Washington. George Floyds Tod hat überall in den USA Trauer, Wut und Gewalt hervorgerufen. Und Donald Trump tut nichts, um die Wogen zu glätten.
Amerika ist wundgescheuert. Die frei liegenden Nerven sind extrem gereizt. Jede Überreaktion kann in einen Flächenbrand münden.
Ein richtiger Präsident würde darum die aufgebrachte Nation beruhigen, empathisch mit ihr trauern, Ängste mildern, Zuversicht in der Verzweiflung geben. Und klar Position beziehen, wie die toxischen Quellen des Rassismus nach der Tragödie von Minneapolis wenigstens zu verstopfen sind. Wenn man sie seit Jahrhunderten nicht vollends austrocknen kann.
Ein richtiger Präsident fände mit Herz und Verstand eine gesunde Balance zwischen der von der überwältigenden Mehrheit geteilten Ablehnung von Plünderungen, Brandschatzungen und enthemmter Wut. Und der staatsbürgerlichen Ermutigung, nach dem verabscheuungswürdigen Polizeieinsatz gegen George Floyd die Rede- und Versammlungsfreiheit noch entschlossener und lauter wahrzunehmen.
Donald Trump ist kein richtiger Präsident. Er hat weder Herz noch Verstand.
Tod von George Floyd und Corona-Krise offenbaren Trumps Versagen
Darum wiegt sein Total-Versagen in den sich gerade fatal überlappenden Katastrophen um das Coronavirus, über 100.000 Tote, 40 Millionen Arbeitslose, und die erneut aufgeplatzte Rassismuswunde doppelt schwer.
Beides sind nur Katalysatoren für tektonische Verschiebungen in der Psyche großer Bevölkerungsteile, die den himmelschreienden wirtschaftlichen und sozialen Unwuchten im System nicht länger passiv zusehen wollen. In den unvereinigten Staaten von Amerika, in denen Corona die brutale Spaltung in Alleshaber und Habenichts wie durch ein Vergrößerungsglas brutal sichtbar gemacht hat, haben viele einfach die Schnauze restlos voll.
Während das Land brennt und, man muss es so formulieren, mit steigender Intensität die Vorphase bürgerkriegsähnlicher Unruhen durchlebt, rennt der erste Mann im Staate mit dem rhetorischen Benzinkanister durch die lodernde Kulisse. Allein dieses Unvermögen, an Scheitelpunkten der Geschichte auch nur ansatzweise den richtigen Ton zu treffen, disqualifiziert Donald Trump für das Amt, das er seit dreieinhalb Jahren beschmutzt.
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Trump lenkt von der Tragödie um George Floyd ab
Trump dämonisiert Demonstranten als Anarchisten – obwohl das Gros der Hunderttausenden, die seit bald einer Woche zwischen Los Angeles und New York auf die Straße gehen und Gerechtigkeit verlangen, friedlich sind, aber aufrichtig erschüttert. Trump unterstellt Medien und oppositionellen Demokraten, Hass und Anarchie zu verbreiten und zu befürworten – obwohl für den, der lesen kann und verstehen will, das Gegenteil der Fall ist. Trump kokettiert mit der Drohung, die linke Sammlungsbewegung Antifa als Terror-Organisation einzustufen – obwohl es dafür weder eine inhaltliche, juristische noch gesetzliche Handhabe gibt.
Dass weiße Nationalisten und Rechtsextremisten nach Erkenntnissen einzelner Bundesstaaten die Demos unterwandern – auf diesem Auge ist Trump wie schon nach den von Neonazis orchestrierten tödlichen Ausschreitungen von Charlottesville 2017 blind.
Der Präsident will vor der Wahl im November ausschließlich seiner Fan-Basis gefallen. Darum seine kraftmeiernde Law-and-order-Pose. Darum seine verklausulierte Drohung, auf Demonstranten schießen zu lassen. Darum die Überbetonung des Militärischen in der Konfliktlösung. So als könnte man einem nationalen Dauer-Notstand, der tief in der DNA Amerikas wurzelt, mit Nationalgarde, Pfefferspray, Plastikgeschossen und Tränengas beikommen.
Trump will den Kern dessen, was in Minneapolis geschehen ist und was den kollektiven Aufschrei im ganzen Land ausgelöst hat, vergessen machen: Ein unbewaffneter Schwarzer wurde wegen des Verdachts, einen gefälschten 20 Dollar-Schein in Umlauf gebracht zu haben, von drei Polizisten am helllichten Tag trotz mehrfacher Hilferufe, trotz Warnungen von Passanten solange wie ein Tier am Boden festgehalten und traktiert, bis er starb. Ein vierter Cop stand in Fleisch gewordener unterlassener Hilfeleistung daneben.
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Schwarze werden in den USA trotz vieler Reformen noch immer diskriminiert
Solche Akte von Willkür, Grobschlächtigkeit und Amtsmissbrauch atmen den Geist der 50er und 60er Jahren, bevor Amerika den ersten Anlauf nahm, den Rassenkonflikt durch Antidiskriminierungsgesetze und Sozialpolitik zu therapieren.
Tatsache ist: Seit Anfang der 90er Jahre, seit Cops in Los Angeles wie im Rausch mit Latten und Eisenstangen auf den Afro-Amerikaner Rodney King eindroschen und dabei gefilmt wurden, gehören diese Exzesse Jahr für Jahr zum amerikanischen Alltag. Trotz vieler Reformen. Trotz etlicher schwarzer Polizeichefs. Und in den seltensten Fällen wurden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen.
Dass Schwarze allen Grund dazu haben, die Staatsgewalt als arrogante Besatzungsmacht zu empfinden, als Feind im eigenen Land, als Bedrohung, nicht als Schutz, ist eine amerikanische Wahrheit, die ein richtiger Präsident offen angesprochen hätte, auch wenn er keine Schnelllösung dagegen parat hat.
Donald Trump ist kein richtiger Präsident.