Berlin. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, über persönliche Erlebnisse in der Corona-Zeit und die Kanzlerkandidatur der SPD.
Malu Dreyer ist Krisenmanagerin – und gehört selber einer Risikogruppe an. Im Interview berichtet die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz über elementare Erfahrungen in der Corona-Pandemie.
In Deutschland steigt die Zahl der Neuinfektionen. Stellen Sie sich auf eine zweite Corona-Welle ein?
Malu Dreyer: Deutschland hat die Pandemie bisher gut bewältigt. Unser Bestreben ist, dass es nicht zu einer richtigen zweiten Welle kommt. Ein neuer Lockdown wäre für die Wirtschaft und die Bevölkerung schwer erträglich.
Wo erholen Sie sich diesen Sommer?
Dreyer: Mein Mann und ich sind gerade aus Dänemark zurückgekehrt. Wir haben unseren Urlaub verbracht, wie es in die Corona-Zeit passt: in einem einsamen Ferienhaus.
Sie leben mit Multipler Sklerose, gehören zu einer Risikogruppe. Wie schützen Sie sich?
Dreyer: Meine Erkrankung spielt hier keine besondere Rolle. Ich tue das, was ich allen Bürgern und Bürgerinnen sage: Dass man einfach bestimmte Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten hat. Als Ministerpräsidentin möchte ich Vorbild sein, daher halte ich meine Kontakte immer noch sehr begrenzt. Ich habe wochenlang meine Enkel nicht gesehen und meine Mutter nicht besucht. Das war sehr schwer, auch für mich persönlich. Das haben aber ganz viele Menschen durchgemacht.
Wie groß ist Ihre Angst vor dem Virus?
Dreyer: Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin schon lange im politischen Geschäft und habe noch nie so eine Art von Verantwortung erlebt wie in dieser Zeit. Das Virus ist neu – und die Folgen sind ungewiss. Man wacht auf mit Corona und man geht ins Bett mit Corona. Wir arbeiten im Grunde rund um die Uhr.
Lassen Sie sich regelmäßig testen?
Dreyer: Nein. Wir halten uns in der Staatskanzlei an die allgemeine Teststrategie: Wenn es jemanden gibt mit Symptomen, wird er natürlich sofort getestet. Und wenn es sich um einen positiven Fall handelt, werden alle im Umfeld dieser Person getestet. Insgesamt begegnen wir uns mit Abstand und erledigen möglichst viel über Videoschalten. Wir haben unsere Homeofficekapazitäten erheblich ausgebaut. Ein Teil der Belegschaft ist immer noch im Homeoffice. Und wir haben ein Wechselmodell eingeführt, damit bestimmte Verantwortungsträger sich möglichst nicht treffen.
Gab es trotzdem Infektionen?
Dreyer: Wir hatten einen Fall, das ist aber alles sehr glimpflich ausgegangen – weil sich alle an die Regeln halten.
Wie groß ist Ihre Hoffnung auf einen wirksamen Impfstoff?
Dreyer: Ich bin sehr stolz, dass Biontech aus Mainz bei diesen innovativen Unternehmen ganz vorne mit dabei ist. Bei meiner letzten Videoschalte mit dem Vorstand von Biontech gab es sehr viel Optimismus, dass man im Herbst zu einem Impfstoff kommt. Es wird aber dann noch eine ganze Weile dauern, bis wirklich jeder geimpft ist.
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An welchen Zeitraum denken Sie?
Dreyer: Eine Prognose ist hier sehr schwierig. Zunächst brauchen wir natürlich einen zugelassenen Impfstoff. Es gibt Stimmen, die nächsten Sommer oder Herbst für realistisch halten.
Ist es zu verantworten, dass Schulen und Kitas schon nach diesen Sommerferien zum Normalbetrieb zurückkehren?
Dreyer: In Rheinland-Pfalz war es schon vor den Ferien so, dass alle Kinder die Schule besucht haben – nur nicht alle gleichzeitig. Und nach den Ferien geht es in Schulen und Kitas mit dem Regelbetrieb wieder los. Wir werden auf Abstandsregeln im Unterricht verzichten, alles andere ist gar nicht machbar.
Bedenken haben Sie keine?
Dreyer: Wir haben ein Hygienekonzept entwickelt. Wenn es zu einem Infektionsfall kommt, werden alle anderen in Quarantäne geschickt und es wird umfassend getestet – und die Schule im Zweifel temporär geschlossen. Dieses Vorgehen haben wir gemeinsam mit Gewerkschaften, Lehrerverbänden und den Vertretungen von Eltern und Schülern besprochen. Wir haben in Rheinland-Pfalz die Infektionszahlen stark zurückdrängen können. Das ermöglicht es jetzt, in den Regelbetrieb zurückzukehren.
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Das Virus hat die Wirtschaft auf Talfahrt geschickt – und Deutschland gibt hunderte Milliarden Euro für Rettungs- und Konjunkturprogramme aus. Wird Ihnen bei den Summen manchmal schwindlig?
Dreyer: Es sind riesige Summen – und Deutschland tut genau das Richtige. Es wäre falsch, gegen die Krise anzusparen. Wenn wir die Wirtschaft jetzt unterstützen, kann sie später wieder durchstarten. Wichtig ist dabei, dass wir in eine nachhaltige, CO2-neutrale Zukunft investieren.
Herzstück des deutschen Konjunkturpakets ist eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer. Entfacht das mehr als ein Strohfeuer?
Dreyer: Die Mehrwertsteuersenkung ist eines von mehreren wichtigen Elementen des Konjunkturpakets. Sie gibt den Verbrauchern das Signal: Ihr habt was davon, wenn ihr Einkaufen geht. Und wo die Steuersenkung nicht weitergegeben wird, erfüllt sie ebenfalls ihren Zweck bei der Stabilisierung von Unternehmen.
Wollen Sie die Senkung der Mehrwertsteuer über den Jahreswechsel hinaus verlängern?
Dreyer: Die Bundesregierung hat ganz klar gesagt, das ist ein befristetes Instrument, um die Konjunktur anzukurbeln. Man wird im Herbst betrachten müssen, welche Effekte durch die Senkung der Mehrwertsteuer erreicht wurden. Und dann wird man überlegen, ob weitere Maßnahmen notwendig sind.
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Wie ein Nein klingt das nicht.
Dreyer: Ein Ja ist es aber auch nicht. (lacht)
Vor einem Jahr waren Sie noch kommissarische SPD-Vorsitzende. Trauern Sie dieser Zeit nach – oder sind Sie eher froh, dass Sie das hinter sich haben?
Dreyer: Das war für mich eine total interessante Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, weiter zur Verfügung zu stehen. Das war für mich auch die richtige Entscheidung.
Machen die neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ihre Sache gut?
Dreyer: Ich finde, dass die neuen Parteivorsitzenden sehr gut in ihrem Amt angekommen sind. Das Wichtigste für mich ist, dass die SPD inhaltlich gut aufgestellt ist. Die CDU führt eine total rückwärtsgewandte Debatte über die Frauenquote. Dagegen kann ich meiner Partei ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellen.
In den Umfragen verharrt die SPD deutlich unter 20 Prozent.
Dreyer: Meine Erfahrung ist, dass sich viele Bürger erst kurz vor dem Wahltermin entscheiden. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Bevölkerung in Deutschland schon verinnerlicht hat, dass Angela Merkel nicht mehr antritt. Das schafft eine völlig neue Lage. Die sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister liefern eine ganz hervorragende Arbeit ab – von der Grundrente bis zum Konjunkturpaket, das im wesentlichen Olaf Scholz geschnürt hat. Wenn klar ist, wer die Parteien in die Bundestagswahl führt, werden die Karten neu gemischt.
Hätte die SPD mit einem Kanzlerkandidaten Scholz die besten Chancen?
Wir haben uns auf ein klares Verfahren verständigt: Die Parteivorsitzenden werden einen Vorschlag machen. Als ehemalige kommissarische Vorsitzende möchte ich keine Ratschläge von der Seitenlinie geben.
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Olaf Scholz muss sich im Skandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard unangenehmen Fragen stellen. Beeinträchtigt das seine Aussichten?
Dreyer: Olaf Scholz betreibt sehr intensiv Aufklärung. Das macht auch seine Qualität aus, dass er bereits Vorschläge macht, wie man das System der Finanzkontrolle anders organisieren kann. Er managt das Ganze hochprofessionell und gut. Olaf Scholz ist auf jeden Fall ein geeigneter Kandidat, das ist überhaupt gar keine Frage. Aber es bleibt dabei: Die Parteivorsitzenden machen erst einmal einen Vorschlag.
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