Washington. Einem Medienbericht zufolge wollen die USA 9500 Soldaten aus Deutschland abziehen. Militärs sprechen von einem „kolossalen Fehler“.
Mit rund 34.500 Soldaten und knapp 17.000 Zivilisten ist Deutschland nach Japan der weltweit zweitgrößte Auslandsstandort der amerikanischen Streitkräfte – Donald Trump will die Zahlen jetzt offenbar deutlich reduzieren. Bis September sollen rund 9500 Militärkräfte abgezogen werden. Das berichtet das „Wall Street Journal“ (WSJ) und beruft sich auf ein Schreiben des Nationalen Sicherheitsberaters Robert O’Brien.
Ben Hodges, der frühere Kommandeur des US-Heeres in Europa, reagierte auf die Nachricht, die viele Politiker und Ministerielle auf beiden Seiten des Atlantiks am Freitagabend kalt erwischte, mit knapper, militärischer Präzision.
„Ein kolossaler Fehler: 1) “Nicht verknüpft mit irgendeiner Strategie…eindeutig eine politische Entscheidung”, 2) nicht das Resultat eines Abstimmungsprozesses, Kongress genauso überrascht wie Nato und die US-Führung in Europa, 3) ein Geschenk für Putin…dabei hat der Kreml nichts getan, um sich einen US-Abzug zu verdienen.”
US-Truppenabzug aus Deutschland? Bundesregierung wohl nicht informiert
Was Hodges auf Twitter zu den via „Wall Street Journal” erstmal öffentlich gewordenen Plänen von Präsident Donald Trump sagte, trifft die Meinung vieler Militärs in Washington.
Marc Hertling, bis 2012, Kommandeur der US-Truppen in Deutschland und dort zweimal für Reduzierungen zuständig gewesen, nannte die offenbar von Trump abgezeichnete Entscheidung, die im Kern von „New York Times” und „Washington Post” bestätigt wurde, „gefährlich und kurzsichtig”.
Bislang fehlt jede offizielle Erklärung des Weißen Hauses, des Verteidigungsministeriums und des Nationalen Sicherheitsrates. Was man dagegen weiß: Die Bundesregierung wurde, wie Politiker unserer Redaktion in Washington bestätigten, nicht vorab in Kenntnis gesetzt. Selbst der Versuch deutscher Top-Diplomaten in Washington, Trumps Sicherheitsberater O’Brien zu einem klärenden Gespräch zu bekommen, ging am Freitagabend dem Vernehmen nach erfolglos aus.
Trump offenbar erbost über Merkels G7-Absage
Diesen Umgang mit einem langjährigen Bündnispartner bezeichneten hochrangige EU-Politiker in Washington gegenüber unserer Redaktion inoffiziell als „unfreundlichen Akt”. Dass das „Wall Street Journal“ mit Verweis auf Quellen im Weißen Haus ausdrücklich betonte, der Abzug stehe nicht im Zusammenhang mit der jüngst von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgeschlagenen Einladung zum G 7-Gipfel lasse eher „auf das Gegenteil schließen”.
Präsident Donald Trump hatte die für Mitte Juni in Washington vorgesehene Veranstaltung vor Kurzem abgesagt, nachdem neben Merkel auch andere Staats- und Regierungschefs unter Bezug auf die Coronavirus-Krise eine Teilnahme abgelehnt hatten. Trump, so berichteten Regierungskreise später, sei über das Nein der Kanzlerin erbost gewesen.
Ex-Botschafter Grenell hatte Truppenabzug ins Spiel gebracht
Denkbar ist, dass der angestrebte Teiltruppenabzug an Überlegungen anknüpft, die bereits im vergangenen August in der US-Regierung angestellt worden waren. Damals Damals der inzwischen von seinem Amt zurückgetretene US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, öffentlich und sehr zum Unmut der Bundesregierung gesagt: „Es ist wirklich beleidigend zu erwarten, dass der US-Steuerzahler weiter mehr als 50 .000 Amerikaner in Deutschland bezahlt, aber die Deutschen ihren Handelsüberschuss für heimische Zwecke verwenden.”
Die Kritik knüpfte an ähnliche Äußerungen Trumps an, der im Juni 2019 mit der Verlegung von US-Soldaten in Deutschland nach Polen gedroht hatte, weil die Bundesrepublik aus seiner Sicht den finanziellen Verpflichtungen für die Nato-Gemeinschaftskasse – zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben – trotz mitbeschlossener Selbstverpflichtung nicht nachkomme. Polens Ministerpräsident Mateus Morawiecki sagte am Samstag, er hoffe, dass Teile der Soldaten, die aus Deutschland abgezogen werden sollen, nach Polen verlegt werden.
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US-Verteidigungsministerium hat sich noch nicht geäußert
Während der Nationale Sicherheitsrat der US-Regierung via Sprecher John Ullyot erklärte, man habe derzeit keine Ankündigungen zu machen bis auf die Tatsache, dass der Präsident „kontinuierlich die Truppen-Auftstellung der USA überprüft”, kam aus dem Pentagon ein inoffizieller Erklärungsversuch.
Danach habe Generalstabschef General Mark Miller nach ausgiebiger Prüfung befunden, dass Amerikas Truppen-Kontingent in Deutschland in der aktuellen Größe nicht mehr notwendig sei, seit die Nato-Mitglieder (also auch Deutschland) die Finanzbeiträge für das westliche Militärbündnis deutlich gesteigert hätten. Darum könnten nun Soldaten nach Polen und in andere Länder verlegt oder nach Amerika zurückgeholt werden, hieß es in Pentagon-Kreisen. Offiziell hat sich der zuständige Minister Mark Esper bisher dazu nicht geäußert.
Maas: Wir schätzen Zusammenarbeit mit US-Streitkräften
Mit Blick auf die angeblichen Truppenabzugs-Pläne hat Außenminister Heiko Maas das beiderseitige Interesse an der Zusammenarbeit betont. „Wir schätzen die seit Jahrzehnten gewachsene Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften. Sie ist im Interesse unserer beiden Länder“, sagte der SPD-Politiker der „Bild am Sonntag“. „Sollte es zum Abzug eines Teils der US-Truppen kommen, nehmen wir dies zur Kenntnis.“ Zum Verhältnis zwischen Deutschland und den USA sagte Maas: „Wir sind enge Partner im transatlantischen Bündnis. Aber: Es ist kompliziert.“
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen reagierte mit Unverständnis auf den möglichen Abzug. „Einen sachlichen Grund für den Abzug vermag ich nicht zu erkennen‘, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag unserer Redaktion. „Ein solcher Abzug wäre unter jedem Gesichtspunkt sehr bedauerlich.“
Die amerikanischen Soldaten seien willkommen, ihre Stationierung in Deutschland sei für die Koordination der internationalen militärischen Präsenz der USA enorm wichtig, betonte der CDU-Vorsitzkandidat. Außerdem laufe die Zusammenarbeit „bestens, wie immer wieder von der amerikanischen militärischen Seite bestätigt“ werde.
SPD-Fraktionschef fordert „nachhaltige Neuausrichtung“ der Sicherheitspolitik in Europa
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach sich dafür aus, einen möglichen Abzug amerikanischer Soldaten aus Deutschland für eine „nachhaltige Neuausrichtung“ der Sicherheitspolitik in Europa zu nutzen. Die Einbettung der deutschen Sicherheitspolitik in ein europäisches Umfeld sei vor diesem Hintergrund noch dringender und sinnvoller als noch vor einigen Jahren, sagte Mützenich unserer Redaktion. Dabei müsse klar sein, dass eine sicherheitspolitische Strategie sich „nicht in Militärpolitik und Verteidigungsausgaben“ erschöpfen dürfe.
Angesichts der finanziellen Belastungen durch die Corona-Pandemie könnten sich gegenwärtig auch „Chancen für die Begrenzung von Militär und Aufrüstung ergeben“, betonte Mützenich. „Dieser politischen Aufgabe muss sich Europa insgesamt und selbstbewusst stellen.“
Nach einem umfangreichen Truppenabzug wäre der reibungslose Betrieb zahlreicher Einrichtungen der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland „insgesamt in Zweifel gezogen“, stellte der SPD-Politiker fest. Ohnehin verlagerten sich die strategischen Planungen der USA nach Asien. „Das hat auch Konsequenzen für die Nato.“
Wichtigster Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA ist Ramstein
Welche Standorte in Deutschland von dem Personalabbau am meisten betroffen sein sollen, ist bisher unbekannt. Die USA unterhalten vor allem in den südwestlichen Bundesländern wichtige Niederlassungen. Die Kommandozentralen für die US-Truppen in Europa und Afrika sind in Stuttgart beheimatet. Der wichtigste Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA ist im rheinland-pfälzischen Ramstein. Das zentrale Nachschub-Drehkreuz für US-Einsätze im Nahen Osten, Afghanistan und Afrika dient auch der Steuerung von Drohneneinsätzen. Zudem wird ein großes Militärkrankenhaus in Landstuhl und der Truppenübungsplatz Grafenwöhr unterhalten.
In mehrere Standorte, vor allem Ramstein und Landstuhl, sind zuletzt laut Pentagon Millionenbeträge für Modernisierungen investiert worden. Von den amerikanischen Streitkräften hängen Zehntausende Arbeitsplätze in der deutschen Wirtschaft ab.
Senator Jack Reed, der führende Demokrat im Verteidigungsausschuss in Washington, nannte Trumps Entscheidung „kleinkariert und absurd”.
Bartsch: US-Truppen sollten auch Atombomben mitnehmen
Der Vorsitzende der Links-Fraktion Dietmar Bartsch sieht in dem angeblich geplanten US-Truppenabzug auch eine Chance. „Die Bundesregierung sollte ihn dankend annehmen und zeitnah einen Komplettabzug der US-Soldaten mit der Trump-Administration vorbereiten. Wenn die Soldaten abgezogen werden, sollten sie gleichzeitig die US-Atombomben mitnehmen“, erklärte Bartsch am Samstag in Berlin. Er fügte hinzu: „Das hätte den Kollateralnutzen, dass der Steuerzahler Milliarden sparen würde, weil neue Kampfjets nicht angeschafft werden müssten.“ (mit dpa)