Die Zahl der schwer Erkrankten ist im Vergleich zu den Corona-Neuinfektionen deutlich geringer als im Frühjahr. Virologen können das erklären.
NRW meldet wie andere Bundesländer auch einen Anstieg der Corona-Neuinfektionen. In der vergangenen Woche waren es laut Landesgesundheitsministerium 1803 neue Fälle, das ist etwa ein Viertel der Neuinfektionen, die es in der Spitze mit 6433 in einer Woche Anfang April gab. Auffällig ist jedoch, dass die Zahl der schweren Krankheitsverläufe im Vergleich zu der Zahl der Neuinfektionen deutlich geringer ist, als vor vier Monaten. Virologen warnen aber davor, daraus abzuleiten, die Krankheit nehme insgesamt einen milderen Verlauf.
In der vergangenen Woche wurden in NRW laut Landesgesundheitsministerium 174 Menschen im Krankenhaus stationär nach einer Corona-Infektion behandelt. Davon mussten 36 Patienten intensivmedizinisch betreut und beatmet werden. In der Woche zwischen dem 5. und 12. April lagen hingegen 577 Corona-Patienten an einer Beatmungsmaschine, 1325 wurden insgesamt stationär behandelt.
Wenn anlasslos getestet wird, fallen auch Infizierte ohne Symptome auf
Das Landesgesundheitsministerium erklärt die Diskrepanz durch die im Vergleich zum Frühjahr umfangreicheren Testungen, etwa bei Menschen, die in den Urlaub fahren oder von einer Reise zurückkommen. Es sei davon auszugehen, dass dabei auch infizierte Menschen entdeckt würden, die keine oder nur wenige Symptome entwickelt hätten. Sprich: Wenn mehr und anlasslos getestet wird, fallen mehr Infektionen auf.
Auch interessant
„Im Frühjahr waren es hauptsächlich Personen mit Symptomen oder Kontakten zu Infizierten, jetzt dienen die Tests auch der Überwachung. Positiv getestet werden jetzt auch junge Erwachsene, beispielsweise Reiserückkehrer und Menschen, die wegen anderen Krankheiten stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden, die bislang kaum erfasst wurden, weil sie nur sehr milde Covid-19-Symptome hatten“, erläutert Prof. Mirko Trilling, Virologe an der Essener Uni-Klinik.
Virologe: Virus hat sich nicht verändert
Das Berliner Robert-Koch-Institut berichtet, dass derzeit bundesweit wöchentlich rund 500.000 Menschen getestet würden. Aktuell fielen etwa 0,8 Prozent dieser Tests positiv aus. In NRW sind die Testkapazitäten deutlich ausgeweitet worden, für Ende Juli meldete das RKI insgesamt rund 800.000 Testungen in Nordrhein-Westfalen. Im Frühjahr habe es „sicherlich eine starke Untererfassung bezüglich der laborbestätigten Fälle“ gegeben, erklärt Virologe Trilling. Die Zahl der Infektionen wird also erheblich höher gewesen sein, als die registrierten Fälle.
Prof. Ortwin Adams, Virologe an der Uni-Klinik Düsseldorf, betont, dass es „keinen Hinweis darauf gibt, dass das Virus sich verändert hat“. Dass die Zahl der schweren Krankheitsverläufe aktuell vergleichsweise niedrig sei, erklärt Adams auch damit, dass nun die besonders anfälligen Personen besser geschützt würden, vor allem die Bewohner von Altenheimen.
Anstieg der Zahlen mit „Respekt“ begegnen
Auch Trilling betont: „Aus den vergleichsweise geringen Zahlen schwerer Krankheitsverläufe sollte man nicht schlussfolgern, dass sich die Pathogenität des Virus abgemildert hätte. Junge Menschen zeigen in aller Regel - jedoch nicht immer - mildere Krankheitsverläufe als ältere Mitbürger mit Vorerkrankungen.“ Glücklicherweise geben es derzeit relativ wenige Ausbrüche in Altenheimen. Die Experten gingen immer noch davon aus, dass es bei etwa drei Prozent der Infektionen zu Lungenentzündungen komme, so Trilling.
Auch interessant
Der Essener Virologe warnt davor, im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus nachzulassen: „Wir erleben seit einigen Wochen leider wieder einen mäßigen aber stetigen Anstieg der Infektionen. Dieser Entwicklung sollten wir unbedingt mit Respekt begegnen“, sagt Trilling. Er wolle nicht wieder einen exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen erleben. „Falls eine Einzelfallverfolgung wegen der Anzahl der Fälle nicht mehr durch die Gesundheitsbehörden zu leisten ist, drohen erneut allgemeine Maßnahmen“ – sprich schlimmstenfalls ein erneuter Lockdown.
Drei Menschen starben in NRW in der vergangenen Woche an oder mit Corona
Prof. Ortwin Adams sieht in den aktuellen Zahlen auch einen Ausweis der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems: „Sie sprechen dafür, dass wir einiges besser beherrschen. Wir haben eine bessere Strategie entwickelt und es wird sehr gute Arbeit geleistet.“
Dafür spricht auch die Zahl derjenigen, die an oder mit einer Corona-Infektion in NRW gestorben sind. In der Woche zwischen dem 12. und 19. April waren es 313 Menschen. In der vergangenen Woche waren es drei.