Berlin. Niemand mag die Produktionsbedingungen in der Fleischbranche. Der Wunsch nach neuen Regeln ist groß. Die Politik muss ihn erfüllen.
Die Lebenserwartung von Mastschweinen in Deutschland beträgt im Schnitt fünf bis sechs Monate, oder: bis die Tiere etwa 120 Kilo schwer sind. Diese kurze Zeit verbringen sie in den allermeisten Fällen in Ställen, in denen sie sich kaum bewegen können – auf Betonboden stehend mit Artgenossen, die ihnen vor lauter Stress die Ringelschwänze abbeißen würden, wenn sie nicht ohnehin schon kupiert wären. Am Ende der fünf bis sechs Monate kommen sie in Schlachtbetriebe, wo sie von Menschen, die häufig unter unwürdigen Bedingungen arbeiten, geschlachtet werden.
Das sind alles keine Neuigkeiten – wer wissen wollte, unter welchen Bedingungen aus einem Ferkel in Deutschland ein Kotelett wird, konnte das alles problemlos erfahren. Bei Hühnern, Rindern und anderen Nutztieren ist die Lage vergleichbar.
Die gute Nachricht: Die Gruppe derer, die das wissen will, ist plötzlich deutlich größer als zuvor. Und mit dabei ist Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die der Meinung ist, hier werde und müsse sich etwas ändern.
Zufrieden ist mit der Fleischproduktion in Deutschland eigentlich niemand
Klöckner hat recht. Denn mit Ausnahme der Fleischfabriken – die vor Corona nur wenig im Licht der Öffentlichkeit standen – funktioniert das System für fast niemanden. Die Landwirte klagen seit Langem über geringe Erträge und hohe Ansprüche an ihre Betriebe – so klein sind die Gewinnmargen, dass Tausende Schweinehalter in den vergangenen Jahren aufgegeben haben.
Die Gewerkschaften versuchen, ebenso lange schon, auf die oft ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse in der Branche aufmerksam zu machen. Und die Verbraucher wünschen sich ausweislich Umfragen bessere Lebensbedingungen für die Tiere, gesünderes Fleisch und idealerweise auch weniger CO-Emissionen in der Herstellung. Zufrieden mit dem Status quo ist eigentlich niemand.
Vor allem die Verbraucher waren in den letzten Jahren in die Verantwortung genommen worden, auch von Klöckner. Wer besseres Fleisch will, so der Tenor, muss auch den Markt dafür schaffen. Das ist nicht falsch, doch der Hebel, an dem Verbraucher im Supermarkt stehen, ist kürzer als gedacht. Zum einen gibt es viele Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, zwischen Preis und Produktionsbedingungen abzuwägen. Zum anderen ändert sich durch neue Konsumgewohnheiten in Deutschland gar nicht so viel: Denn Daten aus Klöckners eigenem Haus zeigen, dass der Fleischkonsum in Deutschland sinkt und vegetarische sowie vegane Alternativen immer beliebter werden. Die Fleischproduktion nimmt aber deswegen noch lange nicht ab.
Wunsch nach neuen Regeln für die Fleischbranche war noch nie so groß
Denn Deutschland ist einer der weltweit größten Exporteure von Schweinefleisch. Und an Konsumenten im Ausland zu appellieren, um hier etwas zu ändern, scheint weniger aussichtsreich, als hier Politik zu machen. Nicht zuletzt gibt es – außer bei Biofleisch, das immer noch ein Nischendasein fristet – schlicht keine Garantie, dass teures Fleisch ein besseres Leben für Nutztiere bedeutet.
Wenn Julia Klöckner jetzt also völlig richtig feststellt, dass die Preise, für die man in deutschen Supermärkten Fleisch kaufen kann, viel zu niedrig sind, und das mit einer Abgabe ändern will, ist das zu begrüßen. Voraussetzung für das Funktionieren und die Akzeptanz ist, dass das Geld nachprüfbar in bessere Bedingungen für Tiere, Landwirte und die Beschäftigten der Branche fließt. Was nicht passieren darf, ist, dass Fleisch teuer wird, sich sonst aber nichts ändert.
Ein Umbau der Fleischproduktion in Deutschland wird Zeit kosten und Nerven. Doch das Interesse und die Bereitschaft in der Bevölkerung sind so groß wie noch nie. Diese Chance sollte man politisch nutzen. Denn fest steht: Es braucht eine grundlegende Reform des Schweinesystems.
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