Berlin. Die schwere Panne bei den bayerischen Tests bringt Ministerpräsident Markus Söder unter Druck – seine Ministerin verschont er aber.

Sie sind alle über Bayern eingereist, mit dem Auto, der Bahn, mit dem Flugzeug, und längst zu Hause, in Hamburg, Braunschweig, Hagen, Gera oder anderswo in Deutschland. Sie sind mit dem Coronavirus infiziert, sie könnten es wissen, immerhin wurden sie getestet. Aber in ihrem Fall ist ein Test kein Vorsprung durch Wissen. Denn diese 908 Deutschen sind arglos und haben unwissentlich womöglich weitere Menschen angesteckt. Die Behörden haben sie nicht benachrichtigt. Sie waren überfordert. Weitere 100 Fälle sind offen, 150 werden abgeglichen. Es ist ein Chaos.

Das Fiasko lehrt Epidemiologen, dass die Corona-Eindämmung nur so stark sein kann wie der schwächste Teil einer Abwehrkette – davon wird noch die Rede sein. Und es trifft einen Ministerpräsidenten, der monatelang als Krisenmanager auftrumpfte. Mit Tests an allen Reisenden – ganz gleich, woher sie kommen – wollte Markus Söder (CSU) alle übertrumpfen und einen „Service für ganz Deutschland“ leisten. Der Franke hat sich überhoben. Schon spottet Linken-Chefin Katja Kipping in Berlin, „Söder entlarvt sich als Scheinriese im Krisenmanagement“.

Markus Söder zu Corona-Panne: „Wir können uns nur entschuldigen“

Es ist kein guter Tag für ihn. Söder muss den Patzer einräumen. „Wir können uns dafür nur entschuldigen.“ Solche Töne kennt man nicht von ihm. Dass gerade ihm das passieren musste, gerade Söder und gerade Bayern mit seiner Vorzeige-Verwaltung. Während bundesweit eine Testpflicht für Einreisende aus Risikogebieten gilt, will man im Söder-Land anspruchsvoller sein. Seit dem 25. Juli wird dort jedem Einreisenden an den bayerischen Flughäfen ein Test angeboten, seit dem 30. Juli überdies an einigen Bahnhöfen und Grenzübergängen. Das Angebot wird gut angenommen.

Markus Söder (CSU): Er gilt als Macher, doch das Corona-Test-Management des bayerischen Ministerpräsidenten versinkt im Chaos.
Markus Söder (CSU): Er gilt als Macher, doch das Corona-Test-Management des bayerischen Ministerpräsidenten versinkt im Chaos. © AFP | Nicolas Armer

Bis Mittwoch hatten die Helfer an acht Testzentren 107.376 Abstriche genommen, an drei Autobahnraststätten (A3, A8, A93), an den Bahnhöfen München und Nürnberg sowie an drei Flughäfen. 1298 Tests fielen positiv aus, überwiegend bei Autofahrern, in 44 Fällen bei Bahnreisenden, 157-mal bei Flugpassagieren. Die Hälfte der Menschen fuhr weiter gen Norden. „In Bayern hat sich keiner infiziert“ , beteuert Söder. Viele kommen nicht aus Risikoregionen, sondern aus vermeintlich normalen Urlaubsgebieten.

Corona: Tausende Urlauber warten auf Testergebnis

Am Mittwoch muss Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) einräumen, dass 44.000 Getestete noch immer auf ihr Ergebnis warten, darunter fatalerweise gut 900 positive Corona-Tests. Zweimal bietet sie ihrem Ministerpräsidenten den Rücktritt an. Zweimal fragt er zurück, ob sie sich die Aufgabe weiter zutraue. Zweimal lautet die Antwort Ja. Sie wolle diese „Scharte auswetzen“, folgert der CSU-Chef. Es sei ein Fehler passiert, „kein kleiner“, ein schwerer, freilich „in der Umsetzung und nicht in der Strategie“. Führung in schwierigen Zeiten heiße, „sich unterhaken“, so Söder.

Die Landesregierung hatte die Testkapazitäten massiv hochgefahren. Der Tempomacher: Söder. Rückblickend erkennt er: Das Tempo sei „zu hoch“ gewesen. Nicht der Rachenabstrich oder die Probenanalyse machen Probleme, sondern die Erfassung der Daten – sie ist die Schwachstelle in der Kette. Das Landesamt für Gesundheit sah sich nicht in der Lage, binnen kurzer Zeit eine entsprechende Software bereitzustellen, schimpft das Rote Kreuz. Also werden die Formulare händisch erfasst. Die Fehlerquote ist da oft höher. Mit dem Bleistift statt mit dem Laptop? Der Hightech-Freistaat scheitert - eine Ironie - an der Digitalisierung. Inzwischen werden die Menschen informiert. Wer noch keine Nachricht bekommen habe, solle einen zweiten Test machen, rät Söder.

Söders Image war meist besser als die Fakten und Zahlen

Nicht zufällig setzt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bei der Digitalisierung an. Er fordert im Gespräch mit unserer Redaktion den Aufbau einer Test-App, damit zurückkehrende Urlauber unmittelbar über ihre Ergebnisse informiert werden können. „Die Daten von allen, die an einer Kontrollstelle an einem Test teilnehmen, würden in der App erfasst. Das würde die fehleranfällige händische Eingabe ersetzen“, erklärt Lauterbach.

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Er pocht auch darauf, dass möglichst viele Deutsche bei der Rückkehr aus dem Ausland auf Sars-CoV-2 getestet werden: „Wir wissen seit Monaten, dass die Reisenden mit einem erhöhten Risiko nach Hause zurückkommen.“ Fachleute wie Lauterbach wissen, dass Bayern an seinen Ansprüchen gescheitert ist. Die übrigen 15 Länder konnten denselben Fehler nicht machen, weil sie gar nicht erst so extensiv testen wie im Freistaat. Söder sagt, „was wir anbieten, findet im Rest Deutschlands nach wie vor nicht statt. Wir waren Vorreiter.“

In zehn Bundesländern sind noch Schulferien. Der Rückreiseverkehr wird bis Mitte September anhalten, mindestens bis in Baden-Württemberg die Schulen wieder öffnen. Und jeder Flughafen, jeder Grenzübergang droht zum Corona-Verteilzentrum zu werden. Das lassen nicht nur die Zahlen aus Bayern befürchten, sondern auch die Erfahrungen an den Flughäfen in Nordrhein-Westfalen. Als der Test noch freiwillig war, war dort jeder zweite Fluggast dazu bereit. Davon waren gut 2,5 Prozent infiziert. Es wird darauf ankommen, Reisende künftig flächendeckend zu testen und rasch über das Ergebnis zu informieren, um das Ansteckungsrisiko zu begrenzen.

Corona-Testzentrum an der A8: Ein Mitarbeiter vom Bayerischen Roten Kreuz nimmt Abstriche.
Corona-Testzentrum an der A8: Ein Mitarbeiter vom Bayerischen Roten Kreuz nimmt Abstriche. © dpa | Sven Hoppe

Ischgl ist die Standardausrede des Ministerpräsidenten

Wie gut Söder als Krisenmanager ist, das ist mehr eine Frage des Auftritts und der Haltung als der nüchternen Zahlen und Fakten. Wie sich die Infizierten über die Republik verteilen, hat das Robert-Koch-Institut auf einer Landkarte dargestellt. Weiß steht für null bis 50 Fälle, Dunkelblau für 500 bis 2000 Fälle pro 100.000 Einwohner. Bayern erscheint nur in Blautönen. Tatsächlich ist der Freistaat das am stärksten betroffene Bundesland. Pro 100.000 Einwohner kommt Bayern auf 399 Infizierte und 20,1 Todesfälle, Nordrhein-Westfalen auf 293 Infizierte und 9,8 Todesfälle.

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Wenn man nur die Zahlen gelten lässt, ist im Kreis der Ministerpräsidenten niemand so erfolgreich wie Manuela Schwesig (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern. Wenn Söder auf die Diskrepanz zwischen seinem Macher-Image und dem tatsächlichen Infektionsgeschehen angesprochen wird, verweist er oft auf den Skiort Ischgl in Österreich, aus dem heraus die größte Infektionswelle entstanden sei – „wir waren nah dran“. Doch Ischgl taugt im Februar oder März noch als Erklärung – im Sommer aber nicht mehr.

Kanzlerkandidat? Markus Söder führt Fernduell gegen Armin Laschet

Eigentlich wollte Söder am Donnerstag seinen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentenkollegen Daniel Günther besuchen, mit dem CDU-Politiker durchs Watt wandern und eine Schifffahrt auf der Nordsee unternehmen. Söder sagt den Termin am Mittwochabend ab: „Bayern geht vor“, schrieb er auf Twitter. Die schönen Bilder aus dem Norden, die durchaus die Botschaft hatten, dass Söder auch im Norden punkten kann – abgesagt.

Söder muss damit rechnen, dass der Blick auf ihn fortan kritischer ausfällt, gnadenloser. Auch in der Schwesterpartei, in der CDU, besonders in NRW. Mit seinem Amtskollegen Armin Laschet führt er seit Monaten ein Fernduell. Söder warnt und mahnt, Laschet dagegen kämpft um ein bisschen Normalität. Es geht um das bessere Krisenmanagerzeugnis, unausgesprochen um das Empfehlungsschreiben für die nächste Kanzlerkandidatur der Union. Wo Laschet patzig wirkt, punktet Söder, in Umfragen schneidet er regelmäßig besser ab. Seit gestern jedoch spielt er bei der Corona-Bekämpfung in einer Klasse mit Laschet.

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