Berlin. Deutschland steht am Anfang der zweiten Welle der Corona-Pandemie. Befeuert wird sie durch zwei Faktoren. Wie wir jetzt handeln müssen.
Kennen Sie das? Am Meer gibt es bei Wetterwechseln manchmal ein interessantes Phänomen: Tagelang bläst der Wind stark aus Südost. Dann schläft er ein, die See wird spiegelglatt. Doch auf einmal kräuselt sich das Wasser wieder, der Wind frischt auf, diesmal aus West. Und es dauert keine Stunde, und man ist in schwerer See. Übertragen auf die Lage in der Corona-Pandemie: Im Frühjahr hatten wir Starkwind, im Frühsommer eine trügerische Flaute, jetzt, auf dem Höhepunkt des Sommers, baut sich eine neue, die zweite Welle auf.
Im Grunde ist Deutschland längst mittendrin. Ein Blick auf die Infektionskurve reicht. Mehrmals lag die Zahl der Neuinfektionen in den letzten Tagen nahe der 1000-Fälle-Marke. Und nahezu täglich werden neue Hotspots gemeldet. An der Nordseeküste, im Kreis Kleve, im Taunus, in Offenbach, im Kreis Ludwigslust. Das Virus verbreitet sich bei Familienfeiern und Partys, oft wird es auch von Reiserückkehrern eingeschleppt. Lesen Sie auch: Corona-Hotspots: Wo neue Risikogebiete entstehen könnten
Coronavirus: Diese Faktoren begünstigen eine zweite Welle
Verschärft wird die Lage nun durch zwei Faktoren: In vielen Bundesländern gehen die Ferien in den nächsten Tagen zu Ende, Zehntausende Reiserückkehrer werden noch an Flughäfen, Bahnhöfen und Grenzübergängen erwartet. Die wenigsten kommen aus Ländern, die formal als Risikoland ausgewiesen sind. Viele kommen aus europäischen Ferienregionen, in denen das Risiko aber gerade wieder deutlich steigt.
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Um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren, müssten theoretisch sämtliche Rückkehrer in eine 14-tägige Quarantäne. Doch das ist derzeit weder vermittelbar, noch könnte es von den unterbesetzten Gesundheitsämtern kontrolliert werden. Stattdessen sollen sich nun alle nach ihrer Ankunft testen lassen. Das ist besser als nichts, aber: Selbst wenn sich viele testen lassen – Sicherheit gibt das nicht. Auch interessant: Corona-Tests: So sollen sie am Flughafen stattfinden
Rückkehrer sollten bestenfalls Wiederholungstest machen
Ein Beispiel: Urlauber X feiert am letzten Abend in der Bar in Barcelona, beim Heurigen in Wien oder am holländischen Nordseestrand und steckt sich an. Bei der Rückkehr in Deutschland lässt er sich testen – und weil das Virus noch nicht nachweisbar ist, ist sein Ergebnis negativ. Was macht er nun? Schüler werden in dieser Lage in die Schule gehen, Mitarbeiter ins Büro oder in den Betrieb, werden Freunde und Verwandte treffen. Und das Virus möglicherweise still verbreiten. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wirbt gerade nahezu im Stundentakt eindringlich für den Test. Genauso eindringlich sollte er für einen Wiederholungstest werben.
Der zweite Faktor ist die gefährliche Mischung aus Sorglosigkeit und Ignoranz. In Zügen und U-Bahnen etwa tragen viele keine Maske mehr – doch niemanden interessiert das. Wieso werfen die Betreiber uneinsichtige Fahrgäste nicht mit der gleichen Konsequenz aus dem Zug, wie sie es bei Schwarzfahrern tun? Wieso werden Bußgelder zwar eingeführt, aber kaum verhängt?
Das „Wir-Gefühl“ vom Anfang der Pandemie muss zurückkommen
„Wir sind die zweite Welle“ stand auf einem der Schilder, die bei der Demonstration gegen die Corona-Regeln am Sonnabend in Berlin in die Kameras gehalten wurden. Sollte das lustig sein? Und was sagen wohl jene Menschen dazu, die sich erst wochenlang gegen die erste Welle gestemmt haben und nun mit großer Sorge auf die zweite schauen? Die Pflegekräfte, die Ärzte, die zahllosen Corona-Helden in den Verwaltungen, die gerade lokale Ausbrüche eindämmen müssen? Mehr zum Thema: Demo gegen Corona-Maßnahmen aufgelöst – Polizisten verletzt
Es wird höchste Zeit für ein neues Wir-Gefühl – ganz so wie am Anfang der Pandemie. Es wird auch höchste Zeit für klare Worte. Am besten von der Frau, hinter der sich die große Mehrheit der Deutschen in der Corona-Pandemie wieder mit Überzeugung versammeln konnte: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Urlaub verdient, doch lange kann sie nicht mehr warten.
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