Berlin. Wirbel um den Bußgeldkatalog: Erste Bundesländer setzen die gerade eingeführte Verschärfung wieder außer Kraft. Das ist der Grund.

Kilometerlange Alleen gebettet in malerischer Landschaft – die Straßen im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte verleiten offenbar zum Autofahren mit Bleifuß. 612 Führerscheine hat der Kreis allein in diesem Mai eingezogen. Ein massiver Anstieg. Ein Jahr zuvor waren es gerade einmal 251 Fahrverbote, berichtet der Radiosender NDR 1 MV. Grund ist offenbar der neue Bußgeldkatalog. Dieser sieht seit Ende April einen Monat Fahrverbot bei deutlich geringeren Geschwindigkeitsverstößen vor.

Die neuen Regeln sorgen bundesweit für Aufregung. Wer innerorts mit 21 Stundenkilometern zu viel geblitzt wird, ist den Lappen los, außerorts ab 26. Zuvor drohte Fahrverbot im Ort ab 31 Kilometern pro Stunde zu viel, 41 außerorts.

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Neuer Bußgeldkatalog wegen Formfehler wieder außer Kraft

Jetzt können Autofahrer, die es mit dem Tempolimit nicht so genau nehmen, vorerst aufatmen. Wegen eines Formfehlers bei der Neufassung der Straßenverkehrsordnung (StVO) im Frühjahr hat das Bundesverkehrsministerium die Länder aufgefordert, den neuen Bußgeldkatalog außer Kraft zu setzen.

Wegen eines „fehlenden Verweises auf die notwendige Rechtsgrundlage“ seien die vorgesehenen Fahrverbote wahrscheinlich nichtig, hieß es aus dem Haus von Minister Andreas Scheuer (CSU). Rechtliche Bedenken hatte zuvor auch der Autofahrerclub ADAC geäußert.

Führerscheine schon zurückgegeben

In Mecklenburg-Vorpommern habe ein Straßenverkehrsamt dem Sender zufolge bereits angefangen, eingezogene Führerscheine zurückzugeben. Damit könnten nun betroffene Autofahrer im ganzen Bundesland rechnen.

Im Laufe des Freitags erklärten nahezu alle Bundesländer, sie wollten wegen des Formfehlers vorerst zum alten Bußgeldkatalog zurückkehren. Nur Bremen will offenbar noch abwarten. „Laufende noch offene, also noch nicht mit Bescheid abgeschlossene Verfahren, sowie auch zukünftige werden ab sofort nach dem alten Bußgeldkatalog bearbeitet“, hieß es aus der Hamburger Verkehrsbehörde.

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Bundesländer waren für strengere Fahrverbotsregeln

Das Saarland hatte am Donnerstag als erstes Bundesland die neuen Regeln außer Kraft und damit ein Zeichen mit Signalwirkung gesetzt. Saar-Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD) sitzt der Verkehrsministerkonferenz vor. Ihr Wort hat Gewicht. Der Vorstoß wird in Berlin gern gesehen, denn Bund und Länder konnten sich nicht auf eine Linie einigen.

Bundesverkehrsminister Scheuer hatte sich schon Mitte Mai an den neuen Regeln gerieben, blitzte damals aber bei Rehlinger ab. Der CSU-Politiker rieb sich an „erheblichen Ungereimtheiten im Sanktionsgefüge“ durch die neuen Fahrverbotsregeln. Die nächste Sanktionsstufe mit zwei Monaten Fahrverbot greife jetzt erst ab 51 km/h zu viel innerorts und 61 außerorts. Scheuer regte an, im Gegenzug für eine Rückkehr zur alten Regel beim Fahrverbot das Bußgeld anzuheben: von 80 auf 100 Euro.

Neben den strengeren Regeln bei Tempoverstößen ging es bei der StVO-Novelle vor allem um mehr Schutz für Fahrradfahrer. Diese Vorschriften sollen weiterhin wirksam sein.

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    Der Streit um das verschärfte Fahrverbot für Raser entwickelt unterdessen das Zeug für eine Politposse. Diese nahm ihren Lauf im Februar, als der Bundesrat über die anstehende Novelle der Straßenverkehrsordnung beriet. Die Länderkammer brachte über 100 Änderungsanträge ein. Darunter war die umstrittene Regelung, dass der Führerschein schon ab 21 Stundenkilometern zu viel weg ist. Die Länder waren sich ohne Gegenstimme einig. Nur Thüringen enthielt sich, weil sich dort gerade eine neue Landesregierung finden musste.

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    Warum Scheuer nicht schon hier eingriff? Das Verkehrsministerium hätte nur das Gesamtpaket ablehnen können. Dann wären die großen Fortschritte der Reform für die Sicherheit von Fahrradfahrern gefährdet gewesen, sagte Scheuer. Als die Kritik an der drastisch verschärften Fahrverbotsregel schließlich Anfang Mai öffentlich hochkochte, bat Scheuer seine Länderkollegen für eine Neuregelung bis zum Herbst um Unterstützung.

    Verkehrsminister der Länder contra Scheuer

    Doch die Verkehrsminister der Länder winkten ab, sie hatten sich ja gerade erst für die Verschärfung ausgesprochen. Die neue Regelung solle sich zunächst in der Praxis bewehren, hatte Saar-Ministerin Rehlinger unserer Redaktion gesagt. Nun folgt der Wirbel um den Formfehler in der Verordnung, die Scheuer selbst verkündet hatte.

    Das Bundesverkehrsministerium will jetzt schnell einen Vorschlag für einen rechtssicheren Bußgeldkatalog erarbeiten. Dieser soll ein „faires Angebot an die Länder für Verkehrssicherheit“ sein und die Verhältnismäßigkeit wahren. Für die nach dem neuen Bußgeldkatalog geahndeten Fälle werde an einer bundeseinheitlichen Lösung gearbeitet. Scheuer warb in einem Brief bereits um die Unterstützung der Landesminister.

    Mit einhelliger Zustimmung kann er aber nicht rechnen, vor allem wenn es um die Neuregelung im Bußgeldkatalog geht. Die Berliner Senatsverwaltung teilte mit, dass der Formfehler natürlich korrigiert werden müsse. Eine inhaltliche Änderung unterstütze man aber nicht.

    Und Thüringens In­frastrukturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) hatte für sein Bundesland schon zuvor klargestellt: „Es gibt keinen Grund, diese Regelungen nun zugunsten von Rasern zurückzunehmen.“ Scheuers Agieren nannte er „mehr als irritierend“.

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