Berlin. In Frankfurt hat der Prozess gegen Stephan E. wegen des Mordes an Walter Lübcke begonnen. Der Angeklagte schweigt vor Gericht.

Die Familie will Aufklärung. Die Ehefrau von Walter Lübcke und seine zwei Söhne wollen als Nebenkläger „alle Umstände“ des Mordes am früheren Kasseler Regierungspräsidenten vor einem Jahr erfahren: Tat, Täter, Mitwisser, Beweggründe, Planung.

Bekommen haben sie zu Beginn des Prozesses am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main erst einmal einen Einblick in den Instrumentenkasten der Verteidigung: Noch vor Verlesung der Anklage haben die Anwälte Anträge auf Aussetzung der Verhandlung und auf Befangenheit des Vorsitzenden Richters gestellt.

Dazu kamen weitere Anträge, das Verfahren für mehrere Wochen zu unterbrechen, weil nicht alle Akten in der kurzen Zeit vor dem Prozess gelesen werden könnten. Mehrfach musste die Verhandlung im Hochsicherheitssaal 165 C, die morgens um zehn Uhr startete, unterbrochen werden. Erst am Nachmittag begann die Verlesung der Anklage. Kommentar: Mordfall Walter Lübcke – Versagen des Verfassungsschutzes

Die Witwe und ihre Söhne treten als Nebenkläger auf

Zur Rechtfertigung ihrer Anträge haben die Verteidiger alle Register gezogen, vom Hinweis auf den Gesundheitsschutz bei Strafprozessen in der Pandemie bis hin zur Klage über den eingeschränkten Zugang der Medien. Gut möglich, dass die zunächst angesetzten 30 Verhandlungstage bis Ende Oktober nicht ausreichen werden.

Es wird zäh und zeitraubend werden – dafür sprechen 240 Aktenordner an Material und viele Zeugen – und wohl auch juristisch trickreich zugehen.

Stephan Ernst, Jahrgang 1973, wird vorgeworfen, den damals 65-jährigen CDU-Politiker in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf dessen Terrasse erschossen zu haben. Der 44-jährige Markus H. soll ihn dabei unterstützt haben und ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Stephan Ernst wird zudem ein Messerangriff auf einen irakischen Asylbewerber im Januar 2016 vorgeworfen. Rein juristisch geht es in Frankfurt ausschließlich um die individuelle Schuld der beiden Angeklagten. Aber da es zweifellos um zwei Rechtsex­tremisten geht, hat das Verfahren eine politische Dimension.

Hintergrund: Immer mehr Gewalt gegen Kommunalpolitiker: Was wirkt sofort?

Die Familie des Opfers tritt erklärtermaßen als Nebenkläger nicht zuletzt deswegen auf, um „auch ein klares Signal gegen Hass und Gewalt in diesem Land“ zu setzen, im Internet und im realen Leben.

„Die Familie will zeigen, dass man nicht verstummen darf und seine Stimme dagegen erheben muss“, erläuterte der frühere hessische Regierungssprecher Dirk Metz, der heute die Familie betreut. Die professionelle Beratung ist angebracht – angesichts des Medienansturms. Schon früh am Morgen, mehrere Stunden vor Beginn des Prozesses, hatten sich lange Warteschlangen von Journalisten vor dem Gerichtsgebäude gebildet. Für die Berichterstattung ließen sich mehr als 200 Journalisten akkreditieren.

Die Angeklagten haben erwartungsgemäß geschwiegen. Eine baldige Aufklärung der Mordnacht, Geständnisse oder gar Reue gar sind erst einmal nicht zu erwarten. Der Hauptangeklagte hat die Tat zunächst gestanden, seine Erklärung aber alsbald widerrufen. Das heißt nicht, dass seine erste Aussage aus der Welt ist. Die Anklage schenkt ihr offensichtlich mehr Glauben als einem zweiten Geständnis.

Da erklärte Stephan Ernst, dass der mitangeklagte Markus H. die Waffe, einen Revolver, getragen habe und dass sich ein Schuss „gelöst“ habe. Nach der Version wollten sie dem Kasseler Regierungspräsidenten nur Angst machen, dann sei das Wortgefecht außer Kontrolle geraten; eine „Abreibung“ (Stephan Ernst), die tödlich endete. Es soll wie Totschlag aussehen – so könnte die Verteidigungslinie aussehen – und nicht wie ein vorsätzlicher Mord.

Totschlag oder feiger Mord aus übelsten Beweggründen?

Legt man nur das zweite Geständnis zugrunde, dann bestreitet Ernst nicht seine Beteiligung an der Tat, und auch das Motiv ist offensichtlich: Beide Angeklagten sind Rechtsextremisten, beide handelten aus Hass. Dem CDU-Politiker wurde zum Verhängnis, dass er die liberale Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte. In seiner ersten Aussage hatte Stephan Ernst erklärt, ihn habe der Hass auf Lübcke nicht losgelassen. Mehrmals sei er zu dessen Haus gefahren. Die Bundesanwaltschaft sieht bei Ernst eine „von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung“ als Motiv.

Das bestärkt den Anwalt der Familie, Holger Matt, in der Überzeugung, dass es sich „um ein kaltblütig geplantes, heimtückisch begangenes, feiges Mordverbrechen aus übelsten Beweggründen“ gehandelt habe. Den genauen Ablauf der Mordnacht wird das Gericht klären.