker, wenn sich schon die Bundesländer nur schwer auf ein abgestimmtes Vorgehen in Deutschland einigen könnten.