Berlin. Die Maskenpflicht abschaffen? Das Stück Stoff nervt vielleicht manchmal. Es ist aber ein notwendiges Übel, um Menschenleben zu retten.

Mal ist sie zu groß, mal zu klein. Nach kurzer Respiration in modriger Kaufhausluft fühlt man sich unter ihr wie ein 100-jähriger Finne nach einer 120-Grad-Sauna mit drei Aufgüssen. Oder die Maske wird vergessen, fällt aus der Hosentasche – und man steht peinlich berührt oben ohne vor der Supermarkttür.

Umgekehrt diese Vielfalt: Als Museen und Schulen dichtmachten und Ende April die Maskenpflicht eingeführt wurde, erwachte die Republik der Funktionskleidungsträger aus dem modischen Dornröschenschlaf.

Nähmaschinen und Kinderhände wurden heiß. Schlafanzüge, Schlüpfer, Gardinen, Trikots, Socken. Fast jeder Fetzen Stoff wurde zur Maske, der künstlerisch-schöpferische Akt in dunkler Pandemie-Stunde zum Moment innerer Einkehr und gesellschaftlicher Solidarität. Ich nähe, also bin ich. Ich trage Maske, um zu schützen. Lesen Sie auch: Frankreich: Angriff auf Busfahrer sorgt für Entsetzen

Zahl der Neuinfektionen fast verschwindend gering

Nun schreit ein Teil der Wirtschaft: Schluss mit dem Vermummungszwang! Die Maske, der Konsumkiller, muss weg! Moment mal. Es ist in der Tat erleichternd zu sehen, dass die Zahl der Sars-CoV-2-Neuinfektionen fast verschwindend gering ist.

Viele Regionen melden überhaupt keine neuen Fälle mehr. Wäre es da nicht folgerichtig, den lästigen „Schnutenpulli“ (wie die Masken auf Plattdeutsch heißen) wieder fallen zu lassen und mit von Mehrwertsteuersenkung gestärktem Geldbeutel die Shoppingmeilen zu stürmen? Wir sollten vorsichtig bleiben. Das Virus ist noch da. Und Masken können helfen.

Maskenpflicht: Frühe Erkenntnisse aus Jena

Eine kurze Rückblende. Jena, Anfang April. In der thüringischen Universitätsstadt wurde drei Wochen früher als im Rest des Landes eine Maskenpflicht angeordnet. Danach stieg die Zahl der registrierten Neuinfektionen nur noch leicht. Forscher nahmen die Effekte der lokalen Vermummung genauer unter die Lupe. Lesen Sie auch: Maskenpflicht-Streit: Diese Bundesländer könnten sie kippen

Sie verglichen Jena mit einem „synthetischen Jena“, gebildet aus Städten und Landkreisen ähnlicher Struktur, nur ohne Maskenpflicht. Die Ergebnisse sind frappierend. 20 Tage nach dem Maskenzwang stieg die Zahl der Corona-Fälle in Jena von 142 auf 158, im synthetischen Jena aber von 143 auf 205.

Meta-Analyse zu körperlicher Distanz und Mund-Nasen-Schutz

Die Studie ist kein Einzelfall. Die Weltgesundheitsorganisation ließ US-Wissenschaftler in einer Meta-Analyse die Ergebnisse von 44 Studien untersuchen. Resultat: Eine körperliche Distanz von mehr als einem Meter kann das Ansteckungsrisiko um 82 Prozent senken, ein Mund-Nasen-Schutz um 85 Prozent.

Covid-19 wird beim Ausatmen, Sprechen und Singen über sehr kleine Partikel, sogenannte Aerosole, übertragen. Ein einziger Superspreader, also ein superinfektiöser Mensch, kann in einem geschlossenen Raum sehr viele Menschen anstecken. Ein weiteres Argument für die Maske: Sie ist im Alltag auf engem Raum das Signal, Abstand zu halten.

In Asien sind Masken Alltag und ein Zeichen von Rücksicht

Ja, die Maske nervt beim Einkaufen. Aber sie kann eben die herzkranke Frau oder den asthmageplagten Mann in der Warteschlange vor einer gefährlichen Infektion schützen. In Asien, wo Milliarden Menschen Erfahrung mit mehreren Pandemien gemacht haben, sind Masken Alltag und ein Zeichen von Rücksicht. Diese sollten wir unverändert füreinander aufbringen, bis es einen Impfstoff gibt. Lesen Sie auch: Angela Merkel mit Maske: Kanzlerin trägt Mund-Nasen-Schutz

Ein Blick in die USA zeigt, was eine Politisierung der Maskenfrage mit sich bringt. Donald Trump tritt demonstrativ ohne Mundschutz auf, viele seiner Anhänger sowie Verschwörungstheoretiker tun es ihm gleich. Zeitgleich explodieren die Corona-Zahlen.

Es überrascht nicht, dass jetzt die AfD am lautesten den Vorstoß für ein Ende der Maskenpflicht im Einzelhandel beklatscht. Steht das Stück Stoff für eine Entmündigung des Bürgers, für die Unfreiheit in Corona-Zeiten? Nein. Das ist Populismus. Die Maske ist ein notwendiges Übel, um Menschenleben zu retten.