Berlin. Einnahmeausfälle und Mehrausgaben: Die Krankenkassen geraten in der Corona-Krise in finanzielle Schieflage. Steigen jetzt die Beiträge?

In der Wahrnehmung vieler Menschen sieht es so aus, als seien in Deutschland die härtesten Wochen der Pandemie bereits überstanden. In zahlreichen Bereichen der Gesellschaft kehrt Schritt für Schritt der Alltag zurück. Geschäfte und Restaurants sind geöffnet, ein Teil der Schulen nimmt den Regelbetrieb wieder auf – und auch im Gesundheitswesen scheint sich die Lage nach Wochen der Alarmbereitschaft zu normalisieren.

Im Gegensatz zum Frühjahr, als Tausende Krankenhausbetten über Wochen für einen möglichen Ansturm von Covid-19-Patienten frei gehalten wurden, werden an den Kliniken nun auch wieder nicht akute Eingriffe vorgenommen. Viele von ihnen waren zuvor wegen Corona verschoben worden. Dennoch ist das Gesundheitssystem derzeit weit von Normalität entfernt.

Krankenkassen sollen Kosten für Corona-Tests tragen

Vor allem die gesetzlichen Krankenkassen blicken in eine ungewisse Zukunft, denn vielen droht in der Pandemie eine dramatische finanzielle Schieflage. Anders, als man erwarten könnte, sind es aber weniger die medizinischen Kosten der Corona-Krise, die das Budget der Versicherer akut belasten.

Zwar sind die Zahlungen von Krankengeld ebenso gestiegen wie die Arzneimittelkosten – weil sich etwa chronisch Kranke aus Angst vor Engpässen Medikamentenvorräte zugelegt haben. Gleichzeitig haben die Kassen sogar Geld gespart: Arztbesuche wurden abgesagt, planbare Operationen auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Was den Kassen finanziell tatsächlich zu schaffen macht, ist die pandemiebedingte Wirtschaftskrise.

Rund 7,6 Millionen Menschen in Deutschland sind in Kurzarbeit, die Arbeitslosigkeit steigt, und angeschlagene Unternehmen stunden ihre Versicherungsbeiträge. Gleichzeitig kommen in der Krise neue Kosten auf die gesetzlichen Kassen zu.

Die Bundesregierung will Corona-Tests auf breiter Front ausweiten, besonders in sensiblen Bereichen wie Kliniken, Pflegeheimen, Schulen und Kitas. Ziel ist es, die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Die Kosten für die Tests gehen in die Milliarden. Zu tragen haben sie die klammen gesetzlichen Krankenkassen.

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    Regierung erwartet fehlende Beiträgen in Milliardenhöhe

    Die Bundesregierung ist sich dieser Situation durchaus bewusst. Wegen der Corona-Krise geht der Bund von massiven Beitragseinbrüchen in der gesetzlichen Krankenversicherung aus – und zwar „in einer Größenordnung von circa vier bis fünf Milliarden Euro“ gegenüber der bisherigen Schätzung, wie das Bundesgesundheitsministerium jüngst auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Fraktion mitteilte.

    Weiter heißt es dort, die Regierung sei sich bewusst, dass die veränderten Rahmenbedingungen „die Krankenkassen vor Herausforderungen stellen und zumindest in der Übergangsphase eine Anpassung ihrer Liquiditätsplanung erforderlich ist“.

    Doch was genau bedeutet das? Werden auf längere Sicht die Kassenbeiträge steigen? Aus dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV kam im Mai die Warnung, der durchschnittliche Zusatzbeitrag der Versicherten von derzeit 1,1 Prozent müsse auf bis zu 2,2 Prozent verdoppelt werden, falls der Bund nicht einspringe. Der allgemeine gesetzliche Beitragssatz liegt derzeit bei 14,6 Prozent.

    Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sich die Republik befindet, spricht sich der Chef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, aber klar gegen eine Erhöhung aus. „Deutschland braucht jetzt stabile Krankenkassenbeiträge“, mahnt Litsch, dessen Verband die Interessen von rund 26 Millionen Versicherten vertritt. Litsch verlangt, nach einem Kassensturz im Spätsommer müssten zusätzliche Bundesmittel für den Gesundheitsfonds bereitgestellt werden.

    2021 könnte für die Kassen richtig schwer werden

    Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält höhere Beiträge trotz des wachsenden Kostendrucks der Versicherungen für unwahrscheinlich. „In diesem Jahr rechne ich nicht mit einem Beitragssatzanstieg“, sagte Lauterbach unserer Redaktion. Und sollte im kommenden Jahr aufgrund der Finanzlage der Kassen ein Erhöhung rechnerisch notwendig werden, müsse dies „auf jeden Fall abgewendet werden. Da wäre dann auch der Steuerzahler gefordert. Die Abgaben auf Arbeit dürfen nicht weiter steigen. Insbesondere nicht bei der jetzigen Konjunkturlage“, mahnt Lauterbach eindringlich.

    Erst am Freitag hat die schwarz-rote Bundesregierung im Rahmen ihres Konjunkturpakets beschlossen, die Sozialabgaben nicht über 40 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens steigen zu lassen. Ziel ist es, die Lohnnebenkosten insgesamt zu drücken. Um die Krankenkassenbeiträge stabil zu halten, fließt für das laufende Jahr ein Zuschuss von 3,5 Milliarden Euro an die gesetzlichen Versicherungen.

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      Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies zudem darauf hin, dass die Kassen auch von der vorübergehend abgesenkten Mehrwertsteuer profitierten, welche ja auch für Arzneimittel sinkt. Dies dürfte eine weitere Entlastung sein.

      Offen ist, ob zusätzliche Staatshilfen erforderlich werden. „Wir haben jetzt Mitte Juni. Und da kann noch niemand seriös sagen, wie viel Geld am Ende des Jahres benötigt wird“, sagt der Sprecher des GKV-Spitzenverbands, Florian Lanz. Der Verband hofft aber, dass der Bund auch künftig finanziell einspringt und die Versicherten dadurch „im nächsten Jahr insgesamt stabile Beitragssätze haben könnten“, so Lanz. Eines sei aber jetzt schon absehbar: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung werde sich „direkt auf die Beitragseinnahmen der Krankenversicherung auswirken und eine gewaltige finanzielle Herausforderung werden“.

      Lauterbach: Weitere Steuergelder nur unter Bedingungen

      Auch SPD-Mann Lauterbach geht davon aus, dass sich die Lage zuspitzt. Fest stehe, „dass die Kassen nächstes Jahr ein Finanzproblem bekommen“. Welche Größenordnung es haben werde, „werden wir diesen Herbst sehen“. Klar sei aber, dass die Kassen „in finanzielle Schieflage geraten, falls sie über längere Zeit weniger einnehmen, als sie benötigen“. Bis sich die Lohnentwicklung wieder erhole, werde es „noch lange dauern“. Bis dahin werde es bei den Einnahmeausfällen der Kassen bleiben.

      Als neuen zusätzlichen Kostentreiber sieht Lauterbach die Corona-Massentests. Doch auch „die Bewältigung einer möglichen zweiten Infektionswelle wird zu Zusatzkosten führen“.

      SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach rechnet in diesem Jahr nicht mit einem Beitragssatzanstieg.
      SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach rechnet in diesem Jahr nicht mit einem Beitragssatzanstieg. © imago images/Reiner Zensen | Reiner Zensen via www.imago-images.de

      Sollte in Zukunft tatsächlich weiteres Steuergeld in das Gesundheitssystem fließen, will Lauterbach dies an Bedingungen knüpfen. „Der Staat muss Einfluss darauf nehmen können, wie das Geld ausgegeben wird.“ Er müsse an den Planungen beteiligt werden. Und es müsse gewährleistet sein, „dass Ziele, die dem Staat wichtig sind, erfüllt werden“. Dass es hier Mängel gebe, habe die Corona-Krise gezeigt.

      Lauterbach nennt Beispiele: „Wir haben einen schlechten Pandemieschutz und unterbezahlte Pflegekräfte.“ Und noch etwas steht für Lauterbach fest: Keinesfalls dürfe das zusätzliche Geld dazu führen, dass Kassen „ihre Marktpositionen verbessern“.

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