Berlin. Polizei und Ordnungsämter gehen Verstößen gegen Corona-Auflagen vielerorts nun verstärkt nach. Die Bußgeldbilanz von zehn Städten.

Härte ist das Gebot der Stunde. Angela Merkel will „die Zügel anziehen“. Die Bundeskanzlerin meint damit, dass die Regeln in der Pandemie – Masken tragen, Abstand wahren, Quarantäne einhalten – „einfach sehr konsequent durchgesetzt werden müssen“. Sie begrüße es, dass stärker kontrolliert werde, und sei „sehr dankbar“, wenn Bußgelder verhängt werden, sagte sie bei einem Besuch in Nordrhein-Westfalen.

Aber ist das so? Wie streng gehen die Polizei und Ordnungsämter gegen jene vor, die in Corona-Zeiten über die Stränge schlagen?

München hat fast eine Million an Corona-Bußgeldern eingenommen

Bußgelder gegen Corona-Regelbrecher werden von den Ordnungsämtern verhängt. Nach Recherchen unserer Redaktion werden ihre Anzahl und Höhe nicht zentral bundesweit registriert, meist auch nicht auf Landesebene.

In der Hauptstadt werden sie nicht mal in jedem Bezirk erfasst. Das Ordnungsamt Berlin-Mitte teilt mit, dass es „zurzeit noch keine gesonderte Statistik zu den Verstößen gegen die Corona-Auflagen führt“. Der Berliner Bezirk Pankow dagegen meldet 575 Vorgänge und Bußgelder in Höhe von 18.000 Euro. Im Bezirk Tempelhof-Schöneberg wird der größte Anteil der 622 Anzeigen noch bearbeitet. Verhängt wurde ein einziges Bußgeld in Höhe von 1000 Euro.

Für diese Recherche wurden fünf Metropolen angefragt, Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt, dazu noch die Landeshauptstädte Hannover, Bremen, Kiel, Dresden und Stuttgart. Die überraschendste Antwort kommt aus Kiel: „Wir konnten durch wahrnehmbare Kontrollen und gute Aufklärung und Argumentation in aller Regel eine Verhaltensänderung ohne weitere Verfahren erreichen.“ An der Waterkant nimmt man sich offensichtlich ein Beispiel an Schweden. Das skandinavische Land setzt auf freiwillige Lösungen.

In München hat die Bußgeldstelle wegen Zuwiderhandlungen gegen den Infektionsschutz seit dem 1. April 9522 Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen zugeleitet. 5220-mal wurden Bußgeldbescheide in einer Gesamthöhe von 950.000 Euro erlassen.

Viele Bürger klagen gegen Bußgelder

In Hamburg mit etwa 400.000 Einwohnern mehr haben die Bußgeldstellen 10.434 Verfahren bearbeitet und 9929 Bußgeldbescheide erstellt. Die Höhe der Einnahmen: 890.081 Euro. Anders als Berlin geben die Stadtstaaten Hamburg und Bremen einen Überblick über die Verfahren ihrer Ordnungsämter.

Diese ziehen sich oft hin. Die Betroffenen werden angehört. Nicht selten legen sie Einspruch ein, in Hamburg 1735-mal, und klagen. So erklärt sich, warum Frankfurt/Main Bußgelder in Höhe von 650.735 Euro verhängte, aber nicht mal ein Drittel (193.238 Euro) einnahm.

„Die große Mehrheit der Menschen hält sich an die Regeln. Aber wir beobachten auch, dass sich ein Teil über die notwendigen Corona-Beschränkungen hinwegsetzt“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, unserer Redaktion. „Ordnungsbehörden und Polizei nehmen ihre Kontrollpflicht sehr ernst.“ Sie verstärkten Kontrollen, verhängten Bußgelder, „wo dies machbar und notwendig ist“.

Das Ordnungsamt Bremen hat bisher 3030 Verstöße festgestellt und 2181 Bußgeldbescheide erlassen. In Dresden waren es 1531 Anzeigen und 559 Bußgeldbescheide, in Stuttgart 4734 Verfahren und 3388 Bußgeldbescheide. Die Region Hannover hat 2049 Bußgeldbescheide erlassen, die Stadt Köln ein Viertel weniger: 1525.

Die Ordnungsämter sind gefordert

Es gibt große Unterschiede. Das beginnt schon bei der Höhe der Strafen. Sachsen plant erst jetzt, zum 1. September, erstmals bei Verstößen gegen die Maskenpflicht ein Bußgeld von 60 Euro zu erheben. Wer die Abstandsregeln verletzt, musste schon bisher 150 Euro zahlen. 150 Euro sind eine Marke oder Obergrenze, die in vielen Ländern gilt, in Bayern, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein. In Baden-Württemberg drohen Maskenverweigerern bis zu 250 Euro Bußgeld und in Berlin bis zu 500 Euro.

Die Ordnungsämter und die Polizei ergänzen sich. In Berlin stellte die Polizei nach Angaben des Innensenats vom 10. Juli bis zum 17. August 383 Ordnungswidrigkeitsanzeigen, die große Mehrheit (327) wegen Corona-Verstößen im Nahverkehr.

In Bayern gingen die Beamten von April bis Juli 52.607 Anzeigen nach – und gegen 48.013 Betroffene/Beschuldigte vor. Die NRW-Polizei zählte vom 25. März bis zum 16. August 13.565 Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen und 763 Strafanzeigen. Betroffen waren 47.981 Personen, darunter auch 2303 Kinder sowie 11.175 Jugendliche. Häufig wurden „Platzverbote“ ausgesprochen.

Als die Kanzlerin am Dienstag an Rhein und Ruhr unterwegs war, hätte man ihr gleich die Statistik der NRW-Polizei vom 10 bis 16. August vorlegen können: 21 Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen, elf Strafanzeigen, 933 „festgestellte“ Personen. An den niedrigen Zahlen für ein Land mit 18 Millionen Einwohnern erkennt man, dass weniger die Polizei als vielmehr die Ordnungsämter gefordert sind – und nicht zuletzt die Justiz?

Reiserückkehrer müssen sich an Quarantäneregel halten

„Das Bild ist nicht einheitlich“, antwortet der Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn. „Bußgeldsachen wegen Verstößen gegen Corona-Auflagen beschäftigen Staatsanwaltschaften und Gerichte regional sehr unterschiedlich“, sagt er unserer Redaktion.

Deutlich aufwendiger seien die vielen Strafverfahren wegen Verdachts auf Subventionsbetrug bei Corona-Hilfen oder in Fällen von Phishing und Fake­shops. Daneben beschäftigen die Behörden Widerstandshandlungen gegen Polizisten – und „Erpressungsversuche durch angedrohte Corona-Infektionen“.

Spahn- Testpflicht für Reiserückkehrer ab Sonnabend

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    Ein Konfliktfeld erwähnt Rebehn nicht. Dabei zeichnet es sich längst ab: Verstöße gegen Quarantäne-Auflagen. Allein in den Flughäfen in NRW sind mehr als 1000 Reiserückkehrer positiv auf das Coronavirus getestet worden. Je mehr getestet wird, desto mehr Infizierte fallen auf und müssen sich isolieren. Wer aus Risikogebieten wie Spanien kommt, muss entweder einen negativen Test vorlegen oder in Quarantäne gehen.

    Diese Bestimmung „Ich komme aus einem Risikogebiet, und ich muss in Quarantäne gehen“ sei keine „Kann-Bestimmung“, sondern ein Muss, betont Merkel. „Wenn ich das nicht tue, können erhebliche Bußgelder ausgesprochen werden.“ Merkel glaubt, „darauf achten die Menschen natürlich auch“. Auf die Wirkmacht strenger Ansagen.

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