Washington. War es Mord? Donald Trump beschuldigt einen ihm unliebsamen TV-Moderator: Joe Scarborough soll vor Jahren eine Mitarbeiterin getötet haben.
- US-Donald Trump insinuiert, dass TV-Moderator Joe Scarborough eine Mitarbeiterin getötet haben könnte
- Der Mord soll sich vor rund 20 Jahren in Scarboroughs ehemaligen Abgeordneten-Büro in Florida ereignet haben
- Mittlerweile moderiert Scarborough im linksliberalen Sender MSNBC eine erfolgreiche Frühstücks-Talkshow
- Mit seinen Äußerungen sorgt Trump für Entrüstung – auch im eigenen Lager
In seinem Dauer-Kleinkrieg gegen TV-Journalisten, die ihm nicht nach dem Mund reden, hält Donald Trump die dicksten Patronen für Joe Scarborough und dessen Ehefrau Mika Brzezinski bereit. Das Duo moderiert im linksliberalen Sender MSNBC die erfolgreiche Frühstücks-Talkshow „Morning Joe”. Bevor Trump ins Weiße Haus einzog, war er häufig zu Gast. Das Paar verkehrte gelegentlich auch privat mit dem New Yorker Geschäftsmann. Lange vorbei.
Seit Scarborough und Brzezinski zu unerbittlichen Kritikern seiner Person und Amtsführung geworden sind, hält Trump regelmäßig mit der rhetorischen Bazooka drauf. Scarborough, der einst für die Republikaner im Kongress saß, ist für ihn ein „Psycho”, was so viel wie geistesgestört bedeutet. Der Tochter des legendären Nationalen Sicherheitsberaters der Carter-Ära, Zbig Brzezinski, sagte er nach, „dumm wie ein Stein“ zu sein.
Donald Trump beleidigt Kritiker und bezichtigt ihn des Mordes
Seit einigen Tagen haben die Attacken eine selbst für Trumps Verhältnisse ungeheuerliche Dimension angenommen: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika insinuiert, dass Joe Scarborough vor rund 20 Jahren eine Mitarbeiterin in seinem Abgeordneten-Büro in Florida getötet haben könnte.
„Wann werden sie den ungeklärten Kriminalfall aus Florida in Sachen Psycho Joe Scarborough wieder öffnen?“, twitterte Trump vor rund zwei Wochen unter Berufung auf ein für haltlose Verschwörungstheorien bekanntes Propaganda-Medium, „kam er mit Mord davon? Manche Leute glauben das. Warum hat er den Kongress so leise und schnell verlassen? Ist das nicht offensichtlich?”.
Am Sonntag legte er unter Zuhilfenahme seines 80 Millionen Menschen erreichenden Twitter-Megaphons nach: „Großes Interesse an der Story über Psycho Joe Scarborough. Es ergibt sich also zufällig, dass eine junge Marathonläuferin in seinem Büro ohnmächtig wird, mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch aufschlägt und stirbt? Ich würde denken, dass da viel mehr an dieser Geschichte ist? Eine Affäre?”. Über 20.000 Mal wurden Trumps Worte per Retweet weiterverbreitet.
Trumps Äußerungen lösen Entrüstung aus – auch im eigenen Lager
Dass Trump mitten in der Coronavirus-Katastrophe, die Amerika rund 100.000 Tote eingetragen hat, mit solchen Vorwürfen hantiert, die Angehörigen der damals 28-jährigen Lori Klausutis ungefragt in die Medien-Öffentlichkeit zerrt und alte Wunden aufreißt, hat nicht nur in sozialen Netzwerken einen Sturm der Entrüstung entfacht.
Mit Adam Kinzinger hat am Sonntagabend auch ein republikanischer Kongress-Abgeordneter die Reißleine gezogen. „Komplett haltlose Verschwörung. Hört einfach auf. Hör auf, sie zu verbreiten, hör auf, Paranoia zu erzeugen”, schrieb der Parlamentarier aus Illinois an Trump adressiert, „es wird uns (gemeint sind die Republikaner, Anm. d. Red.) zerstören”.
US-Präsident will Fakten der Gerichtsmediziner nicht glauben
Zu den Fakten: Die Gerichtsmediziner hatten 2001 den Tod von Klausutis auf eine Herzerkrankung zurückgeführt. Die junge Frau sei ohnmächtig geworden und mit dem Kopf auf den Schreibtisch geschlagen; ohne Fremdeinwirkung. Auch gab es keine Hinweise auf eine Affäre zwischen Scarborough und seiner Mitarbeiterin. Scarborough selbst war zum Zeitpunkt des Unglücks Hunderte Meilen weit weg – in Washington. Sein parlamentarisches Mandat hatte er einen Monat vor Klausutis’ Tod aufgegeben.
All dies ist bekannt, aktenkundig, offizieller Stand der Rechtspflege und wird laut seriösen US-Medien von niemandem angezweifelt. Bis auf Trump.
Frau von Scarboroughs bittet Twitter-Chef um Verbannung von Trump
Dass der Präsident knapp fünf Monate vor der Wahl keine Hemmung zeigt, einem unbequemen Journalisten ein Kapitalverbrechen anzudichten, die Behörden pauschal zu neuen Ermittlungen anzustacheln („Keep digging, use forensic geniuses!” – deutsch: „Grabt weiter, schaltet Genies der Forensik ein“) und damit seine Wählerbasis in Wallung zu bringen, sei ein neuer Tiefpunkt der Bösartigkeit, urteilen US-Kommentatoren auch im rechten Spektrum.
Britt Hume, Urgestein des Senders Fox News, sprach von einer „diskredierten Erzählung” und erklärte sarkastisch, Trumps Kritiker sollten sich wünschen, dass der Präsident viel Golf spielt, „weil er dann nicht so einen Dreck twittern kann”. Scarboroughs Gattin Mika Brzezinski will sich an Twitter-Chef Jack Dorsey wenden. Ihr Ziel: Trump, der während seiner Amtszeit de facto vor Verleumdungsklagen geschützt ist, soll von der Plattform verbannt werden.
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