Berlin. Der Kinderbonus der Bundesregierung hilft armen Familien. Das ist genauso gut wie gut gemeint – die Politik muss aber größer denken.

Nach den Sommerferien überall das gleiche Bild in Deutschlands Familien: Kinder bringen eine lange Einkaufsliste mit nach Hause: Hefte, Füller, Zirkel, Mäppchen, Taschenrechner, neue Turnschuhe für den Sport, Schlappen für den Hort.

Dazu kommen bei Erstklässlern zwei Meter lange, üppig befüllte Schultüten und ein neuer Ranzen, wo Topmodelle mittlerweile so teuer sind wie ein Wochenende Ostsee oder ein Jahr Kfz-Steuer. Das alles geht ins Geld.

Corona-Kinderbonus: Eine gute Sache für viele arme Kinder

Deshalb ist es eine gute Sache, dass bald bei vielen bedürftigen Familien der Corona-Bonus der Bundesregierung auf dem Konto landet. Nur 300 Euro? Ist das nicht läppisch? Wer so denkt, kennt die triste Lage vieler Eltern, Alleinerziehender und Kinder nicht. Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als arm. Das hat im Alltag gravierende Folgen. Lesen Sie auch: Corona-Kinderbonus: Dann kommt das Geld auf Ihr Konto

Eine Studie für den Paritätischen Wohlfahrtsverband kam zu dem Ergebnis, dass die ärmsten zehn Prozent der Paarhaushalte mit einem Kind um die 360 Euro im Monat für ihren Nachwuchs ausgeben können. Bei den reichsten zehn Prozent sind es 1200 Euro, im Schnitt aller Ein-Kind-Familien immer noch 600 Euro.

Der Kinderzuschlag kann für kurze Momente des Glücks sorgen

Diese Ungleichheit spüren arme Kinder am härtesten. Ob bei Eis, Spielzeug, Zoo, Kino oder Urlaub. Da kann der Kinderbonus für kurze Momente des Glücks sorgen. Konjunkturell gesehen dürfte er zwar keinen großen „Wumms“ auslösen. Aber zu verachten sind über vier Milliarden als Nachfrageschub auch nicht. Was ist mit dem Klischee, bestimmte Eltern würden Extrageld vom Staat sofort für Bier und Zigaretten verpulvern?

Die Bertelsmann Stiftung kam zu ganz anderen Erkenntnissen. Pro 100 Euro Kindergeld steige die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern ihr Kind in eine Kita schickten, immerhin um fünf Prozentpunkte. Noch öfter würden Kinder dann bei einem Sportverein oder in der Musikschule angemeldet. Lesen Sie auch: Corona-Studie zu Kitas: Wie riskant ist der Regelbetrieb?

Kinder aus armen Familien litten am stärksten

Zurück zum Beispiel Schule. Wer litt am stärksten unter den Corona-Schulschließungen? Natürlich Kinder aus armen und bildungsfernen Familien. Nach dem „Schulgipfel“ der Bundeskanzlerin mit den Kultusministern tönte es zum gefühlt tausendsten Mal, bald werde jeder Lehrer seinen Laptop haben, jedes Kind schnelles Internet, jede Schule WLAN. Wahrscheinlicher ist, dass der HSV in drei Jahren die Champions League gewinnt.

Chefreporter Tim Braune kommentiert den Kinderbonus.
Chefreporter Tim Braune kommentiert den Kinderbonus. © Reto Klar | Reto Klar

Die Realität sieht nämlich so aus: Kinder aus Hartz-IV-Familien müssen mitunter bis vor Gericht ziehen, um einen Computer für den Unterricht zu bekommen. Kürzlich entschied ein Sozialgericht zugunsten eines Oberschülers, dessen Mutter Arbeitslosengeld II bezieht, dass das zuständige Jobcenter bis zu 300 Euro für den Kauf eines Laptops genehmigen muss.

Das Jobcenter wollte zunächst nicht zahlen. Begründung: Die alleinerziehende Mutter könne doch auf das Gerät sparen oder günstig ein gebrauchtes kaufen. Der Fall zeigt, wie sehr Bildungserfolg junger Menschen vom Elternhaus abhängt. Lesen Sie auch: Schulgipfel – Immer mehr Schulen wegen Corona geschlossen

Kinderbonus wird nicht mit Hartz IV verrechnet

So vermittelt der Kinderbonus der Koalition eine richtige Botschaft: Wir sehen Euch und die Nöte Eurer Kinder. Da der Bonus nicht mit der Grundsicherung verrechnet wird, kommt er da an, wo er hin muss. Es muss aber mehr passieren.

Eine eigenständige gesetzliche Kindergrundsicherung ist überfällig. Der Fall des klagenden Schülers macht es überdeutlich. Keine Partei sollte nach der Wahl 2021 einen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht alle Kinderleistungen gebündelt und fair berechnet worden sind.

Kinder sind kein Anhängsel ihrer Eltern. In Armut aufzuwachsen bedeutet heute für viele Kinder leider unverändert, selbst lebenslänglich arm zu bleiben. Das kann und darf sich eines der reichsten Länder der Welt nicht leisten.