Berlin. Trumps Vorgehen im Zuge der Proteste in den USA ist undemokratisch und offenbart einen Wahlkampf der Wut. Der Präsident bricht ein Tabu.
Vor Kurzem hätte man das noch als finsteres Szenario eines durchgeknallten Rechtspopulisten wie etwa des philippinischen Staatschefs Rodrigo Duterte bezeichnet: den Einsatz der Armee gegen die eigene Bevölkerung. Nun ist es US-Präsident Donald Trump, der damit droht, angesichts der Anti-Rassismus-Unruhen im ganzen Land die Armee aufmarschieren zu lassen.
Es ist ein schwerwiegender Tabubruch. Trump redet von „inländischem Terror“. Es ist die Sprache des Bürgerkriegs. Damit stigmatisiert er die Proteste in mehr als 70 amerikanischen Städten. Nach der Tötung von George Floyd, einem unbewaffneten Schwarzen, durch weiße Polizisten in Minneapolis sind die USA in Aufruhr. Ja, es ist zu gewalttätigen Entgleisungen und Plünderungen gekommen, die zu verurteilen sind. Doch die meisten Kundgebungen verliefen friedlich. Der Präsident verwechselt erneut Ursache und Wirkung.
Doch Trump geht noch weiter. Er schreckt offenbar nicht davor zurück, das Aufstandsgesetz aus dem Jahr 1807 anzuwenden. Darin ist festgelegt, dass der Präsident im Fall von „Aufstand, rechtswidriger Vereinigung, inländischer Gewalt oder Verschwörung“ Soldaten abkommandieren kann.
Proteste in den USA: Pressefreiheit wird eingeschränkt
Hinzu kommt die besorgniserregende Einschränkung der Pressefreiheit. Journalisten wurden verhaftet, Fernsehsender wie die Deutsche Welle von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert, eine Fotografin verlor im Hagel der Gummigeschosse ein Auge.
Im Lichte der Ereignisse muss man feststellen: Unter Trump entwickeln sich die Vereinigten Staaten weg von den Standards westlicher Demokratien, deren Führungsmacht die USA einmal waren.
Stattdessen werden Sprachduktus und Herrschaftsinstrumente sichtbar, die man sonst nur aus Diktaturen kennt. Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright hatte in ihrem Buch „Faschismus. Eine Warnung“ bereits gewarnt: „Trump ist der erste antidemokratische Präsident in der neueren Geschichte der USA.“
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Auch Obama scheiterte beim Thema Rassismus
Aber was derzeit in den USA passiert, hat nicht nur mit Trump zu tun. Der Rassismus ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Selbst Barack Obama, der erste schwarze Präsident des Landes, konnte die alltägliche Diskriminierung und die Gewalt gegen Farbige nicht zurückdrängen.
Rassismus, Kulturkampf, die seit Anfang der 80er-Jahre immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich: Amerika ist ein Land auf Abwegen. Die gesellschaftliche Polarisierung begann Mitte der 90er-Jahre.
Der Republikaner Newt Gingrich, von 1995 bis 1999 Sprecher des Repräsentantenhauses, blies zur Kampagne gegen den demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Die Forderungen nach Steuererleichterungen und die drastischen Kürzungen von Sozialprogrammen wurden zum neuen Schlachtruf.
Trump macht Wahlkampf mit der Wut
Heute ist Trump der Fackelträger des Staatsminimalismus. Ausgerechnet der Milliardär macht sich zum Vorkämpfer der abgehängten weißen Arbeiter, deren Jobs in Zeiten der Globalisierung unter Druck geraten. Trump hat kein Rezept gegen diese Entwicklung. Er setzt auf den Propaganda-Mythos von „America First“. Die gegenwärtigen Krisen – Corona, Rezession, Rassismus – werden durch die Politik der rhetorischen Feuerwalze des Präsidenten verstärkt. Doch sie reichen tiefer als Trump.
Das Gefährliche daran: Der Chef des Weißen Hauses inszeniert sich als eisenharter Law-and-Order-Mann. Er setzt Wut als Waffe im Präsidentschaftswahlkampf ein, um seine Klientel mit weißem Nationalismus an die Urnen zu treiben. Es bleibt das hohe Risiko, dass die Dinge noch mehr aus dem Ruder laufen.
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