Brüssel. Die sozialen Medien werden auch in der Corona-Krise genutzt, um Fake News zu verbreiten. Was die EU jetzt dagegen unternehmen will.

Den Urhebern von Falschnachrichten in der Corona-Krise ist kein Unsinn zu groß und keine Lüge zu gefährlich: Der Genuss von Bleichmitteln helfe gegen eine Virusinfektion, behaupten die Lügenerfinder, Händewaschen nütze dagegen gar nichts. Hinter der Pandemie stecke die Nato, ein geheimes US-Labor in der Ukraine oder die Verschwörung einer globalen Elite. Kein Spaß: „Desinformation in Zeiten des Coronavirus kann töten“, warnte am Mittwoch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Brüssel.

Die Pandemie werde begleitet von einer massiven Welle von Desinformation, hinter der auch ausländische Akteure steckten, vor allem Russland und China, sagte Borrell. Heute würden „Krieger Tastaturen statt Schwerter schwingen“. Desinformationskampagnen seien Waffen. Einen „Kalten Krieg“ wolle die EU nicht, versicherte Borrell. Aber sie werde entschiedener gegen gezielte Falschnachrichten vorgehen. Vor allem: Betreiber von Internetplattformen werden stärker in die Pflicht genommen, beschloss die Kommission. Denn die große Sorge gilt einer neuen „Fake News“-Welle: „Das nächste Schlachtfeld ist die Impfung, da kommt es zu neuen Angriffen“, warnte Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourova.

Corona-Fake-News: Was sollen Facebook & Co tun?

Neu ist, dass Internetunternehmen wie Facebook und Google künftig monatlich Berichte in Brüssel darüber abliefern sollen, was sie gegen „Fake News“ getan haben. Jourova bescheinigte den Plattformen zwar, sie hätten schon einiges unternommen. So habe Facebook weltweit rund zwei Milliarden Mal Nutzer auf Informationsseiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderer öffentlicher Stellen weitergeleitet. Doch das reicht der Kommission nicht. Seit Jahren drängt sie die Plattformen, streng gegen Falschinformationen und Hassbotschaften vorzugehen.

2018 hatten Google, Facebook und Twitter in einem freiwilligen Verhaltenskodex unter anderem zugesagt, den Verbreitern von Desinformation Werbeeinnahmen zu entziehen. Auf die Umsetzung drängt Brüssel jetzt. Und: Die Konzerne müssten „beweisen, dass ihre Maßnahmen wirklich funktionieren“, sagte Jourova. Sie sollten genauere Daten dazu liefern, wie und in welchem Umfang sie gezielte Desinformation und Manipulation unterbunden hätten. Die Plattformen sollten auch besser mit Faktencheckern zusammenarbeiten. Fällt die Antwort unbefriedigend aus, sind der nächste Schritt wohl gesetzliche Auflagen für die Konzerne, über die im EU-Parlament schon diskutiert wird.

Um welche Inhalte geht es?

Besondere Sorgen bereiten Falschinformationen über angebliche Heilmittel gegen Corona: Der Unsinn, dass das Trinken von Bleichmitteln das Virus bekämpfe, habe zu einer Zunahme entsprechender Vergiftungsfälle geführt, warnt die EU-Behörde. Und seitdem im Netz Behauptungen kursieren, das Virus werde durch Sendeanlagen des 5G-Mobilfunknetzes verbreitet, komme es zu Attacken auf solche Einrichtungen. Lesen Sie auch: Diese Medikamente werden gegen Covid-19 getestet

Insgesamt hat in Corona-Zeiten die Flut an gezielten Falschinformationen zugenommen, so die Analyse einer Expertengruppe des Auswärtigen Dienstes der EU (EAD). Ziel sei es, Verwirrung zu stiften, mit immer neuen Lügen, Fälschungen oder auch verrückten Verschwörungstheorien. „Der Zweck der Desinformation ist, Misstrauen zu säen gegenüber staatlichen Institutionen, Medien, Experten und dem Gesundheitssystem“, heißt es in der Analyse.

Wer steckt hinter den Falschinformationen?

Es gibt sehr viele verschiedene Urheber mit unterschiedlichsten Motiven, von politischen Extremisten über Verschwörungsphantasten bis zu Gelegenheitsakteuren in sozialen Netzwerken. Lesen Sie auch: Proteste gegen Corona-Regeln – Wer sind die Demonstranten?

Aber die Expertengruppe des EU-Außenamtes ist sich sicher, dass ein Teil der Desinformation von staatlichen Stellen Russlands und Chinas gesteuert wird. Besonders diese beiden Staaten hätten wahre Kampagnen gestartet, um die Krise für politische Zwecke zu instrumentalisieren und die europäische Demokratie zu beschädigen, erklärte Borrell, dem die Expertengruppe unterstellt ist. Sowohl Russland als auch China bestreiten die Vorwürfe vehement.

Kommt die nächste Fake-News-Welle?

Die Kommission rechnet damit. Eine neue „Fake News“-Welle werde sich gegen einen Corona-Impfstoff richten – die Verschwörungstheorien dazu kursieren schon. Jourova zeigte sich alarmiert von einer Umfrage, nach der in Deutschland die Impfbereitschaft der Bürger innerhalb von zwei Monaten um 20 Prozent gesunken ist. Laut der Studie des Instituts Kantar hatten, wie unsere Redaktion exklusiv berichtete, zuletzt 67 Prozent der Befragten angegeben, sie würden sicher oder wahrscheinlich ein Impfangebot gegen Corona annehmen.