Berlin. Auch wenn es derzeit nicht nach einem SPD-Kanzler aussieht – die Partei braucht einen Kandidaten. Wer kommt infrage? Eine Auswahl.

Am vorvergangenen Sonnabend trafen sich wichtige Frauen und Männer der SPD morgens um zehn Uhr im Willy-Brandt-Haus. Nach Corona-Isolation und unzähligen Videoschalten freuten sich die Genossen, endlich einmal wieder live zu plaudern und bei Salat mit Lachsstreifen im Hans-Jochen-Vogel-Saal die unverändert ungemütliche Lage der Partei zu analysieren.

Auf die Union wirkt Corona wie ein Dopingmittel, bei der SPD wie Ritalin. Bei einem Rückstand von 25 Prozentpunkten auf die CDU/CSU deutet derzeit zwar nichts darauf hin, dass die SPD im Herbst nächsten Jahres den Kanzler oder die Kanzlerin stellen kann. Aber wer weiß schon, wie die politische Welt nach der Ära Merkel aussieht.

Ein Zeitplan mit einem Ziel: Keine „Sturzgeburt“ mehr

Einig war sich die Spitzenrunde, dass bei der K-Frage mit der unheilvollen Tradition chaotischer „Sturzgeburten“ wie 2009, 2013 und 2017 gebrochen werden muss. So sieht ein im Präsidium besprochener Fahrplan vor, dass im Herbst (wahrscheinlich September) ein Kanzlerkandidat ausgerufen wird, um vor der CDU (Parteitag im Dezember) auf dem Platz zu sein.

Nun meldete das Magazin „Cicero“ ohne nähere Quellenlage, Fraktionschef Rolf Mützenich sei der Wunschkandidat des Vorsitzendenduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Die beiden ließen dazu ausrichten: „Es ist bekanntlich nicht das erste Gerücht und wird auch nicht das letzte sein. Jetzt ist nicht die Zeit für Personaldebatten.“

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    Bei der knapp fünfstündigen Präsidiumsklausur am 16. Mai fiel der Name Mützenich jedenfalls nicht. Unplausibel und überraschend ist er aber keineswegs. Gerhard Schröder brachte ihn früher schon ins Spiel. Wer ist noch im Gespräch? Eine Auswahl:

    Rolf Mützenich kam nach dem Ende von Andrea Nahles zum Vorsitz der Bundestagfraktion wie die Jungfrau zum Kinde. Der Kölner, der von Fahrradkorsos im Wahlkampf träumt, bescheiden wie ein Mönch auftritt, aber nicht zu unterschätzen ist, befriedete die Lager. Der 60-Jährige will gestalten. Als er die Präsenz der US-Atomwaffen auf dem Fliegerhorst Büchel in der Pfalz und damit letztlich Deutschlands Teilhabe an der nuklearen Abschreckung der Nato infrage stellte, stach er in ein Wespennest.

    Das tat der Friedenspolitiker, der 1991 in Bremen über eine atomwaffenfreie Welt promovierte, mit voller Absicht. Ebenso kühl servierte er den sendungsbewussten Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels und den nach diesem Amt strebenden Chefhaushälter Johannes Kahrs ab. Für Esken und Walter-Borjans wäre „Mütze“ ein passabler Kandidat, um Scholz zu verhindern.

    SPD-Finanzminister Scholz genießt hohe Zustimmungswerte

    Aber ein freundlicher Leisetreter mit null Regierungserfahrung im TV-Duell gegen Markus Söder oder Armin Laschet? Schwer vorstellbar – aber die SPD ist für unorthodoxe Personalentscheidungen bekannt. Für das linke No-Scholz-Lager um Kevin Kühnert wäre Mützenich sicher eine charmante Alternative.

    Die Parteichefs haben mangels Popularität von eigenen Ambitionen Abstand genommen. Esken und Walter-Borjans besitzen formal das Vorschlagsrecht. Die Entscheidung fällt aber nicht ohne Fraktion, Minister und Ministerpräsidenten. Diese Instanzen kauften der Doppelspitze bereits bei der Frage eines GroKo-Austritts den Schneid ab.

    Es sind die Lager, in denen Olaf Scholz viele Verbündete hat. Trotz der Pleite des Vizekanzlers im Kampf um den Parteivorsitz sei er der „logische“ Kandidat, wie es NRW-Landeschef Sebastian Hartmann auf den Punkt brachte. Auf Deutschland kommt nach der Pandemie die heftigste Wirtschafts- und Finanzkrise der Nachkriegszeit zu.

    Rolf Mützenich.
    Rolf Mützenich. © dpa | Kay Nietfeld

    SPD dürfte vor Wahl zwischen zwei Kandidaten stehen

    Die SPD stellt den Finanzminister, der hohe Zustimmungswerte genießt. Die Kanzlerin tritt 2021 ab, schlägt dann die Stunde ihres Vizekanzlers? „Olaf Scholz, der neue Merkel. Das ist ein Plakat, das man sich gut vorstellen kann“, sagt ein SPD-Stratege, der nachweislich nicht aus dem Scholz-Lager kommt. In einen Wettstreit mit Mützenich würde Scholz nicht ein­treten. Der 61-Jährige ließe sich nur von der Partei rufen, damit – aus seiner Wahrnehmung – deren his­torischer „Irrtum“ beim Mitgliederentscheid aktenkundig werden würde.

    Hin und wieder wird Lars Klingbeil genannt. Der Generalsekretär ist jung (42), bei den Jusos beliebt und besitzt – neben Esken – als einer der wenigen in der SPD Digitalkompetenz. Für eine Kandidatur reicht das alles nicht.

    Sollten Union und Grüne (Robert Habeck) mit einem Mann antreten, könnte es klug sein, eine Frau zu nominieren. Familienministerin Franziska Giffey wird nachgesagt, dass sie 2021 in Berlin ums Rote Rathaus kämpfen will. In der Bundespartei ist sie sehr populär und wäre eine Überraschungskandidatin. Das gilt ebenso für Manuela Schwesig. Sie ist in Mecklenburg-Vorpommern unangefochten Ministerpräsidentin. Nach ihrer Krebserkrankung will sie im nächsten Jahr ihren Job verteidigen. So dürfte die SPD vor der Wahl zwischen Mützenich und Scholz stehen.